Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
für möglich halten? Wenn ich hätte schreiben wol-
len, und wenn mein Brief würdig geachtet wäre
gelesen zu werden; so frage ich, was konnte ich
schreiben, das Eingang finden könnte, und das ich
nicht schon vergeblich geschrieben hätte? Jch gieng
in der Stube auf und nieder, und warf die Pro-
ben mit Unmuth hin. Bald gieng ich in mein
Closet, und bald wieder heraus, bald warf ich
mich auf das Canapee, denn auf diesen bald
auf einen andern Stuhl, und ging von einem
Fenster zum andern. Jch wußte nicht was ich
anfangen sollte, und da ich in solcher Verwirrung
den Brief nochmahls las, kam Elisabeth und
erinnerte mich auf Befehl, daß meine Eltern auf
mich in meines Vaters Studier-Stube warteten.

Jch antwortete: sagt meiner Mutter wieder, ich
bäte mir die Ehre aus, ihr entweder hier, oder wo
sie es sonst befehlen würde, auf einen Augenblick
allein aufzuwarten.

Jch horchete oben an der Treppe, was erfolgete.
Jch hörete meinen Vater mit einer zornigen Stim-
me rufen: da siehst du es, mein Kind! Alle deine
Herablassung ist jetzt eben so übel angewandt, als
vorhin deine Gütigkeit. Du beschuldigest deinen
Sohn, daß er allzu heftig sey, wie du es nennest:
(dieses zu hören gereichte mir noch zu einem heim-
lichen Vergnügen) allein du siehst, daß auf ande-
re Weise nichts bey ihr auszurichten ist. Du sollst
sie nicht allein sprechen. Darf das verwegene Mäd-
chen darum eine Einwendung machen, nicht zu
kommen, weil ich mit dabey bin?

Meine
G g 5

der Clariſſa.
fuͤr moͤglich halten? Wenn ich haͤtte ſchreiben wol-
len, und wenn mein Brief wuͤrdig geachtet waͤre
geleſen zu werden; ſo frage ich, was konnte ich
ſchreiben, das Eingang finden koͤnnte, und das ich
nicht ſchon vergeblich geſchrieben haͤtte? Jch gieng
in der Stube auf und nieder, und warf die Pro-
ben mit Unmuth hin. Bald gieng ich in mein
Cloſet, und bald wieder heraus, bald warf ich
mich auf das Canapee, denn auf dieſen bald
auf einen andern Stuhl, und ging von einem
Fenſter zum andern. Jch wußte nicht was ich
anfangen ſollte, und da ich in ſolcher Verwirrung
den Brief nochmahls las, kam Eliſabeth und
erinnerte mich auf Befehl, daß meine Eltern auf
mich in meines Vaters Studier-Stube warteten.

Jch antwortete: ſagt meiner Mutter wieder, ich
baͤte mir die Ehre aus, ihr entweder hier, oder wo
ſie es ſonſt befehlen wuͤrde, auf einen Augenblick
allein aufzuwarten.

Jch horchete oben an der Treppe, was erfolgete.
Jch hoͤrete meinen Vater mit einer zornigen Stim-
me rufen: da ſiehſt du es, mein Kind! Alle deine
Herablaſſung iſt jetzt eben ſo uͤbel angewandt, als
vorhin deine Guͤtigkeit. Du beſchuldigeſt deinen
Sohn, daß er allzu heftig ſey, wie du es nenneſt:
(dieſes zu hoͤren gereichte mir noch zu einem heim-
lichen Vergnuͤgen) allein du ſiehſt, daß auf ande-
re Weiſe nichts bey ihr auszurichten iſt. Du ſollſt
ſie nicht allein ſprechen. Darf das verwegene Maͤd-
chen darum eine Einwendung machen, nicht zu
kommen, weil ich mit dabey bin?

Meine
G g 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0493" n="473"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
fu&#x0364;r mo&#x0364;glich halten? Wenn ich ha&#x0364;tte &#x017F;chreiben wol-<lb/>
len, und wenn mein Brief wu&#x0364;rdig geachtet wa&#x0364;re<lb/>
gele&#x017F;en zu werden; &#x017F;o frage ich, was konnte ich<lb/>
&#x017F;chreiben, das Eingang finden ko&#x0364;nnte, und das ich<lb/>
nicht &#x017F;chon vergeblich ge&#x017F;chrieben ha&#x0364;tte? Jch gieng<lb/>
in der Stube auf und nieder, und warf die Pro-<lb/>
ben mit Unmuth hin. Bald gieng ich in mein<lb/><hi rendition="#fr">Clo&#x017F;et,</hi> und bald wieder heraus, bald warf ich<lb/>
mich auf das Canapee, denn auf die&#x017F;en bald<lb/>
auf einen andern Stuhl, und ging von einem<lb/>
Fen&#x017F;ter zum andern. Jch wußte nicht was ich<lb/>
anfangen &#x017F;ollte, und da ich in &#x017F;olcher Verwirrung<lb/>
den Brief nochmahls las, kam <hi rendition="#fr">Eli&#x017F;abeth</hi> und<lb/>
erinnerte mich auf Befehl, daß meine Eltern auf<lb/>
mich in meines Vaters Studier-Stube warteten.</p><lb/>
        <p>Jch antwortete: &#x017F;agt meiner Mutter wieder, ich<lb/>
ba&#x0364;te mir die Ehre aus, ihr entweder hier, oder wo<lb/>
&#x017F;ie es &#x017F;on&#x017F;t befehlen wu&#x0364;rde, auf einen Augenblick<lb/>
allein aufzuwarten.</p><lb/>
        <p>Jch horchete oben an der Treppe, was erfolgete.<lb/>
Jch ho&#x0364;rete meinen Vater mit einer zornigen Stim-<lb/>
me rufen: da &#x017F;ieh&#x017F;t du es, mein Kind! Alle deine<lb/>
Herabla&#x017F;&#x017F;ung i&#x017F;t jetzt eben &#x017F;o u&#x0364;bel angewandt, als<lb/>
vorhin deine Gu&#x0364;tigkeit. Du be&#x017F;chuldige&#x017F;t deinen<lb/>
Sohn, daß er allzu <hi rendition="#fr">heftig</hi> &#x017F;ey, wie du es nenne&#x017F;t:<lb/>
(die&#x017F;es zu ho&#x0364;ren gereichte mir noch zu einem heim-<lb/>
lichen Vergnu&#x0364;gen) allein du &#x017F;ieh&#x017F;t, daß auf ande-<lb/>
re Wei&#x017F;e nichts bey ihr auszurichten i&#x017F;t. Du &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie nicht allein &#x017F;prechen. Darf das verwegene Ma&#x0364;d-<lb/>
chen darum eine Einwendung machen, nicht zu<lb/>
kommen, weil ich mit dabey bin?</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">G g 5</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Meine</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[473/0493] der Clariſſa. fuͤr moͤglich halten? Wenn ich haͤtte ſchreiben wol- len, und wenn mein Brief wuͤrdig geachtet waͤre geleſen zu werden; ſo frage ich, was konnte ich ſchreiben, das Eingang finden koͤnnte, und das ich nicht ſchon vergeblich geſchrieben haͤtte? Jch gieng in der Stube auf und nieder, und warf die Pro- ben mit Unmuth hin. Bald gieng ich in mein Cloſet, und bald wieder heraus, bald warf ich mich auf das Canapee, denn auf dieſen bald auf einen andern Stuhl, und ging von einem Fenſter zum andern. Jch wußte nicht was ich anfangen ſollte, und da ich in ſolcher Verwirrung den Brief nochmahls las, kam Eliſabeth und erinnerte mich auf Befehl, daß meine Eltern auf mich in meines Vaters Studier-Stube warteten. Jch antwortete: ſagt meiner Mutter wieder, ich baͤte mir die Ehre aus, ihr entweder hier, oder wo ſie es ſonſt befehlen wuͤrde, auf einen Augenblick allein aufzuwarten. Jch horchete oben an der Treppe, was erfolgete. Jch hoͤrete meinen Vater mit einer zornigen Stim- me rufen: da ſiehſt du es, mein Kind! Alle deine Herablaſſung iſt jetzt eben ſo uͤbel angewandt, als vorhin deine Guͤtigkeit. Du beſchuldigeſt deinen Sohn, daß er allzu heftig ſey, wie du es nenneſt: (dieſes zu hoͤren gereichte mir noch zu einem heim- lichen Vergnuͤgen) allein du ſiehſt, daß auf ande- re Weiſe nichts bey ihr auszurichten iſt. Du ſollſt ſie nicht allein ſprechen. Darf das verwegene Maͤd- chen darum eine Einwendung machen, nicht zu kommen, weil ich mit dabey bin? Meine G g 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/493
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/493>, abgerufen am 18.05.2024.