Niemand hat ihn je für einen Knicker gehalten: niemand hat ihm das Lob der Freygebigkeit abge- sprochen. So genau man sich auch um seine Um- stände bekümmerte, so kam doch nicht heraus, daß er ein Verschwender sey. Sein Hochmuth, der in so fern löblich ist, bewahrte ihn vor diesen La- stern. Wenn er sich vergangen hatte, so ließ er sich überzeugen, und gestand seinen Fehler. Er machte aus göttlichen Wahrheiten kein Gespötte, wie der armseelige Wyerley, der zu glauben schien, daß der Witz darin bestünde, w[en]n man etwas vor- bringen könnte, darüber sich ein ernsthaftes Ge- müth entsetzen müßte. Gegen seine Aufführung in unserm Hause war nichts einzuwenden: man konnte sagen, daß er recht züchtig sey. Seine übri- ge Aufführung mochte beschaffen seyn, wie sie wollte; so sahe man doch, daß er durch gute Gesellschaft gebessert werden könnte, und daß er in böser Gesellschaft mehr der Verführte als der Verführer seyn müsse. Eine noch neue Geschichte, was nehmlich am vorigen Sonnabend vorge- gangen ist, hat mir in Absicht auf seine untadel- hafte und recht männliche Aufführung einen noch viel bessern Begriff von ihm beygebracht.
Jn Absicht auf das Herkommen und Geburt hat er den Vorzug vor allen denen, die für mich in Vorschlag gebracht sind, wenn man ihn nach seiner eigenen Regel, die Jhnen so wohl gefiel, be- urtheilen soll: wer von wahrhaftig hohem Herkommen sey, und Verstand habe, der mache so wenig Geräusch mit seinem Stande,
als
Die Geſchichte
Niemand hat ihn je fuͤr einen Knicker gehalten: niemand hat ihm das Lob der Freygebigkeit abge- ſprochen. So genau man ſich auch um ſeine Um- ſtaͤnde bekuͤmmerte, ſo kam doch nicht heraus, daß er ein Verſchwender ſey. Sein Hochmuth, der in ſo fern loͤblich iſt, bewahrte ihn vor dieſen La- ſtern. Wenn er ſich vergangen hatte, ſo ließ er ſich uͤberzeugen, und geſtand ſeinen Fehler. Er machte aus goͤttlichen Wahrheiten kein Geſpoͤtte, wie der armſeelige Wyerley, der zu glauben ſchien, daß der Witz darin beſtuͤnde, w[en]n man etwas vor- bringen koͤnnte, daruͤber ſich ein ernſthaftes Ge- muͤth entſetzen muͤßte. Gegen ſeine Auffuͤhrung in unſerm Hauſe war nichts einzuwenden: man konnte ſagen, daß er recht zuͤchtig ſey. Seine uͤbri- ge Auffuͤhrung mochte beſchaffen ſeyn, wie ſie wollte; ſo ſahe man doch, daß er durch gute Geſellſchaft gebeſſert werden koͤnnte, und daß er in boͤſer Geſellſchaft mehr der Verfuͤhrte als der Verfuͤhrer ſeyn muͤſſe. Eine noch neue Geſchichte, was nehmlich am vorigen Sonnabend vorge- gangen iſt, hat mir in Abſicht auf ſeine untadel- hafte und recht maͤnnliche Auffuͤhrung einen noch viel beſſern Begriff von ihm beygebracht.
Jn Abſicht auf das Herkommen und Geburt hat er den Vorzug vor allen denen, die fuͤr mich in Vorſchlag gebracht ſind, wenn man ihn nach ſeiner eigenen Regel, die Jhnen ſo wohl gefiel, be- urtheilen ſoll: wer von wahrhaftig hohem Herkom̃en ſey, und Verſtand habe, der mache ſo wenig Geraͤuſch mit ſeinem Stande,
als
<TEI><text><body><divn="2"><pbfacs="#f0468"n="448"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/><p>Niemand hat ihn je fuͤr einen Knicker gehalten:<lb/>
niemand hat ihm das Lob der Freygebigkeit abge-<lb/>ſprochen. So genau man ſich auch um ſeine Um-<lb/>ſtaͤnde bekuͤmmerte, ſo kam doch nicht heraus,<lb/>
daß er ein Verſchwender ſey. Sein Hochmuth, der<lb/>
in ſo fern loͤblich iſt, bewahrte ihn vor dieſen La-<lb/>ſtern. Wenn er ſich vergangen hatte, ſo ließ er ſich<lb/>
uͤberzeugen, und geſtand ſeinen Fehler. Er machte<lb/>
aus goͤttlichen Wahrheiten kein Geſpoͤtte, wie der<lb/>
armſeelige <hirendition="#fr">Wyerley,</hi> der zu glauben ſchien, daß<lb/>
der Witz darin beſtuͤnde, w<supplied>en</supplied>n man etwas vor-<lb/>
bringen koͤnnte, daruͤber ſich ein ernſthaftes Ge-<lb/>
muͤth entſetzen muͤßte. Gegen ſeine Auffuͤhrung<lb/>
in unſerm Hauſe war nichts einzuwenden: man<lb/>
konnte ſagen, daß er recht zuͤchtig ſey. Seine uͤbri-<lb/>
ge Auffuͤhrung mochte beſchaffen ſeyn, wie ſie<lb/>
wollte; ſo ſahe man doch, daß er durch gute<lb/>
Geſellſchaft gebeſſert werden koͤnnte, und daß er<lb/>
in boͤſer Geſellſchaft mehr der Verfuͤhrte als der<lb/>
Verfuͤhrer ſeyn muͤſſe. Eine noch neue Geſchichte,<lb/>
was nehmlich am vorigen Sonnabend vorge-<lb/>
gangen iſt, hat mir in Abſicht auf ſeine untadel-<lb/>
hafte und recht maͤnnliche Auffuͤhrung einen noch<lb/>
viel beſſern Begriff von ihm beygebracht.</p><lb/><p>Jn Abſicht auf das Herkommen und Geburt<lb/>
hat er den Vorzug vor allen denen, die fuͤr mich<lb/>
in Vorſchlag gebracht ſind, wenn man ihn nach<lb/>ſeiner eigenen Regel, die Jhnen ſo wohl gefiel, be-<lb/>
urtheilen ſoll: <hirendition="#fr">wer von wahrhaftig hohem<lb/>
Herkom̃en ſey, und Verſtand habe, der mache<lb/>ſo wenig Geraͤuſch mit ſeinem Stande,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">als</hi></fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[448/0468]
Die Geſchichte
Niemand hat ihn je fuͤr einen Knicker gehalten:
niemand hat ihm das Lob der Freygebigkeit abge-
ſprochen. So genau man ſich auch um ſeine Um-
ſtaͤnde bekuͤmmerte, ſo kam doch nicht heraus,
daß er ein Verſchwender ſey. Sein Hochmuth, der
in ſo fern loͤblich iſt, bewahrte ihn vor dieſen La-
ſtern. Wenn er ſich vergangen hatte, ſo ließ er ſich
uͤberzeugen, und geſtand ſeinen Fehler. Er machte
aus goͤttlichen Wahrheiten kein Geſpoͤtte, wie der
armſeelige Wyerley, der zu glauben ſchien, daß
der Witz darin beſtuͤnde, wenn man etwas vor-
bringen koͤnnte, daruͤber ſich ein ernſthaftes Ge-
muͤth entſetzen muͤßte. Gegen ſeine Auffuͤhrung
in unſerm Hauſe war nichts einzuwenden: man
konnte ſagen, daß er recht zuͤchtig ſey. Seine uͤbri-
ge Auffuͤhrung mochte beſchaffen ſeyn, wie ſie
wollte; ſo ſahe man doch, daß er durch gute
Geſellſchaft gebeſſert werden koͤnnte, und daß er
in boͤſer Geſellſchaft mehr der Verfuͤhrte als der
Verfuͤhrer ſeyn muͤſſe. Eine noch neue Geſchichte,
was nehmlich am vorigen Sonnabend vorge-
gangen iſt, hat mir in Abſicht auf ſeine untadel-
hafte und recht maͤnnliche Auffuͤhrung einen noch
viel beſſern Begriff von ihm beygebracht.
Jn Abſicht auf das Herkommen und Geburt
hat er den Vorzug vor allen denen, die fuͤr mich
in Vorſchlag gebracht ſind, wenn man ihn nach
ſeiner eigenen Regel, die Jhnen ſo wohl gefiel, be-
urtheilen ſoll: wer von wahrhaftig hohem
Herkom̃en ſey, und Verſtand habe, der mache
ſo wenig Geraͤuſch mit ſeinem Stande,
als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/468>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.