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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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zu seyn, wenn sie nichts dabey verleugneten. Be-
dencken sie auch, was man von einer so ausseror-
dentlichen Person, als sie sind, erwartet. Beden-
cken sie, daß es jetzt bey ihnen stehet, ob Trennung
oder Eintracht in ihrer Familie seyn soll. Wenn
es ihnen schon itzt unangenehm ist, sich zwingen
zu lassen, so wird doch ihre Klugheit und eine
reiffe Uberlegung der Sachen sie in den Stand
setzen, alle vorgefaßte Meinungen gegen den einen,
und alle allzugütigen Vorurtheile für den andern
zu überwinden. Sie werden ihre gantze Familie
hierdurch verpflichten: dieses wird nicht allein ein
sehr verdienstliches Werck seyn, sondern ihnen
auch selbst in wenig Monathen zu eben so vie lem
Vergnügen, als Ehre gereichen.

Ueberlegen sie, meine liebe Mutter Norton,
(sagte ich) überlegen sie, daß es nicht eine Kleinig-
keit von kurtzer Dauer ist, die man von mir fodert:
sondern daß es auf meine gantze Lebens-Zeit an-
kömmt. Ueberlegen sie, daß alles dieses nur die
Anstalten eines herrschsüchtigen Bruders sind,
nach welchem sich alle richten. Ueberlegen sie, daß
ich so bereit bin, ihnen eine Gefälligkeit zu erzeigen,
wenn sie damit zufrieden wären, daß ich unverhey-
rathet bliebe, und meinen Brief-Wechsel mit dem-
jenigen, den sie hassen, weil ihn mein Bruder
hasset, abbräche.

Jch überlege das alles, meine liebste Fräulein.
Allein überlegen sie auch ausser dem, was ich schon
gesagt habe, daß wenn sie ihrem eigenen Willen fol-
gen, und sich dem Willen ihrer Eltern widersetzen,

und
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der Clariſſa.
zu ſeyn, wenn ſie nichts dabey verleugneten. Be-
dencken ſie auch, was man von einer ſo auſſeror-
dentlichen Perſon, als ſie ſind, erwartet. Beden-
cken ſie, daß es jetzt bey ihnen ſtehet, ob Trennung
oder Eintracht in ihrer Familie ſeyn ſoll. Wenn
es ihnen ſchon itzt unangenehm iſt, ſich zwingen
zu laſſen, ſo wird doch ihre Klugheit und eine
reiffe Uberlegung der Sachen ſie in den Stand
ſetzen, alle vorgefaßte Meinungen gegen den einen,
und alle allzuguͤtigen Vorurtheile fuͤr den andern
zu uͤberwinden. Sie werden ihre gantze Familie
hierdurch verpflichten: dieſes wird nicht allein ein
ſehr verdienſtliches Werck ſeyn, ſondern ihnen
auch ſelbſt in wenig Monathen zu eben ſo vie lem
Vergnuͤgen, als Ehre gereichen.

Ueberlegen ſie, meine liebe Mutter Norton,
(ſagte ich) uͤberlegen ſie, daß es nicht eine Kleinig-
keit von kurtzer Dauer iſt, die man von mir fodert:
ſondern daß es auf meine gantze Lebens-Zeit an-
koͤmmt. Ueberlegen ſie, daß alles dieſes nur die
Anſtalten eines herrſchſuͤchtigen Bruders ſind,
nach welchem ſich alle richten. Ueberlegen ſie, daß
ich ſo bereit bin, ihnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen,
wenn ſie damit zufrieden waͤren, daß ich unverhey-
rathet bliebe, und meinen Brief-Wechſel mit dem-
jenigen, den ſie haſſen, weil ihn mein Bruder
haſſet, abbraͤche.

Jch uͤberlege das alles, meine liebſte Fraͤulein.
Allein uͤberlegen ſie auch auſſer dem, was ich ſchon
geſagt habe, daß wenn ſie ihrem eigenen Willen fol-
gen, und ſich dem Willen ihrer Eltern widerſetzen,

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[441/0461] der Clariſſa. zu ſeyn, wenn ſie nichts dabey verleugneten. Be- dencken ſie auch, was man von einer ſo auſſeror- dentlichen Perſon, als ſie ſind, erwartet. Beden- cken ſie, daß es jetzt bey ihnen ſtehet, ob Trennung oder Eintracht in ihrer Familie ſeyn ſoll. Wenn es ihnen ſchon itzt unangenehm iſt, ſich zwingen zu laſſen, ſo wird doch ihre Klugheit und eine reiffe Uberlegung der Sachen ſie in den Stand ſetzen, alle vorgefaßte Meinungen gegen den einen, und alle allzuguͤtigen Vorurtheile fuͤr den andern zu uͤberwinden. Sie werden ihre gantze Familie hierdurch verpflichten: dieſes wird nicht allein ein ſehr verdienſtliches Werck ſeyn, ſondern ihnen auch ſelbſt in wenig Monathen zu eben ſo vie lem Vergnuͤgen, als Ehre gereichen. Ueberlegen ſie, meine liebe Mutter Norton, (ſagte ich) uͤberlegen ſie, daß es nicht eine Kleinig- keit von kurtzer Dauer iſt, die man von mir fodert: ſondern daß es auf meine gantze Lebens-Zeit an- koͤmmt. Ueberlegen ſie, daß alles dieſes nur die Anſtalten eines herrſchſuͤchtigen Bruders ſind, nach welchem ſich alle richten. Ueberlegen ſie, daß ich ſo bereit bin, ihnen eine Gefaͤlligkeit zu erzeigen, wenn ſie damit zufrieden waͤren, daß ich unverhey- rathet bliebe, und meinen Brief-Wechſel mit dem- jenigen, den ſie haſſen, weil ihn mein Bruder haſſet, abbraͤche. Jch uͤberlege das alles, meine liebſte Fraͤulein. Allein uͤberlegen ſie auch auſſer dem, was ich ſchon geſagt habe, daß wenn ſie ihrem eigenen Willen fol- gen, und ſich dem Willen ihrer Eltern widerſetzen, und E e 5

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/461>, abgerufen am 18.05.2024.