Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
sie könnten nicht ruhig seyn, bis es geschehen wä-
re, denn sie wüßten allzuwohl, wie sehr Lovelace
mein Hertz gefesselt hätte. Jch hätte es beynahe
ohne Umschweif in meinen Briefen an meine
Onckles und an meine Geschwister gestanden, ob
ich gleich so unartig gewesen wäre gegen meine
Mutter eine andere Sprache zu führen. Jch ver-
liesse mich auf ihre Gütigkeit, und ich wüßte gar zu
wohl, was ich bey ihnen ausrichten könnte: Sie
würden mir auch nicht verboten haben, zu ihnen zu
kommen, und mit ihnen zu sprechen, wenn sie sich
nicht allzuwohl bewußt wären, daß sie mehr Liebe
für mich hätten, als ich für sie. Sie wollten ein-
mahl vor allemahl Gehorsahm haben, oder ich soll-
te nie mit ihnen ausgesöhnet werden, es möchte
auch daraus entstehen, was da wollte.

Mein Bruder entblödete sich nicht der rechtschaff-
nen Frau ins Gesichte zu sagen sie verhärtete mich
nur durch ihr unverständiges nichts bedeutendes
Winseln. Bey allen Frauens-Leuten fünde man
eine gewisse Unart, einen Hochmuth aus der Tra-
goedie,
der solche junge Mädchens die an Ro-
mainen ihre Lust hätten, geschickt machte, alles zu
unternehmen, wenn sie nur bey jemand Mitley-
den fänden. Alter und Gemüth wären bey mir
zum Liebes-Fieber geneigt: Und meine Betrüb-
niß, davon sie so viel redete, würde mir das Hertz
nicht abstossen. Eher mögte meiner gütigen,
meiner allzugütigen Mutter das Hertz dabey bre-
chen. Sie mögte indeß so gut seyn, und noch-
mahl zu mir heraufgehn: wenn sie alsdenn auch

nichts
E e 3

der Clariſſa.
ſie koͤnnten nicht ruhig ſeyn, bis es geſchehen waͤ-
re, denn ſie wuͤßten allzuwohl, wie ſehr Lovelace
mein Hertz gefeſſelt haͤtte. Jch haͤtte es beynahe
ohne Umſchweif in meinen Briefen an meine
Onckles und an meine Geſchwiſter geſtanden, ob
ich gleich ſo unartig geweſen waͤre gegen meine
Mutter eine andere Sprache zu fuͤhren. Jch ver-
lieſſe mich auf ihre Guͤtigkeit, und ich wuͤßte gar zu
wohl, was ich bey ihnen ausrichten koͤnnte: Sie
wuͤrden mir auch nicht verboten haben, zu ihnen zu
kommen, und mit ihnen zu ſprechen, wenn ſie ſich
nicht allzuwohl bewußt waͤren, daß ſie mehr Liebe
fuͤr mich haͤtten, als ich fuͤr ſie. Sie wollten ein-
mahl vor allemahl Gehorſahm haben, oder ich ſoll-
te nie mit ihnen ausgeſoͤhnet werden, es moͤchte
auch daraus entſtehen, was da wollte.

Mein Bruder entbloͤdete ſich nicht der rechtſchaff-
nen Frau ins Geſichte zu ſagen ſie verhaͤrtete mich
nur durch ihr unverſtaͤndiges nichts bedeutendes
Winſeln. Bey allen Frauens-Leuten fuͤnde man
eine gewiſſe Unart, einen Hochmuth aus der Tra-
goedie,
der ſolche junge Maͤdchens die an Ro-
mainen ihre Luſt haͤtten, geſchickt machte, alles zu
unternehmen, wenn ſie nur bey jemand Mitley-
den faͤnden. Alter und Gemuͤth waͤren bey mir
zum Liebes-Fieber geneigt: Und meine Betruͤb-
niß, davon ſie ſo viel redete, wuͤrde mir das Hertz
nicht abſtoſſen. Eher moͤgte meiner guͤtigen,
meiner allzuguͤtigen Mutter das Hertz dabey bre-
chen. Sie moͤgte indeß ſo gut ſeyn, und noch-
mahl zu mir heraufgehn: wenn ſie alsdenn auch

nichts
E e 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0457" n="437"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;ie ko&#x0364;nnten nicht ruhig &#x017F;eyn, bis es ge&#x017F;chehen wa&#x0364;-<lb/>
re, denn &#x017F;ie wu&#x0364;ßten allzuwohl, wie &#x017F;ehr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi><lb/>
mein Hertz gefe&#x017F;&#x017F;elt ha&#x0364;tte. Jch ha&#x0364;tte es beynahe<lb/>
ohne Um&#x017F;chweif in meinen Briefen an meine<lb/>
Onckles und an meine Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter ge&#x017F;tanden, ob<lb/>
ich gleich &#x017F;o unartig gewe&#x017F;en wa&#x0364;re gegen meine<lb/>
Mutter eine andere Sprache zu fu&#x0364;hren. Jch ver-<lb/>
lie&#x017F;&#x017F;e mich auf ihre Gu&#x0364;tigkeit, und ich wu&#x0364;ßte gar zu<lb/>
wohl, was ich bey ihnen ausrichten ko&#x0364;nnte: Sie<lb/>
wu&#x0364;rden mir auch nicht verboten haben, zu ihnen zu<lb/>
kommen, und mit ihnen zu &#x017F;prechen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
nicht allzuwohl bewußt wa&#x0364;ren, daß &#x017F;ie mehr Liebe<lb/>
fu&#x0364;r mich ha&#x0364;tten, als ich fu&#x0364;r &#x017F;ie. Sie wollten ein-<lb/>
mahl vor allemahl Gehor&#x017F;ahm haben, oder ich &#x017F;oll-<lb/>
te nie mit ihnen ausge&#x017F;o&#x0364;hnet werden, es mo&#x0364;chte<lb/>
auch daraus ent&#x017F;tehen, was da wollte.</p><lb/>
        <p>Mein Bruder entblo&#x0364;dete &#x017F;ich nicht der recht&#x017F;chaff-<lb/>
nen Frau ins Ge&#x017F;ichte zu &#x017F;agen &#x017F;ie verha&#x0364;rtete mich<lb/>
nur durch ihr unver&#x017F;ta&#x0364;ndiges nichts bedeutendes<lb/>
Win&#x017F;eln. Bey allen Frauens-Leuten fu&#x0364;nde man<lb/>
eine gewi&#x017F;&#x017F;e Unart, einen Hochmuth aus der <hi rendition="#fr">Tra-<lb/>
goedie,</hi> der &#x017F;olche junge Ma&#x0364;dchens die an Ro-<lb/>
mainen ihre Lu&#x017F;t ha&#x0364;tten, ge&#x017F;chickt machte, alles zu<lb/>
unternehmen, wenn &#x017F;ie nur bey jemand Mitley-<lb/>
den fa&#x0364;nden. Alter und Gemu&#x0364;th wa&#x0364;ren bey mir<lb/>
zum Liebes-Fieber geneigt: Und meine Betru&#x0364;b-<lb/>
niß, davon &#x017F;ie &#x017F;o viel redete, wu&#x0364;rde mir das Hertz<lb/>
nicht ab&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en. Eher mo&#x0364;gte meiner gu&#x0364;tigen,<lb/>
meiner allzugu&#x0364;tigen Mutter das Hertz dabey bre-<lb/>
chen. Sie mo&#x0364;gte indeß &#x017F;o gut &#x017F;eyn, und noch-<lb/>
mahl zu mir heraufgehn: wenn &#x017F;ie alsdenn auch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 3</fw><fw place="bottom" type="catch">nichts</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[437/0457] der Clariſſa. ſie koͤnnten nicht ruhig ſeyn, bis es geſchehen waͤ- re, denn ſie wuͤßten allzuwohl, wie ſehr Lovelace mein Hertz gefeſſelt haͤtte. Jch haͤtte es beynahe ohne Umſchweif in meinen Briefen an meine Onckles und an meine Geſchwiſter geſtanden, ob ich gleich ſo unartig geweſen waͤre gegen meine Mutter eine andere Sprache zu fuͤhren. Jch ver- lieſſe mich auf ihre Guͤtigkeit, und ich wuͤßte gar zu wohl, was ich bey ihnen ausrichten koͤnnte: Sie wuͤrden mir auch nicht verboten haben, zu ihnen zu kommen, und mit ihnen zu ſprechen, wenn ſie ſich nicht allzuwohl bewußt waͤren, daß ſie mehr Liebe fuͤr mich haͤtten, als ich fuͤr ſie. Sie wollten ein- mahl vor allemahl Gehorſahm haben, oder ich ſoll- te nie mit ihnen ausgeſoͤhnet werden, es moͤchte auch daraus entſtehen, was da wollte. Mein Bruder entbloͤdete ſich nicht der rechtſchaff- nen Frau ins Geſichte zu ſagen ſie verhaͤrtete mich nur durch ihr unverſtaͤndiges nichts bedeutendes Winſeln. Bey allen Frauens-Leuten fuͤnde man eine gewiſſe Unart, einen Hochmuth aus der Tra- goedie, der ſolche junge Maͤdchens die an Ro- mainen ihre Luſt haͤtten, geſchickt machte, alles zu unternehmen, wenn ſie nur bey jemand Mitley- den faͤnden. Alter und Gemuͤth waͤren bey mir zum Liebes-Fieber geneigt: Und meine Betruͤb- niß, davon ſie ſo viel redete, wuͤrde mir das Hertz nicht abſtoſſen. Eher moͤgte meiner guͤtigen, meiner allzuguͤtigen Mutter das Hertz dabey bre- chen. Sie moͤgte indeß ſo gut ſeyn, und noch- mahl zu mir heraufgehn: wenn ſie alsdenn auch nichts E e 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/457
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/457>, abgerufen am 18.05.2024.