Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem
sie genug in der Schule der Meinigen unterrich-
tet war, was sie sagen sollte. Sie erzählte mir alles
was vorgegangen war, und drang sehr in mich,
daß ich gehorchen sollte. Sie richtete ihre Sache
so gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls
glaubte, sie wäre einer Meinung mit jenen gewor-
den. Als sie aber sahe, daß meine Abneigung un-
überwindlich war, so bedaurte sie mit mir, daß
die Meinigen so unbeweglich auf ihrem Vorsatz
beharreten. Sie suchte darauf Gewißheit zu erlan-
gen, ob es mein aufrichtiger Ernst sey, daß ich un-
verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Sosmesen
durch dieses Versprechen abkauffen könnte. Als
ich ihr das versichert hatte, so sahe sie ein, daß
ein solches Anerbieten, welches Lovelacen eben
so vollkommen alle Hoffnung würde benommen
haben, Annehmens-würdig sey. Sie wollte so
gar hinunter gehen, und gleichsahm Bürge für die
Aufrichtigkeit meiner Erklärung werden, ob ich
ihr gleich sagte, daß ich diesen Antrag fchon mehr
als einmahl vergeblich gethan hätte.

Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thränen
zurück, weil sie über ihr Gewerbe hart angelassen
war. Es hieß: sie hätten Recht auf den Gehor-
sahm zu dringen, den sie foderten, und nicht den
ich anzubieten Lust hätte. Mein Vorschlag sey
nut ein Kunstgriff, damit ich Zeit gewinnen woll-
te: sie wären mit keiner andern Bedingung zu-
frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete:
sie hätten mir dieses schon vorhin gesagt: und

sie
Die Geſchichte

Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem
ſie genug in der Schule der Meinigen unterrich-
tet war, was ſie ſagen ſollte. Sie erzaͤhlte mir alles
was vorgegangen war, und drang ſehr in mich,
daß ich gehorchen ſollte. Sie richtete ihre Sache
ſo gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls
glaubte, ſie waͤre einer Meinung mit jenen gewor-
den. Als ſie aber ſahe, daß meine Abneigung un-
uͤberwindlich war, ſo bedaurte ſie mit mir, daß
die Meinigen ſo unbeweglich auf ihrem Vorſatz
beharreten. Sie ſuchte darauf Gewißheit zu erlan-
gen, ob es mein aufrichtiger Ernſt ſey, daß ich un-
verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Soſmeſen
durch dieſes Verſprechen abkauffen koͤnnte. Als
ich ihr das verſichert hatte, ſo ſahe ſie ein, daß
ein ſolches Anerbieten, welches Lovelacen eben
ſo vollkommen alle Hoffnung wuͤrde benommen
haben, Annehmens-wuͤrdig ſey. Sie wollte ſo
gar hinunter gehen, und gleichſahm Buͤrge fuͤr die
Aufrichtigkeit meiner Erklaͤrung werden, ob ich
ihr gleich ſagte, daß ich dieſen Antrag fchon mehr
als einmahl vergeblich gethan haͤtte.

Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thraͤnen
zuruͤck, weil ſie uͤber ihr Gewerbe hart angelaſſen
war. Es hieß: ſie haͤtten Recht auf den Gehor-
ſahm zu dringen, den ſie foderten, und nicht den
ich anzubieten Luſt haͤtte. Mein Vorſchlag ſey
nut ein Kunſtgriff, damit ich Zeit gewinnen woll-
te: ſie waͤren mit keiner andern Bedingung zu-
frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete:
ſie haͤtten mir dieſes ſchon vorhin geſagt: und

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0456" n="436"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem<lb/>
&#x017F;ie genug in der Schule der Meinigen unterrich-<lb/>
tet war, was &#x017F;ie &#x017F;agen &#x017F;ollte. Sie erza&#x0364;hlte mir alles<lb/>
was vorgegangen war, und drang &#x017F;ehr in mich,<lb/>
daß ich gehorchen &#x017F;ollte. Sie richtete ihre Sache<lb/>
&#x017F;o gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls<lb/>
glaubte, &#x017F;ie wa&#x0364;re einer Meinung mit jenen gewor-<lb/>
den. Als &#x017F;ie aber &#x017F;ahe, daß meine Abneigung un-<lb/>
u&#x0364;berwindlich war, &#x017F;o bedaurte &#x017F;ie mit mir, daß<lb/>
die Meinigen &#x017F;o unbeweglich auf ihrem Vor&#x017F;atz<lb/>
beharreten. Sie &#x017F;uchte darauf Gewißheit zu erlan-<lb/>
gen, ob es mein aufrichtiger Ern&#x017F;t &#x017F;ey, daß ich un-<lb/>
verheyrathet bleiben wollte, wenn ich <hi rendition="#fr">So&#x017F;me&#x017F;en</hi><lb/>
durch die&#x017F;es Ver&#x017F;prechen abkauffen ko&#x0364;nnte. Als<lb/>
ich ihr das ver&#x017F;ichert hatte, &#x017F;o &#x017F;ahe &#x017F;ie ein, daß<lb/>
ein &#x017F;olches Anerbieten, welches <hi rendition="#fr">Lovelacen</hi> eben<lb/>
&#x017F;o vollkommen alle Hoffnung wu&#x0364;rde benommen<lb/>
haben, Annehmens-wu&#x0364;rdig &#x017F;ey. Sie wollte &#x017F;o<lb/>
gar hinunter gehen, und gleich&#x017F;ahm Bu&#x0364;rge fu&#x0364;r die<lb/>
Aufrichtigkeit meiner Erkla&#x0364;rung werden, ob ich<lb/>
ihr gleich &#x017F;agte, daß ich die&#x017F;en Antrag fchon mehr<lb/>
als einmahl vergeblich gethan ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thra&#x0364;nen<lb/>
zuru&#x0364;ck, weil &#x017F;ie u&#x0364;ber ihr Gewerbe hart angela&#x017F;&#x017F;en<lb/>
war. Es hieß: &#x017F;ie ha&#x0364;tten Recht auf den Gehor-<lb/>
&#x017F;ahm zu dringen, den &#x017F;ie foderten, und nicht den<lb/>
ich anzubieten Lu&#x017F;t ha&#x0364;tte. Mein Vor&#x017F;chlag &#x017F;ey<lb/>
nut ein Kun&#x017F;tgriff, damit ich Zeit gewinnen woll-<lb/>
te: &#x017F;ie wa&#x0364;ren mit keiner andern Bedingung zu-<lb/>
frieden, als daß ich Herrn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> heyrathete:<lb/>
&#x017F;ie ha&#x0364;tten mir die&#x017F;es &#x017F;chon vorhin ge&#x017F;agt: und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0456] Die Geſchichte Die brave Frau kam zu mir herauf, nachdem ſie genug in der Schule der Meinigen unterrich- tet war, was ſie ſagen ſollte. Sie erzaͤhlte mir alles was vorgegangen war, und drang ſehr in mich, daß ich gehorchen ſollte. Sie richtete ihre Sache ſo gut aus, daß ich in der That mehr als jemahls glaubte, ſie waͤre einer Meinung mit jenen gewor- den. Als ſie aber ſahe, daß meine Abneigung un- uͤberwindlich war, ſo bedaurte ſie mit mir, daß die Meinigen ſo unbeweglich auf ihrem Vorſatz beharreten. Sie ſuchte darauf Gewißheit zu erlan- gen, ob es mein aufrichtiger Ernſt ſey, daß ich un- verheyrathet bleiben wollte, wenn ich Soſmeſen durch dieſes Verſprechen abkauffen koͤnnte. Als ich ihr das verſichert hatte, ſo ſahe ſie ein, daß ein ſolches Anerbieten, welches Lovelacen eben ſo vollkommen alle Hoffnung wuͤrde benommen haben, Annehmens-wuͤrdig ſey. Sie wollte ſo gar hinunter gehen, und gleichſahm Buͤrge fuͤr die Aufrichtigkeit meiner Erklaͤrung werden, ob ich ihr gleich ſagte, daß ich dieſen Antrag fchon mehr als einmahl vergeblich gethan haͤtte. Sie ging hinunter, kam aber bald mit Thraͤnen zuruͤck, weil ſie uͤber ihr Gewerbe hart angelaſſen war. Es hieß: ſie haͤtten Recht auf den Gehor- ſahm zu dringen, den ſie foderten, und nicht den ich anzubieten Luſt haͤtte. Mein Vorſchlag ſey nut ein Kunſtgriff, damit ich Zeit gewinnen woll- te: ſie waͤren mit keiner andern Bedingung zu- frieden, als daß ich Herrn Solmes heyrathete: ſie haͤtten mir dieſes ſchon vorhin geſagt: und ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/456
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/456>, abgerufen am 23.11.2024.