worden, einige Gespräche anhören, die mich ins besondere angingen, daher ich ihm die Gelegen- heit abschnitt, sich mit mir allein zu unterreden.
Er ertrug dieses mit mehr Gelassenheit, als man von seiner Gemüthsbeschaffenheit dencken können, denn man sagt gemeiniglich, daß er sehr lebhaft und heftig sey; und es scheint, daß er von Kindheit auf nicht sey gewöhnt worden, Wider- spruch zu leiden, oder sich in seinen Neigungen Einhalt thun zu lassen: eine Sache die in vor- nehmen Familien, bey einzigen Söhnen gar zu ge- wöhnlich ist, und seine Mutter hat ausser ihm nie- mahls ein ander Kind gehabt. Wie ich Jhnen aber schon sonst erzählet habe, konnte ich dem ohn- geachtet wohl merken, daß er von sich eine viel zu gute Meynung habe, und gar nicht zweifele, seine Person und Artigkeit würde mich unvermerkt ein- nehmen. Er sagte zu meiner Base Hervey: wenn er mich nur einmahl gewonnen hätte, so hoffe er, von einem so standhaftem Gemüthe, daß meine Liebe gegen ihn desto dauerhafter seyn wür- de. Meine Schwester meinte ganz andere Ursa- chen seiner Gedult zu finden, und ihr Urtheil würde mehr Gewicht gehabt haben, wenn sie weniger Ur- sache gehabt hätte, durch Vorurtheile gegen ihn eingenommen zu seyn. Sie sagte, der Mensch möchte sich vielleicht überall nicht darnach sehnen, verheyrathet zu werden. Er möchte vielleicht ein Dutzend Maitressen haben, und der Verzug sey eben so vortheilhaft für seine Ausschweifungen, als für meine sehr wohlangenommene Kalt-
sinnig-
Die Geſchichte
worden, einige Geſpraͤche anhoͤren, die mich ins beſondere angingen, daher ich ihm die Gelegen- heit abſchnitt, ſich mit mir allein zu unterreden.
Er ertrug dieſes mit mehr Gelaſſenheit, als man von ſeiner Gemuͤthsbeſchaffenheit dencken koͤnnen, denn man ſagt gemeiniglich, daß er ſehr lebhaft und heftig ſey; und es ſcheint, daß er von Kindheit auf nicht ſey gewoͤhnt worden, Wider- ſpruch zu leiden, oder ſich in ſeinen Neigungen Einhalt thun zu laſſen: eine Sache die in vor- nehmen Familien, bey einzigen Soͤhnen gar zu ge- woͤhnlich iſt, und ſeine Mutter hat auſſer ihm nie- mahls ein ander Kind gehabt. Wie ich Jhnen aber ſchon ſonſt erzaͤhlet habe, konnte ich dem ohn- geachtet wohl merken, daß er von ſich eine viel zu gute Meynung habe, und gar nicht zweifele, ſeine Perſon und Artigkeit wuͤrde mich unvermerkt ein- nehmen. Er ſagte zu meiner Baſe Hervey: wenn er mich nur einmahl gewonnen haͤtte, ſo hoffe er, von einem ſo ſtandhaftem Gemuͤthe, daß meine Liebe gegen ihn deſto dauerhafter ſeyn wuͤr- de. Meine Schweſter meinte ganz andere Urſa- chen ſeiner Gedult zu finden, und ihr Urtheil wuͤrde mehr Gewicht gehabt haben, wenn ſie weniger Ur- ſache gehabt haͤtte, durch Vorurtheile gegen ihn eingenommen zu ſeyn. Sie ſagte, der Menſch moͤchte ſich vielleicht uͤberall nicht darnach ſehnen, verheyrathet zu werden. Er moͤchte vielleicht ein Dutzend Maitreſſen haben, und der Verzug ſey eben ſo vortheilhaft fuͤr ſeine Ausſchweifungen, als fuͤr meine ſehr wohlangenommene Kalt-
ſinnig-
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[24/0044]
Die Geſchichte
worden, einige Geſpraͤche anhoͤren, die mich ins
beſondere angingen, daher ich ihm die Gelegen-
heit abſchnitt, ſich mit mir allein zu unterreden.
Er ertrug dieſes mit mehr Gelaſſenheit, als
man von ſeiner Gemuͤthsbeſchaffenheit dencken
koͤnnen, denn man ſagt gemeiniglich, daß er ſehr
lebhaft und heftig ſey; und es ſcheint, daß er von
Kindheit auf nicht ſey gewoͤhnt worden, Wider-
ſpruch zu leiden, oder ſich in ſeinen Neigungen
Einhalt thun zu laſſen: eine Sache die in vor-
nehmen Familien, bey einzigen Soͤhnen gar zu ge-
woͤhnlich iſt, und ſeine Mutter hat auſſer ihm nie-
mahls ein ander Kind gehabt. Wie ich Jhnen
aber ſchon ſonſt erzaͤhlet habe, konnte ich dem ohn-
geachtet wohl merken, daß er von ſich eine viel zu
gute Meynung habe, und gar nicht zweifele, ſeine
Perſon und Artigkeit wuͤrde mich unvermerkt ein-
nehmen. Er ſagte zu meiner Baſe Hervey:
wenn er mich nur einmahl gewonnen haͤtte, ſo
hoffe er, von einem ſo ſtandhaftem Gemuͤthe, daß
meine Liebe gegen ihn deſto dauerhafter ſeyn wuͤr-
de. Meine Schweſter meinte ganz andere Urſa-
chen ſeiner Gedult zu finden, und ihr Urtheil wuͤrde
mehr Gewicht gehabt haben, wenn ſie weniger Ur-
ſache gehabt haͤtte, durch Vorurtheile gegen ihn
eingenommen zu ſeyn. Sie ſagte, der Menſch
moͤchte ſich vielleicht uͤberall nicht darnach ſehnen,
verheyrathet zu werden. Er moͤchte vielleicht ein
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eben ſo vortheilhaft fuͤr ſeine Ausſchweifungen,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/44>, abgerufen am 23.11.2024.
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