O Schönheit/ Affe aller Thoren/ Die du die Mode trägst/ so ein Phan- tast erdacht/ Und jede Kleidung wählst/ die jedes Land erkohren; Hier weiß als wie der Tag/dort schwartz als wie die Nacht; Bald scheckigt/und bald braun/hier gelb, und da mit Farben Geschminckt/ hier glatt und weich/ dort voll gemahlter Narben; Du Schmeichlerin/ die blos auf unser Urtheil schielt/ Du flüchtig Nichts/ das niemand fühlt.
Hätten aber beyde in unserer Zeit gelebt, und mei- ne Clarissa gesehen, so würden sie ihren Jrrthum gestanden haben. Gestalt, Gemüth, Aufführung, alles zusammen genommen, würden sie gezwungen ha- ben, dem allgemeinen Urtheil der Welt beyzutreten.
Wie manche Schöne hab' ich nicht Entzücket angestarrt! wenn Doris rei- tzend spricht, Wenn Liebe/Ton und Kunst ihr Wort zum Liede machen/ So fesselte sie oft mein aufmercksames Ohr/ Daß ich bey ihrem Schertz/ bey dein gewürtzten Lachen/ Der Arbeit und des Ernstes Zeit verlohr. Wie mancher Vorzug schöner Kinder/ Hat mir vorhin mein Hertz entwandt: Bey jeder/ die ich recht gekannt.
Ver-
Erster Theil. Y
der Clariſſa.
O Schoͤnheit/ Affe aller Thoren/ Die du die Mode traͤgſt/ ſo ein Phan- taſt erdacht/ Und jede Kleidung waͤhlſt/ die jedes Land erkohren; Hier weiß als wie der Tag/dort ſchwartz als wie die Nacht; Bald ſcheckigt/und bald braun/hier gelb, und da mit Farben Geſchminckt/ hier glatt und weich/ dort voll gemahlter Narben; Du Schmeichlerin/ die blos auf unſer Urtheil ſchielt/ Du fluͤchtig Nichts/ das niemand fuͤhlt.
Haͤtten aber beyde in unſerer Zeit gelebt, und mei- ne Clariſſa geſehen, ſo wuͤrden ſie ihren Jrrthum geſtanden haben. Geſtalt, Gemuͤth, Auffuͤhrung, alles zuſam̃en genom̃en, wuͤrden ſie gezwungen ha- ben, dem allgemeinen Urtheil der Welt beyzutreten.
Wie manche Schoͤne hab’ ich nicht Entzuͤcket angeſtarrt! wenn Doris rei- tzend ſpricht, Wenn Liebe/Ton und Kunſt ihr Wort zum Liede machen/ So feſſelte ſie oft mein aufmerckſames Ohr/ Daß ich bey ihrem Schertz/ bey dein gewuͤrtzten Lachen/ Der Arbeit und des Ernſtes Zeit verlohr. Wie mancher Vorzug ſchoͤner Kinder/ Hat mir vorhin mein Hertz entwandt: Bey jeder/ die ich recht gekannt.
Ver-
Erſter Theil. Y
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der Clariſſa.
O Schoͤnheit/ Affe aller Thoren/
Die du die Mode traͤgſt/ ſo ein Phan-
taſt erdacht/
Und jede Kleidung waͤhlſt/ die jedes
Land erkohren;
Hier weiß als wie der Tag/dort ſchwartz
als wie die Nacht;
Bald ſcheckigt/und bald braun/hier gelb,
und da mit Farben
Geſchminckt/ hier glatt und weich/ dort
voll gemahlter Narben;
Du Schmeichlerin/ die blos auf unſer
Urtheil ſchielt/
Du fluͤchtig Nichts/ das niemand fuͤhlt.
Haͤtten aber beyde in unſerer Zeit gelebt, und mei-
ne Clariſſa geſehen, ſo wuͤrden ſie ihren Jrrthum
geſtanden haben. Geſtalt, Gemuͤth, Auffuͤhrung,
alles zuſam̃en genom̃en, wuͤrden ſie gezwungen ha-
ben, dem allgemeinen Urtheil der Welt beyzutreten.
Wie manche Schoͤne hab’ ich nicht
Entzuͤcket angeſtarrt! wenn Doris rei-
tzend ſpricht,
Wenn Liebe/Ton und Kunſt ihr Wort
zum Liede machen/
So feſſelte ſie oft mein aufmerckſames
Ohr/
Daß ich bey ihrem Schertz/ bey dein
gewuͤrtzten Lachen/
Der Arbeit und des Ernſtes Zeit verlohr.
Wie mancher Vorzug ſchoͤner Kinder/
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Bey jeder/ die ich recht gekannt.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/357>, abgerufen am 17.05.2024.
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