solten, wenn meine neu erschaffene Göttin gütiger gegen mich war, als ich mir in meinem Klage-Lie- de, das an Felsen gerichtet seyn muß, mercken laffen durfte.
Es war noch eine andere Art der Eitelkeit die Ursache meiner Liebe. Jch fand, daß ich überhaupt bey dem Frauenzimmer wohl gelitten war: und es kam mir vor, als sey es eine artige Tyranney, wie sie sonst das Frauenzimmer über uns zu üben pflegt, wenn ich eine vor andern hervorzöge, um zehn andere neidisch und eifersüchtig zu machen. Jch kan dir sagen, daß es nicht ohne Würckung blieb: manches Auge habe ich mit eifersüchtigen Flammen gefüllet; manche Backen habe ich gefär- bet: manche Schöne ward von der andern mit dem Fechtel geschlagen: es folgte auch wohl eine lose und beissende Anmerckung, daß sie mit einem wilden jungen Menschen allein gewesen war, weil nicht beyde zugleich mit ihm allein seyn konten.
Mit einem Wort, mehr Hochmuth war es als Liebe, was mich zwang eine so wunderliche Trost- Reise vorzunehmen, als ich die vornehme Betrie- gerin verlohren geben muste. Jch meynte, sie liebte mich zum wenigsten eben so sehr als ich sie liebete: und ich war so von mir eingenommen, daß ich meinte, sie könte mich nicht weniger lieben. Meine Freunde waren mit meiner Wahl zufrie- den: sie wolten mich gern gefesselt sehen. Denn sie traueten mir schon frühzeitig in Absicht auf das an- dere Geschlecht nicht viel gutes zu. Sie sahen, daß das tantzende, das singende, das musicalische
Frauen-
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der Clariſſa.
ſolten, wenn meine neu erſchaffene Goͤttin guͤtiger gegen mich war, als ich mir in meinem Klage-Lie- de, das an Felſen gerichtet ſeyn muß, mercken laffen durfte.
Es war noch eine andere Art der Eitelkeit die Urſache meiner Liebe. Jch fand, daß ich uͤberhaupt bey dem Frauenzimmer wohl gelitten war: und es kam mir vor, als ſey es eine artige Tyranney, wie ſie ſonſt das Frauenzimmer uͤber uns zu uͤben pflegt, wenn ich eine vor andern hervorzoͤge, um zehn andere neidiſch und eiferſuͤchtig zu machen. Jch kan dir ſagen, daß es nicht ohne Wuͤrckung blieb: manches Auge habe ich mit eiferſuͤchtigen Flammen gefuͤllet; manche Backen habe ich gefaͤr- bet: manche Schoͤne ward von der andern mit dem Fechtel geſchlagen: es folgte auch wohl eine loſe und beiſſende Anmerckung, daß ſie mit einem wilden jungen Menſchen allein geweſen war, weil nicht beyde zugleich mit ihm allein ſeyn konten.
Mit einem Wort, mehr Hochmuth war es als Liebe, was mich zwang eine ſo wunderliche Troſt- Reiſe vorzunehmen, als ich die vornehme Betrie- gerin verlohren geben muſte. Jch meynte, ſie liebte mich zum wenigſten eben ſo ſehr als ich ſie liebete: und ich war ſo von mir eingenommen, daß ich meinte, ſie koͤnte mich nicht weniger lieben. Meine Freunde waren mit meiner Wahl zufrie- den: ſie wolten mich gern gefeſſelt ſehen. Denn ſie traueten mir ſchon fruͤhzeitig in Abſicht auf das an- dere Geſchlecht nicht viel gutes zu. Sie ſahen, daß das tantzende, das ſingende, das muſicaliſche
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der Clariſſa.
ſolten, wenn meine neu erſchaffene Goͤttin guͤtiger
gegen mich war, als ich mir in meinem Klage-Lie-
de, das an Felſen gerichtet ſeyn muß, mercken
laffen durfte.
Es war noch eine andere Art der Eitelkeit die
Urſache meiner Liebe. Jch fand, daß ich uͤberhaupt
bey dem Frauenzimmer wohl gelitten war: und
es kam mir vor, als ſey es eine artige Tyranney,
wie ſie ſonſt das Frauenzimmer uͤber uns zu uͤben
pflegt, wenn ich eine vor andern hervorzoͤge, um
zehn andere neidiſch und eiferſuͤchtig zu machen.
Jch kan dir ſagen, daß es nicht ohne Wuͤrckung
blieb: manches Auge habe ich mit eiferſuͤchtigen
Flammen gefuͤllet; manche Backen habe ich gefaͤr-
bet: manche Schoͤne ward von der andern mit
dem Fechtel geſchlagen: es folgte auch wohl eine
loſe und beiſſende Anmerckung, daß ſie mit einem
wilden jungen Menſchen allein geweſen war, weil
nicht beyde zugleich mit ihm allein ſeyn konten.
Mit einem Wort, mehr Hochmuth war es als
Liebe, was mich zwang eine ſo wunderliche Troſt-
Reiſe vorzunehmen, als ich die vornehme Betrie-
gerin verlohren geben muſte. Jch meynte, ſie
liebte mich zum wenigſten eben ſo ſehr als ich ſie
liebete: und ich war ſo von mir eingenommen, daß
ich meinte, ſie koͤnte mich nicht weniger lieben.
Meine Freunde waren mit meiner Wahl zufrie-
den: ſie wolten mich gern gefeſſelt ſehen. Denn ſie
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/347>, abgerufen am 25.11.2024.
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