Meinung, sondern mit Gewalt und durch Furcht wollen sie mich zwingen, meines Bruders Absich- ten zu erfüllen. Meine eintzige Hoffnung ist, daß ich mich so lange werde halten können, bis mein Vetter Morden von Florentz ankommt: denn man erwartet ihn sehr bald. Wenn aber ein naher Tag vest gesetzt wird, so fürchte ich, daß er zu spät kommen wird, mich zu retten.
Aus meines Bruders Briefe ist klar, daß mei- ne Mutter in der Nachricht, die sie von unserer Unterredung geben mußte, meiner nicht gescho- net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein Bruder Asichten hätte, die ich zu vernichten su- chen sollte. Allein sie hatte einmal versprochen eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu geben was zwischen ihr und mir vorfallen wür- de: und es war leidlicher sich von einer Tochter loszusagen, als mit dem Manne und mit al- len im Hause zu zerfallen.
Sie meynen nun, daß sie gewonnen haben, nachdem ich meiner armen Hannichen beraubet bin. Allein so lange ich noch Freyheit habe in den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu besehen; irren sie sich in ihrer Hoffnung.
Jch fragte Elisabeth: ob sie auf mich Ach- tung geben oder mit mir gehen solte? und ob ich von ihr Erlaubniß haben müßte, wenn ich in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be- suchen wolle?
Um Gottes willen, sagte sie, was soll die Frage bedeuten? Sie gestand indessen, sie habe
ge-
R 3
der Clariſſa.
Meinung, ſondern mit Gewalt und durch Furcht wollen ſie mich zwingen, meines Bruders Abſich- ten zu erfuͤllen. Meine eintzige Hoffnung iſt, daß ich mich ſo lange werde halten koͤnnen, bis mein Vetter Morden von Florentz ankommt: denn man erwartet ihn ſehr bald. Wenn aber ein naher Tag veſt geſetzt wird, ſo fuͤrchte ich, daß er zu ſpaͤt kommen wird, mich zu retten.
Aus meines Bruders Briefe iſt klar, daß mei- ne Mutter in der Nachricht, die ſie von unſerer Unterredung geben mußte, meiner nicht geſcho- net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein Bruder Aſichten haͤtte, die ich zu vernichten ſu- chen ſollte. Allein ſie hatte einmal verſprochen eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu geben was zwiſchen ihr und mir vorfallen wuͤr- de: und es war leidlicher ſich von einer Tochter loszuſagen, als mit dem Manne und mit al- len im Hauſe zu zerfallen.
Sie meynen nun, daß ſie gewonnen haben, nachdem ich meiner armen Hannichen beraubet bin. Allein ſo lange ich noch Freyheit habe in den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu beſehen; irren ſie ſich in ihrer Hoffnung.
Jch fragte Eliſabeth: ob ſie auf mich Ach- tung geben oder mit mir gehen ſolte? und ob ich von ihr Erlaubniß haben muͤßte, wenn ich in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be- ſuchen wolle?
Um Gottes willen, ſagte ſie, was ſoll die Frage bedeuten? Sie geſtand indeſſen, ſie habe
ge-
R 3
<TEI><text><body><divn="2"><divn="2"><p><pbfacs="#f0281"n="261"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa.</hi></hi></fw><lb/>
Meinung, ſondern mit Gewalt und durch Furcht<lb/>
wollen ſie mich zwingen, meines Bruders Abſich-<lb/>
ten zu erfuͤllen. Meine eintzige Hoffnung iſt,<lb/>
daß ich mich ſo lange werde halten koͤnnen, bis<lb/>
mein Vetter <hirendition="#fr">Morden</hi> von <hirendition="#fr">Florentz</hi> ankommt:<lb/>
denn man erwartet ihn ſehr bald. Wenn aber<lb/>
ein naher Tag veſt geſetzt wird, ſo fuͤrchte ich, daß<lb/>
er zu ſpaͤt kommen wird, mich zu retten.</p><lb/><p>Aus meines Bruders Briefe iſt klar, daß mei-<lb/>
ne Mutter in der Nachricht, die ſie von unſerer<lb/>
Unterredung geben mußte, meiner nicht geſcho-<lb/>
net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein<lb/>
Bruder Aſichten haͤtte, die ich zu vernichten ſu-<lb/>
chen ſollte. Allein ſie hatte einmal verſprochen<lb/>
eine <hirendition="#fr">aufrichtige</hi> Nachricht von allem dem zu<lb/>
geben was zwiſchen ihr und mir vorfallen wuͤr-<lb/>
de: und es war leidlicher ſich von einer Tochter<lb/>
loszuſagen, als mit dem Manne und mit al-<lb/>
len im Hauſe zu zerfallen.</p><lb/><p>Sie meynen nun, daß ſie gewonnen haben,<lb/>
nachdem ich meiner armen H<hirendition="#fr">annichen</hi> beraubet<lb/>
bin. Allein ſo lange ich noch Freyheit habe in<lb/>
den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu<lb/>
beſehen; irren ſie ſich in ihrer Hoffnung.</p><lb/><p>Jch fragte <hirendition="#fr">Eliſabeth:</hi> ob ſie auf mich Ach-<lb/>
tung geben oder mit mir gehen ſolte? und ob<lb/>
ich von ihr Erlaubniß haben muͤßte, wenn ich<lb/>
in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be-<lb/>ſuchen wolle?</p><lb/><p>Um Gottes willen, ſagte ſie, was ſoll die<lb/>
Frage bedeuten? Sie geſtand indeſſen, ſie habe<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ge-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[261/0281]
der Clariſſa.
Meinung, ſondern mit Gewalt und durch Furcht
wollen ſie mich zwingen, meines Bruders Abſich-
ten zu erfuͤllen. Meine eintzige Hoffnung iſt,
daß ich mich ſo lange werde halten koͤnnen, bis
mein Vetter Morden von Florentz ankommt:
denn man erwartet ihn ſehr bald. Wenn aber
ein naher Tag veſt geſetzt wird, ſo fuͤrchte ich, daß
er zu ſpaͤt kommen wird, mich zu retten.
Aus meines Bruders Briefe iſt klar, daß mei-
ne Mutter in der Nachricht, die ſie von unſerer
Unterredung geben mußte, meiner nicht geſcho-
net hat. Sie gab mir einen Winck, daß mein
Bruder Aſichten haͤtte, die ich zu vernichten ſu-
chen ſollte. Allein ſie hatte einmal verſprochen
eine aufrichtige Nachricht von allem dem zu
geben was zwiſchen ihr und mir vorfallen wuͤr-
de: und es war leidlicher ſich von einer Tochter
loszuſagen, als mit dem Manne und mit al-
len im Hauſe zu zerfallen.
Sie meynen nun, daß ſie gewonnen haben,
nachdem ich meiner armen Hannichen beraubet
bin. Allein ſo lange ich noch Freyheit habe in
den Garten zu gehen, und mein Feder- Vieh zu
beſehen; irren ſie ſich in ihrer Hoffnung.
Jch fragte Eliſabeth: ob ſie auf mich Ach-
tung geben oder mit mir gehen ſolte? und ob
ich von ihr Erlaubniß haben muͤßte, wenn ich
in den Garten gehen oder mein Feder- Vieh be-
ſuchen wolle?
Um Gottes willen, ſagte ſie, was ſoll die
Frage bedeuten? Sie geſtand indeſſen, ſie habe
ge-
R 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/281>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.