von. Du hast noch einige Zeit/ weil er zum Abend-Essen bleiben wird. Jch will zu dir nicht wieder kommen. Mit diesen Worten ging sie weg.
Was konnte ich anders thun, als weinen? Wegen meiner Mutter bin ich am meisten beküm- mert; mehr als um mein selbst willen. Sie ver- dient, wenn ich alles überlege, noch mehr Mit- leiden als ich, insonderheit deswegen, weil sie ge- gen ihre eigene Einsicht handeln muß. Sie ist ein unvergleichliches Frauenzimmer! und es ist betrübt, daß ihre Sanfftmuth und Herablassung nicht durch die natürlichen Folgen dieser liebens- würdigen Eigenschafften belohnt wird. Allein es würde nie so weit gekommen seyn, wenn sie sich früh in Acht genommen hätte, daß hefftige Ge- müther nicht hätten mercken können, was sie für Gewalt über sie haben.
Meine Feder verführt mich zum schreiben: und ich vergesse unterdessen, daß meine Mutter auf mich warten kan, und vielleicht wegen ihrer ei- genen Umstände auf mich ungehalten ist. Sie hat mir zu verstehen gegeben, ich müste zu ihr kommen, wenn ich meine Entschliessung änderte: das ist in der That so viel als ein Verbot, bey der Gesinnung die ich jetzt habe, zu ihr zu kom- men. Allein sie ist im Unwillen von mir gegan- gen: und so hat es ein trotziges Ansehen, und läst bey nahe als wenn ich mich ihrer Vorsprache und Vermittelung begeben wollte, wenn ich nicht zu ihr gehe, und sie ersuche, Mitleiden mit mir zu
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der Clariſſa.
von. Du haſt noch einige Zeit/ weil er zum Abend-Eſſen bleiben wird. Jch will zu dir nicht wieder kommen. Mit dieſen Worten ging ſie weg.
Was konnte ich anders thun, als weinen? Wegen meiner Mutter bin ich am meiſten bekuͤm- mert; mehr als um mein ſelbſt willen. Sie ver- dient, wenn ich alles uͤberlege, noch mehr Mit- leiden als ich, inſonderheit deswegen, weil ſie ge- gen ihre eigene Einſicht handeln muß. Sie iſt ein unvergleichliches Frauenzimmer! und es iſt betruͤbt, daß ihre Sanfftmuth und Herablaſſung nicht durch die natuͤrlichen Folgen dieſer liebens- wuͤrdigen Eigenſchafften belohnt wird. Allein es wuͤrde nie ſo weit gekommen ſeyn, wenn ſie ſich fruͤh in Acht genommen haͤtte, daß hefftige Ge- muͤther nicht haͤtten mercken koͤnnen, was ſie fuͤr Gewalt uͤber ſie haben.
Meine Feder verfuͤhrt mich zum ſchreiben: und ich vergeſſe unterdeſſen, daß meine Mutter auf mich warten kan, und vielleicht wegen ihrer ei- genen Umſtaͤnde auf mich ungehalten iſt. Sie hat mir zu verſtehen gegeben, ich muͤſte zu ihr kommen, wenn ich meine Entſchlieſſung aͤnderte: das iſt in der That ſo viel als ein Verbot, bey der Geſinnung die ich jetzt habe, zu ihr zu kom- men. Allein ſie iſt im Unwillen von mir gegan- gen: und ſo hat es ein trotziges Anſehen, und laͤſt bey nahe als wenn ich mich ihrer Vorſprache und Vermittelung begeben wollte, wenn ich nicht zu ihr gehe, und ſie erſuche, Mitleiden mit mir zu
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der Clariſſa.
von. Du haſt noch einige Zeit/ weil er
zum Abend-Eſſen bleiben wird. Jch will
zu dir nicht wieder kommen. Mit dieſen
Worten ging ſie weg.
Was konnte ich anders thun, als weinen?
Wegen meiner Mutter bin ich am meiſten bekuͤm-
mert; mehr als um mein ſelbſt willen. Sie ver-
dient, wenn ich alles uͤberlege, noch mehr Mit-
leiden als ich, inſonderheit deswegen, weil ſie ge-
gen ihre eigene Einſicht handeln muß. Sie iſt
ein unvergleichliches Frauenzimmer! und es iſt
betruͤbt, daß ihre Sanfftmuth und Herablaſſung
nicht durch die natuͤrlichen Folgen dieſer liebens-
wuͤrdigen Eigenſchafften belohnt wird. Allein
es wuͤrde nie ſo weit gekommen ſeyn, wenn ſie ſich
fruͤh in Acht genommen haͤtte, daß hefftige Ge-
muͤther nicht haͤtten mercken koͤnnen, was ſie fuͤr
Gewalt uͤber ſie haben.
Meine Feder verfuͤhrt mich zum ſchreiben: und
ich vergeſſe unterdeſſen, daß meine Mutter auf
mich warten kan, und vielleicht wegen ihrer ei-
genen Umſtaͤnde auf mich ungehalten iſt. Sie
hat mir zu verſtehen gegeben, ich muͤſte zu ihr
kommen, wenn ich meine Entſchlieſſung aͤnderte:
das iſt in der That ſo viel als ein Verbot, bey
der Geſinnung die ich jetzt habe, zu ihr zu kom-
men. Allein ſie iſt im Unwillen von mir gegan-
gen: und ſo hat es ein trotziges Anſehen, und laͤſt
bey nahe als wenn ich mich ihrer Vorſprache und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/253>, abgerufen am 21.11.2024.
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