meines Hertzens nicht geredet hätten, wenn etwas anders als Ehrerbietung und Unterwerfung in ih- nen befindlich gewesen wäre.) Sie sollen sich nicht von mir losreissen. (Denn sie suchte noch immer von mir zu kommen, und sahe bald auf diese bald auf jene Seite mit einer liebens- würdigen Verwirrung, als wenn sie nicht wüste, was sie selbst anfangen sollte.) Jch will nicht aufstehen/ nicht weggehen/ sie nicht los- lassen/ bis sie sagen/ daß sie nicht unwil- lig auf mich sind.
Sie schlug ihre lieben Arme um meinen Hals, wie ich die meinigen um ihre Knie, und sagte: "o du allzubewegliches Kind für mein Hertz! "Warum ward mir diese Arbeit - - Aber laß "mich jetzt allein! Jch kan es nicht ausspre- "chen in was für Unruhe ich jetzt bin. Jch will "nicht ungehalten auf dich seyn, wenn ich es un- "terlassen kan, und wenn du ein gutes Kind seyn "willst."
Jch stund mit Zittern auf, und wuste kaum was ich that, oder wie ich stand und wegging. Meine Hannichen kam gleich zu mir auf meine Stube, als sie hörte, daß ich von meiner Mut- ter weggegangen war, und brachte mir frisches Wasser, damit ich nicht ohnmächtig werden möchte. Das war alles, was sie ausrichten konnte. Denn es währte zwey Stunden, ehe ich so viel wieder zu mir selbst kam, daß ich die Feder ergreifen konnte, um Jhnen den betrübten Aus- gang meiner Hoffnung zu meldeu.
Mei-
Die Geſchichte
meines Hertzens nicht geredet haͤtten, wenn etwas anders als Ehrerbietung und Unterwerfung in ih- nen befindlich geweſen waͤre.) Sie ſollen ſich nicht von mir losreiſſen. (Denn ſie ſuchte noch immer von mir zu kommen, und ſahe bald auf dieſe bald auf jene Seite mit einer liebens- wuͤrdigen Verwirrung, als wenn ſie nicht wuͤſte, was ſie ſelbſt anfangen ſollte.) Jch will nicht aufſtehen/ nicht weggehen/ ſie nicht los- laſſen/ bis ſie ſagen/ daß ſie nicht unwil- lig auf mich ſind.
Sie ſchlug ihre lieben Arme um meinen Hals, wie ich die meinigen um ihre Knie, und ſagte: „o du allzubewegliches Kind fuͤr mein Hertz! „Warum ward mir dieſe Arbeit ‒ ‒ Aber laß „mich jetzt allein! Jch kan es nicht ausſpre- „chen in was fuͤr Unruhe ich jetzt bin. Jch will „nicht ungehalten auf dich ſeyn, wenn ich es un- „terlaſſen kan, und wenn du ein gutes Kind ſeyn „willſt.„
Jch ſtund mit Zittern auf, und wuſte kaum was ich that, oder wie ich ſtand und wegging. Meine Hannichen kam gleich zu mir auf meine Stube, als ſie hoͤrte, daß ich von meiner Mut- ter weggegangen war, und brachte mir friſches Waſſer, damit ich nicht ohnmaͤchtig werden moͤchte. Das war alles, was ſie ausrichten konnte. Denn es waͤhrte zwey Stunden, ehe ich ſo viel wieder zu mir ſelbſt kam, daß ich die Feder ergreifen konnte, um Jhnen den betruͤbten Aus- gang meiner Hoffnung zu meldeu.
Mei-
<TEI><text><body><divn="2"><p><pbfacs="#f0224"n="204"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
meines Hertzens nicht geredet haͤtten, wenn etwas<lb/>
anders als Ehrerbietung und Unterwerfung in ih-<lb/>
nen befindlich geweſen waͤre.) <hirendition="#fr">Sie ſollen ſich<lb/>
nicht von mir losreiſſen.</hi> (Denn ſie ſuchte<lb/>
noch immer von mir zu kommen, und ſahe bald<lb/>
auf dieſe bald auf jene Seite mit einer liebens-<lb/>
wuͤrdigen Verwirrung, als wenn ſie nicht wuͤſte,<lb/>
was ſie ſelbſt anfangen ſollte.) <hirendition="#fr">Jch will nicht<lb/>
aufſtehen/ nicht weggehen/ ſie nicht los-<lb/>
laſſen/ bis ſie ſagen/ daß ſie nicht unwil-<lb/>
lig auf mich ſind.</hi></p><lb/><p>Sie ſchlug ihre lieben Arme um meinen Hals,<lb/>
wie ich die meinigen um ihre Knie, und ſagte:<lb/>„o du allzubewegliches Kind fuͤr mein Hertz!<lb/>„Warum ward mir dieſe Arbeit ‒‒ Aber laß<lb/>„mich jetzt allein! Jch kan es nicht ausſpre-<lb/>„chen in was fuͤr Unruhe ich jetzt bin. Jch will<lb/>„nicht ungehalten auf dich ſeyn, wenn ich es un-<lb/>„terlaſſen kan, und wenn du ein gutes Kind ſeyn<lb/>„willſt.„</p><lb/><p>Jch ſtund mit Zittern auf, und wuſte kaum<lb/>
was ich that, oder wie ich ſtand und wegging.<lb/>
Meine H<hirendition="#fr">annichen</hi> kam gleich zu mir auf meine<lb/>
Stube, als ſie hoͤrte, daß ich von meiner Mut-<lb/>
ter weggegangen war, und brachte mir friſches<lb/>
Waſſer, damit ich nicht ohnmaͤchtig werden<lb/>
moͤchte. Das war alles, was ſie ausrichten<lb/>
konnte. Denn es waͤhrte zwey Stunden, ehe ich<lb/>ſo viel wieder zu mir ſelbſt kam, daß ich die Feder<lb/>
ergreifen konnte, um Jhnen den betruͤbten Aus-<lb/>
gang meiner Hoffnung zu meldeu.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Mei-</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[204/0224]
Die Geſchichte
meines Hertzens nicht geredet haͤtten, wenn etwas
anders als Ehrerbietung und Unterwerfung in ih-
nen befindlich geweſen waͤre.) Sie ſollen ſich
nicht von mir losreiſſen. (Denn ſie ſuchte
noch immer von mir zu kommen, und ſahe bald
auf dieſe bald auf jene Seite mit einer liebens-
wuͤrdigen Verwirrung, als wenn ſie nicht wuͤſte,
was ſie ſelbſt anfangen ſollte.) Jch will nicht
aufſtehen/ nicht weggehen/ ſie nicht los-
laſſen/ bis ſie ſagen/ daß ſie nicht unwil-
lig auf mich ſind.
Sie ſchlug ihre lieben Arme um meinen Hals,
wie ich die meinigen um ihre Knie, und ſagte:
„o du allzubewegliches Kind fuͤr mein Hertz!
„Warum ward mir dieſe Arbeit ‒ ‒ Aber laß
„mich jetzt allein! Jch kan es nicht ausſpre-
„chen in was fuͤr Unruhe ich jetzt bin. Jch will
„nicht ungehalten auf dich ſeyn, wenn ich es un-
„terlaſſen kan, und wenn du ein gutes Kind ſeyn
„willſt.„
Jch ſtund mit Zittern auf, und wuſte kaum
was ich that, oder wie ich ſtand und wegging.
Meine Hannichen kam gleich zu mir auf meine
Stube, als ſie hoͤrte, daß ich von meiner Mut-
ter weggegangen war, und brachte mir friſches
Waſſer, damit ich nicht ohnmaͤchtig werden
moͤchte. Das war alles, was ſie ausrichten
konnte. Denn es waͤhrte zwey Stunden, ehe ich
ſo viel wieder zu mir ſelbſt kam, daß ich die Feder
ergreifen konnte, um Jhnen den betruͤbten Aus-
gang meiner Hoffnung zu meldeu.
Mei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/224>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.