"Aber, mein Hertz, was soll ich gegen die "vortheilhaften Bedingungen einwenden, die "Herr Solmes anträgt? Durch diese hat er je- "dermann eingenommen. Er hat deinem Bruder "Hoffnung zu Vertauschung einiger Güter ge- "macht, oder wenigstens dazu, daß er das Gut "in Schottland an sich kauffen wolle; denn du "must wissen, daß die Absicht unserer Familie ist, "in dieser Gegend mehr Güter anzukauffen. Dein "Bruder hat einen Entwurf aufgesetzt, der uns "allen ausserordentlich wohl gefallen hat: und eine "so reiche Familie, die ihre Absicht auf Ehre ge- "richtet hat, kan nicht anders als mit Vergnü- "gen eine nahe Hoffnung vor sich sehen, daß "sie unter den Vornehmsten im Königreich einen "Platz bekommen könne.
"Allein soll ich denn um dieser Absichten wil- "len, und um diesen Entwurf meines Bruders "wahr und würcklich zu machen, einer mir uner- "träglichen Person aufgeopfert werden? Aller- "liebste Mutter, erretten sie mich, wenn es anders "möglich ist, von diesem grossen Unglück! Jch "wlll mich lieber lebendig begraben lassen, als "ihn nehmen."
Sie verwieß mir meine Hefftigkeit, allein sie versprach mir zugleich, eine Gelegenheit zu suchen, daß sie mit meinem Onckle Harlowe meinetwegen reden könnte. Wenn es dieser für rathsam hielte und mit für mich sprechen wollte, so versprach sie auch mit meinem Vater zu reden: und ich sollte des andern Morgens weitere Nachricht haben. Sie
ging
N 3
der Clariſſa.
„Aber, mein Hertz, was ſoll ich gegen die „vortheilhaften Bedingungen einwenden, die „Herr Solmes antraͤgt? Durch dieſe hat er je- „dermann eingenommen. Er hat deinem Bruder „Hoffnung zu Vertauſchung einiger Guͤter ge- „macht, oder wenigſtens dazu, daß er das Gut „in Schottland an ſich kauffen wolle; denn du „muſt wiſſen, daß die Abſicht unſerer Familie iſt, „in dieſer Gegend mehr Guͤter anzukauffen. Dein „Bruder hat einen Entwurf aufgeſetzt, der uns „allen auſſerordentlich wohl gefallen hat: und eine „ſo reiche Familie, die ihre Abſicht auf Ehre ge- „richtet hat, kan nicht anders als mit Vergnuͤ- „gen eine nahe Hoffnung vor ſich ſehen, daß „ſie unter den Vornehmſten im Koͤnigreich einen „Platz bekommen koͤnne.
„Allein ſoll ich denn um dieſer Abſichten wil- „len, und um dieſen Entwurf meines Bruders „wahr und wuͤrcklich zu machen, einer mir uner- „traͤglichen Perſon aufgeopfert werden? Aller- „liebſte Mutter, erretten ſie mich, wenn es anders „moͤglich iſt, von dieſem groſſen Ungluͤck! Jch „wlll mich lieber lebendig begraben laſſen, als „ihn nehmen.„
Sie verwieß mir meine Hefftigkeit, allein ſie verſprach mir zugleich, eine Gelegenheit zu ſuchen, daß ſie mit meinem Onckle Harlowe meinetwegen reden koͤnnte. Wenn es dieſer fuͤr rathſam hielte und mit fuͤr mich ſprechen wollte, ſo verſprach ſie auch mit meinem Vater zu reden: und ich ſollte des andern Morgens weitere Nachricht haben. Sie
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der Clariſſa.
„Aber, mein Hertz, was ſoll ich gegen die
„vortheilhaften Bedingungen einwenden, die
„Herr Solmes antraͤgt? Durch dieſe hat er je-
„dermann eingenommen. Er hat deinem Bruder
„Hoffnung zu Vertauſchung einiger Guͤter ge-
„macht, oder wenigſtens dazu, daß er das Gut
„in Schottland an ſich kauffen wolle; denn du
„muſt wiſſen, daß die Abſicht unſerer Familie iſt,
„in dieſer Gegend mehr Guͤter anzukauffen. Dein
„Bruder hat einen Entwurf aufgeſetzt, der uns
„allen auſſerordentlich wohl gefallen hat: und eine
„ſo reiche Familie, die ihre Abſicht auf Ehre ge-
„richtet hat, kan nicht anders als mit Vergnuͤ-
„gen eine nahe Hoffnung vor ſich ſehen, daß
„ſie unter den Vornehmſten im Koͤnigreich einen
„Platz bekommen koͤnne.
„Allein ſoll ich denn um dieſer Abſichten wil-
„len, und um dieſen Entwurf meines Bruders
„wahr und wuͤrcklich zu machen, einer mir uner-
„traͤglichen Perſon aufgeopfert werden? Aller-
„liebſte Mutter, erretten ſie mich, wenn es anders
„moͤglich iſt, von dieſem groſſen Ungluͤck! Jch
„wlll mich lieber lebendig begraben laſſen, als
„ihn nehmen.„
Sie verwieß mir meine Hefftigkeit, allein ſie
verſprach mir zugleich, eine Gelegenheit zu ſuchen,
daß ſie mit meinem Onckle Harlowe meinetwegen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/217>, abgerufen am 23.11.2024.
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