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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.

"Nun hoffe ich wirst du mir auch erlauben zu
"sprechen, Clärchen: denn ich meine, daß ich
"mit dir Geduld gehabt habe. Hätte ich den-
"cken können - - doch ich will mich kurtz fassen.
"Deine Mutter soll dir ein Exempel der Geduld
"geben, die du so dreiste von ihr foderst, und doch
"selbst nicht beweisest."

Diese Herablassung meiner Mutter machte
mich recht bekümmert, und ging mir weit mehr
zn Hertzen, als Schärffe und Härte hätte thun
können. Allein sie wuste und ich glaube sie über-
legte
auch, daß sie etwas sehr hartes und unange-
nehmes zu bestellen übernommen hatte, ja ich mag
sagen, etwas ungerechtes: sonst würde sie nicht so
viel Geduld mit mir gehabt haben.

"Du must wissen, fuhr sie fort, daß auf eine
"kurtze Zeit, darinn du dich besinnen kannst,
"alles ankommet: das hat mir dein Vater mit
"den Worten gesagt. Bisher bist du ein ge-
"horsames Kind gewesen, wie du mir so oft vor-
"rückest. Du hast aber auch nicht Ursache ge-
"habt ungehorsam zu seyn: denn es hat nicht
"leicht ein Kind mehr Liebe genossen als du. Bey
"dir steht es nun, was du zu thun gedenckst.
"Willst du alle deine vorigen guten Wercke
"schwartz machen? Willst du zu der Zeit, da
"man von dir erwartet, daß du deinen kindlichen
"Gehorsam durch die grösseste Probe crönen wer-
"dest, da du sagest, daß dein Hertz frey von Lie-
"be sey, uns diese so gewünschte Probe geben?
"Oder hast du die Absicht, frey und ungebunden

nach
M 3
der Clariſſa.

„Nun hoffe ich wirſt du mir auch erlauben zu
„ſprechen, Claͤrchen: denn ich meine, daß ich
„mit dir Geduld gehabt habe. Haͤtte ich den-
„cken koͤnnen ‒ ‒ doch ich will mich kurtz faſſen.
„Deine Mutter ſoll dir ein Exempel der Geduld
„geben, die du ſo dreiſte von ihr foderſt, und doch
„ſelbſt nicht beweiſeſt.„

Dieſe Herablaſſung meiner Mutter machte
mich recht bekuͤmmert, und ging mir weit mehr
zn Hertzen, als Schaͤrffe und Haͤrte haͤtte thun
koͤnnen. Allein ſie wuſte und ich glaube ſie uͤber-
legte
auch, daß ſie etwas ſehr hartes und unange-
nehmes zu beſtellen uͤbernommen hatte, ja ich mag
ſagen, etwas ungerechtes: ſonſt wuͤrde ſie nicht ſo
viel Geduld mit mir gehabt haben.

„Du muſt wiſſen, fuhr ſie fort, daß auf eine
„kurtze Zeit, darinn du dich beſinnen kannſt,
„alles ankommet: das hat mir dein Vater mit
„den Worten geſagt. Bisher biſt du ein ge-
„horſames Kind geweſen, wie du mir ſo oft vor-
„ruͤckeſt. Du haſt aber auch nicht Urſache ge-
„habt ungehorſam zu ſeyn: denn es hat nicht
„leicht ein Kind mehr Liebe genoſſen als du. Bey
„dir ſteht es nun, was du zu thun gedenckſt.
„Willſt du alle deine vorigen guten Wercke
„ſchwartz machen? Willſt du zu der Zeit, da
„man von dir erwartet, daß du deinen kindlichen
„Gehorſam durch die groͤſſeſte Probe croͤnen wer-
„deſt, da du ſageſt, daß dein Hertz frey von Lie-
„be ſey, uns dieſe ſo gewuͤnſchte Probe geben?
„Oder haſt du die Abſicht, frey und ungebunden

nach
M 3
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[181/0201] der Clariſſa. „Nun hoffe ich wirſt du mir auch erlauben zu „ſprechen, Claͤrchen: denn ich meine, daß ich „mit dir Geduld gehabt habe. Haͤtte ich den- „cken koͤnnen ‒ ‒ doch ich will mich kurtz faſſen. „Deine Mutter ſoll dir ein Exempel der Geduld „geben, die du ſo dreiſte von ihr foderſt, und doch „ſelbſt nicht beweiſeſt.„ Dieſe Herablaſſung meiner Mutter machte mich recht bekuͤmmert, und ging mir weit mehr zn Hertzen, als Schaͤrffe und Haͤrte haͤtte thun koͤnnen. Allein ſie wuſte und ich glaube ſie uͤber- legte auch, daß ſie etwas ſehr hartes und unange- nehmes zu beſtellen uͤbernommen hatte, ja ich mag ſagen, etwas ungerechtes: ſonſt wuͤrde ſie nicht ſo viel Geduld mit mir gehabt haben. „Du muſt wiſſen, fuhr ſie fort, daß auf eine „kurtze Zeit, darinn du dich beſinnen kannſt, „alles ankommet: das hat mir dein Vater mit „den Worten geſagt. Bisher biſt du ein ge- „horſames Kind geweſen, wie du mir ſo oft vor- „ruͤckeſt. Du haſt aber auch nicht Urſache ge- „habt ungehorſam zu ſeyn: denn es hat nicht „leicht ein Kind mehr Liebe genoſſen als du. Bey „dir ſteht es nun, was du zu thun gedenckſt. „Willſt du alle deine vorigen guten Wercke „ſchwartz machen? Willſt du zu der Zeit, da „man von dir erwartet, daß du deinen kindlichen „Gehorſam durch die groͤſſeſte Probe croͤnen wer- „deſt, da du ſageſt, daß dein Hertz frey von Lie- „be ſey, uns dieſe ſo gewuͤnſchte Probe geben? „Oder haſt du die Abſicht, frey und ungebunden nach M 3

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/201>, abgerufen am 22.11.2024.