Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
schon entdeckt, daß es möglich sey, (Sie müssen
wissen, daß die unersättliche Begierde meines Bru-
ders aus der Möglichkeit gleich eine Wahr-
scheinlichkeit
macht) daß meines Grosvaters
Gut, und die noch wichtigern Güter, die Herr
Solmes besitzet, dereinst an unser Haus fallen
könnten. Man weiß zu erzehlen, daß noch ent-
ferntere Anwardtschafften bisweilen erlediget, und
denen Erben zu Theil worden sind, an die man
nie gedacht hätte: und meine Schwester erinnert
sich hiebey des alten erbaulichen Sprichworts:
Es ist gut, wenn man mit einem Gute
verwandt werden kan.
Jch glaube, daß
Solmes heimlich über die Schlösser, die sie in
die Lufft bauen, lachen muß. Er verspricht, und
dadurch macht er sie zu allen Diensten willig. Er
sieht im Geiste mein Gut, das mir so viel Neid
erwecket, schon als das seinige an. Es liegt zwi-
schen zwey andern Gütern die ihm gehören, und
er kan es wegen dieser Lage noch einmal so hoch
nutzen, als irgend ein andrer thun könnte. Jch
zweifele gar nicht mehr daran, daß er in mein
Gut und nicht in mich verliebt sey.

Dis sind die Bewegungs-Gründe, welche die
meinigen vermocht haben, das Ansuchen des
Herrn Solmes so hefftig zu unterstützen. Jch
muß von neuen über die Erb-Sünde unserer Fa-
milie klagen, durch welche diese Bewegungs-
Gründe so wichtig und unüberwindlich werden.

Mein Bruder und meine Schwester haben durch
Herrn Solmes Antrag ihre Absichten gegen mich

erreicht

Die Geſchichte
ſchon entdeckt, daß es moͤglich ſey, (Sie muͤſſen
wiſſen, daß die unerſaͤttliche Begieꝛde meines Bꝛu-
ders aus der Moͤglichkeit gleich eine Wahr-
ſcheinlichkeit
macht) daß meines Grosvaters
Gut, und die noch wichtigern Guͤter, die Herr
Solmes beſitzet, dereinſt an unſer Haus fallen
koͤnnten. Man weiß zu erzehlen, daß noch ent-
ferntere Anwardtſchafften bisweilen erlediget, und
denen Erben zu Theil worden ſind, an die man
nie gedacht haͤtte: und meine Schweſter erinnert
ſich hiebey des alten erbaulichen Sprichworts:
Es iſt gut, wenn man mit einem Gute
verwandt werden kan.
Jch glaube, daß
Solmes heimlich uͤber die Schloͤſſer, die ſie in
die Lufft bauen, lachen muß. Er verſpricht, und
dadurch macht er ſie zu allen Dienſten willig. Er
ſieht im Geiſte mein Gut, das mir ſo viel Neid
erwecket, ſchon als das ſeinige an. Es liegt zwi-
ſchen zwey andern Guͤtern die ihm gehoͤren, und
er kan es wegen dieſer Lage noch einmal ſo hoch
nutzen, als irgend ein andrer thun koͤnnte. Jch
zweifele gar nicht mehr daran, daß er in mein
Gut und nicht in mich verliebt ſey.

Dis ſind die Bewegungs-Gruͤnde, welche die
meinigen vermocht haben, das Anſuchen des
Herrn Solmes ſo hefftig zu unterſtuͤtzen. Jch
muß von neuen uͤber die Erb-Suͤnde unſerer Fa-
milie klagen, durch welche dieſe Bewegungs-
Gruͤnde ſo wichtig und unuͤberwindlich werden.

Mein Bruder und meine Schweſter haben durch
Herrn Solmes Antrag ihre Abſichten gegen mich

erreicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0154" n="134"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;chon entdeckt, daß es <hi rendition="#fr">mo&#x0364;glich</hi> &#x017F;ey, (Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, daß die uner&#x017F;a&#x0364;ttliche Begie&#xA75B;de meines B&#xA75B;u-<lb/>
ders aus der <hi rendition="#fr">Mo&#x0364;glichkeit</hi> gleich eine <hi rendition="#fr">Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit</hi> macht) daß meines Grosvaters<lb/>
Gut, und die noch wichtigern Gu&#x0364;ter, die Herr<lb/><hi rendition="#fr">Solmes</hi> be&#x017F;itzet, derein&#x017F;t an un&#x017F;er Haus fallen<lb/>
ko&#x0364;nnten. Man weiß zu erzehlen, daß noch ent-<lb/>
ferntere Anwardt&#x017F;chafften bisweilen erlediget, und<lb/>
denen Erben zu Theil worden &#x017F;ind, an die man<lb/>
nie gedacht ha&#x0364;tte: und meine <choice><sic>Schwe&#x017F;t&#x0259;r</sic><corr>Schwe&#x017F;ter</corr></choice> erinnert<lb/>
&#x017F;ich hiebey des alten erbaulichen Sprichworts:<lb/><hi rendition="#fr">Es i&#x017F;t gut, wenn man mit einem Gute<lb/>
verwandt werden kan.</hi> Jch glaube, daß<lb/><hi rendition="#fr">Solmes</hi> heimlich u&#x0364;ber die Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, die &#x017F;ie in<lb/>
die Lufft bauen, lachen muß. Er ver&#x017F;pricht, und<lb/>
dadurch macht er &#x017F;ie zu allen Dien&#x017F;ten willig. Er<lb/>
&#x017F;ieht im Gei&#x017F;te mein Gut, das mir &#x017F;o viel Neid<lb/>
erwecket, &#x017F;chon als das &#x017F;einige an. Es liegt zwi-<lb/>
&#x017F;chen zwey andern Gu&#x0364;tern die ihm geho&#x0364;ren, und<lb/>
er kan es wegen die&#x017F;er Lage noch einmal &#x017F;o hoch<lb/>
nutzen, als irgend ein andrer thun ko&#x0364;nnte. Jch<lb/>
zweifele gar nicht mehr daran, daß er in mein<lb/>
Gut und nicht in mich verliebt &#x017F;ey.</p><lb/>
        <p>Dis &#x017F;ind die Bewegungs-Gru&#x0364;nde, welche die<lb/>
meinigen vermocht haben, das An&#x017F;uchen des<lb/>
Herrn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> &#x017F;o hefftig zu unter&#x017F;tu&#x0364;tzen. Jch<lb/>
muß von neuen u&#x0364;ber die Erb-Su&#x0364;nde un&#x017F;erer Fa-<lb/>
milie klagen, durch welche die&#x017F;e Bewegungs-<lb/>
Gru&#x0364;nde &#x017F;o wichtig und unu&#x0364;berwindlich werden.</p><lb/>
        <p>Mein Bruder und meine Schwe&#x017F;ter haben durch<lb/>
Herrn <hi rendition="#fr">Solmes</hi> Antrag ihre Ab&#x017F;ichten gegen mich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">erreicht</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0154] Die Geſchichte ſchon entdeckt, daß es moͤglich ſey, (Sie muͤſſen wiſſen, daß die unerſaͤttliche Begieꝛde meines Bꝛu- ders aus der Moͤglichkeit gleich eine Wahr- ſcheinlichkeit macht) daß meines Grosvaters Gut, und die noch wichtigern Guͤter, die Herr Solmes beſitzet, dereinſt an unſer Haus fallen koͤnnten. Man weiß zu erzehlen, daß noch ent- ferntere Anwardtſchafften bisweilen erlediget, und denen Erben zu Theil worden ſind, an die man nie gedacht haͤtte: und meine Schweſter erinnert ſich hiebey des alten erbaulichen Sprichworts: Es iſt gut, wenn man mit einem Gute verwandt werden kan. Jch glaube, daß Solmes heimlich uͤber die Schloͤſſer, die ſie in die Lufft bauen, lachen muß. Er verſpricht, und dadurch macht er ſie zu allen Dienſten willig. Er ſieht im Geiſte mein Gut, das mir ſo viel Neid erwecket, ſchon als das ſeinige an. Es liegt zwi- ſchen zwey andern Guͤtern die ihm gehoͤren, und er kan es wegen dieſer Lage noch einmal ſo hoch nutzen, als irgend ein andrer thun koͤnnte. Jch zweifele gar nicht mehr daran, daß er in mein Gut und nicht in mich verliebt ſey. Dis ſind die Bewegungs-Gruͤnde, welche die meinigen vermocht haben, das Anſuchen des Herrn Solmes ſo hefftig zu unterſtuͤtzen. Jch muß von neuen uͤber die Erb-Suͤnde unſerer Fa- milie klagen, durch welche dieſe Bewegungs- Gruͤnde ſo wichtig und unuͤberwindlich werden. Mein Bruder und meine Schweſter haben durch Herrn Solmes Antrag ihre Abſichten gegen mich erreicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/154
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/154>, abgerufen am 02.05.2024.