darauf folgte er ihm ohne viel Umstände zu ma- chen bis auf den Vorsaal nach, und gab ihm vors erste zu seiner Nothdurft zwölf Thaler; denn der Mann hatte sich verlauten lassen, er habe alles in allem keine zwey Gulden mehr übrig.
Bey dieser Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace ohne einigen Schein der Prahlerey das gute Werck, dessen ich vorhin gedachte. Er sahe einen alten Pächter mit seiner Frau sehr schlecht gekleidet in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um die Ursache eines so schlechten Aufzuges, weil er wuste, daß der Mann keine schwere Pacht hätte. Er antworte: er habe in guter Meynung eine grosse Thorheit begangen, die ihn so zurück ge- bracht hätte, daß er die Pacht nicht würde haben bezahlen können, wenn er sich besser hätte kleiden wollen. Herr Lovelace erkundigte sich, wie viel Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu machen, und sich wieder zu erholen. Der Pächter meinte: ohngefähr zwey oder drey Jahr. Wohl! sagte er: Jch will ihm sieben Jahr lang alle Jahr fünf Pfund an der Pacht erlassen/ aber er soll es für sich und seine Frau an- wenden/ daß man des Sonntags an der Kleidung sehen könne/ daß er mein Päch- ter ist. Unterdessen nehme er dieses weni- ge an (er zog fünf Guineas aus der Tasche) um sich gleich besser kleiden zu können. Den künftigen Sonntag muß ich ihn und seine Frau als ein liebes Paar in der Kirche sehen: und ich bitte ihn/ daß er nach
dem
Die Geſchichte
darauf folgte er ihm ohne viel Umſtaͤnde zu ma- chen bis auf den Vorſaal nach, und gab ihm vors erſte zu ſeiner Nothdurft zwoͤlf Thaler; denn der Mann hatte ſich verlauten laſſen, er habe alles in allem keine zwey Gulden mehr uͤbrig.
Bey dieſer Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace ohne einigen Schein der Prahlerey das gute Werck, deſſen ich vorhin gedachte. Er ſahe einen alten Paͤchter mit ſeiner Frau ſehr ſchlecht gekleidet in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um die Urſache eines ſo ſchlechten Aufzuges, weil er wuſte, daß der Mann keine ſchwere Pacht haͤtte. Er antworte: er habe in guter Meynung eine groſſe Thorheit begangen, die ihn ſo zuruͤck ge- bracht haͤtte, daß er die Pacht nicht wuͤrde haben bezahlen koͤnnen, wenn er ſich beſſer haͤtte kleiden wollen. Herr Lovelace erkundigte ſich, wie viel Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu machen, und ſich wieder zu erholen. Der Paͤchter meinte: ohngefaͤhr zwey oder drey Jahr. Wohl! ſagte er: Jch will ihm ſieben Jahr lang alle Jahr fuͤnf Pfund an der Pacht erlaſſen/ aber er ſoll es fuͤr ſich und ſeine Frau an- wenden/ daß man des Sonntags an der Kleidung ſehen koͤnne/ daß er mein Paͤch- ter iſt. Unterdeſſen nehme er dieſes weni- ge an (er zog fuͤnf Guineas aus der Taſche) um ſich gleich beſſer kleiden zu koͤnnen. Den kuͤnftigen Sonntag muß ich ihn und ſeine Frau als ein liebes Paar in der Kirche ſehen: und ich bitte ihn/ daß er nach
dem
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Die Geſchichte
darauf folgte er ihm ohne viel Umſtaͤnde zu ma-
chen bis auf den Vorſaal nach, und gab ihm vors
erſte zu ſeiner Nothdurft zwoͤlf Thaler; denn der
Mann hatte ſich verlauten laſſen, er habe alles in
allem keine zwey Gulden mehr uͤbrig.
Bey dieſer Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace
ohne einigen Schein der Prahlerey das gute
Werck, deſſen ich vorhin gedachte. Er ſahe einen
alten Paͤchter mit ſeiner Frau ſehr ſchlecht gekleidet
in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um
die Urſache eines ſo ſchlechten Aufzuges, weil er
wuſte, daß der Mann keine ſchwere Pacht haͤtte.
Er antworte: er habe in guter Meynung eine
groſſe Thorheit begangen, die ihn ſo zuruͤck ge-
bracht haͤtte, daß er die Pacht nicht wuͤrde haben
bezahlen koͤnnen, wenn er ſich beſſer haͤtte kleiden
wollen. Herr Lovelace erkundigte ſich, wie viel
Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu
machen, und ſich wieder zu erholen. Der Paͤchter
meinte: ohngefaͤhr zwey oder drey Jahr. Wohl!
ſagte er: Jch will ihm ſieben Jahr lang alle
Jahr fuͤnf Pfund an der Pacht erlaſſen/
aber er ſoll es fuͤr ſich und ſeine Frau an-
wenden/ daß man des Sonntags an der
Kleidung ſehen koͤnne/ daß er mein Paͤch-
ter iſt. Unterdeſſen nehme er dieſes weni-
ge an (er zog fuͤnf Guineas aus der Taſche)
um ſich gleich beſſer kleiden zu koͤnnen. Den
kuͤnftigen Sonntag muß ich ihn und ſeine
Frau als ein liebes Paar in der Kirche
ſehen: und ich bitte ihn/ daß er nach
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/146>, abgerufen am 23.11.2024.
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