Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
darauf folgte er ihm ohne viel Umstände zu ma-
chen bis auf den Vorsaal nach, und gab ihm vors
erste zu seiner Nothdurft zwölf Thaler; denn der
Mann hatte sich verlauten lassen, er habe alles in
allem keine zwey Gulden mehr übrig.

Bey dieser Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace
ohne einigen Schein der Prahlerey das gute
Werck, dessen ich vorhin gedachte. Er sahe einen
alten Pächter mit seiner Frau sehr schlecht gekleidet
in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um
die Ursache eines so schlechten Aufzuges, weil er
wuste, daß der Mann keine schwere Pacht hätte.
Er antworte: er habe in guter Meynung eine
grosse Thorheit begangen, die ihn so zurück ge-
bracht hätte, daß er die Pacht nicht würde haben
bezahlen können, wenn er sich besser hätte kleiden
wollen. Herr Lovelace erkundigte sich, wie viel
Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu
machen, und sich wieder zu erholen. Der Pächter
meinte: ohngefähr zwey oder drey Jahr. Wohl!
sagte er: Jch will ihm sieben Jahr lang alle
Jahr fünf Pfund an der Pacht erlassen/
aber er soll es für sich und seine Frau an-
wenden/ daß man des Sonntags an der
Kleidung sehen könne/ daß er mein Päch-
ter ist. Unterdessen nehme er dieses weni-
ge an
(er zog fünf Guineas aus der Tasche)
um sich gleich besser kleiden zu können. Den
künftigen Sonntag muß ich ihn und seine
Frau als ein liebes Paar in der Kirche
sehen: und ich bitte ihn/ daß er nach

dem

Die Geſchichte
darauf folgte er ihm ohne viel Umſtaͤnde zu ma-
chen bis auf den Vorſaal nach, und gab ihm vors
erſte zu ſeiner Nothdurft zwoͤlf Thaler; denn der
Mann hatte ſich verlauten laſſen, er habe alles in
allem keine zwey Gulden mehr uͤbrig.

Bey dieſer Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace
ohne einigen Schein der Prahlerey das gute
Werck, deſſen ich vorhin gedachte. Er ſahe einen
alten Paͤchter mit ſeiner Frau ſehr ſchlecht gekleidet
in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um
die Urſache eines ſo ſchlechten Aufzuges, weil er
wuſte, daß der Mann keine ſchwere Pacht haͤtte.
Er antworte: er habe in guter Meynung eine
groſſe Thorheit begangen, die ihn ſo zuruͤck ge-
bracht haͤtte, daß er die Pacht nicht wuͤrde haben
bezahlen koͤnnen, wenn er ſich beſſer haͤtte kleiden
wollen. Herr Lovelace erkundigte ſich, wie viel
Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu
machen, und ſich wieder zu erholen. Der Paͤchter
meinte: ohngefaͤhr zwey oder drey Jahr. Wohl!
ſagte er: Jch will ihm ſieben Jahr lang alle
Jahr fuͤnf Pfund an der Pacht erlaſſen/
aber er ſoll es fuͤr ſich und ſeine Frau an-
wenden/ daß man des Sonntags an der
Kleidung ſehen koͤnne/ daß er mein Paͤch-
ter iſt. Unterdeſſen nehme er dieſes weni-
ge an
(er zog fuͤnf Guineas aus der Taſche)
um ſich gleich beſſer kleiden zu koͤnnen. Den
kuͤnftigen Sonntag muß ich ihn und ſeine
Frau als ein liebes Paar in der Kirche
ſehen: und ich bitte ihn/ daß er nach

dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0146" n="126"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
darauf folgte er ihm ohne viel Um&#x017F;ta&#x0364;nde zu ma-<lb/>
chen bis auf den Vor&#x017F;aal nach, und gab ihm vors<lb/>
er&#x017F;te zu &#x017F;einer Nothdurft zwo&#x0364;lf Thaler; denn der<lb/>
Mann hatte &#x017F;ich verlauten la&#x017F;&#x017F;en, er habe alles in<lb/>
allem keine zwey Gulden mehr u&#x0364;brig.</p><lb/>
        <p>Bey die&#x017F;er Gelegenheit erzehlte Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi><lb/>
ohne einigen Schein der Prahlerey das gute<lb/>
Werck, de&#x017F;&#x017F;en ich vorhin gedachte. Er &#x017F;ahe einen<lb/>
alten Pa&#x0364;chter mit &#x017F;einer Frau &#x017F;ehr &#x017F;chlecht gekleidet<lb/>
in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um<lb/>
die Ur&#x017F;ache eines &#x017F;o &#x017F;chlechten Aufzuges, weil er<lb/>
wu&#x017F;te, daß der Mann keine &#x017F;chwere Pacht ha&#x0364;tte.<lb/>
Er antworte: er habe in guter Meynung eine<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Thorheit begangen, die ihn &#x017F;o zuru&#x0364;ck ge-<lb/>
bracht ha&#x0364;tte, daß er die Pacht nicht wu&#x0364;rde haben<lb/>
bezahlen ko&#x0364;nnen, wenn er &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er ha&#x0364;tte kleiden<lb/>
wollen. Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> erkundigte &#x017F;ich, wie viel<lb/>
Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu<lb/>
machen, und &#x017F;ich wieder zu erholen. Der Pa&#x0364;chter<lb/>
meinte: ohngefa&#x0364;hr zwey oder drey Jahr. <hi rendition="#fr">Wohl!</hi><lb/>
&#x017F;agte er: <hi rendition="#fr">Jch will ihm &#x017F;ieben Jahr lang alle<lb/>
Jahr fu&#x0364;nf Pfund an der Pacht erla&#x017F;&#x017F;en/<lb/>
aber er &#x017F;oll es fu&#x0364;r &#x017F;ich und &#x017F;eine Frau an-<lb/>
wenden/ daß man des Sonntags an der<lb/>
Kleidung &#x017F;ehen ko&#x0364;nne/ daß er mein Pa&#x0364;ch-<lb/>
ter i&#x017F;t. Unterde&#x017F;&#x017F;en nehme er die&#x017F;es weni-<lb/>
ge an</hi> (er zog fu&#x0364;nf <hi rendition="#fr">Guineas</hi> aus der Ta&#x017F;che)<lb/><hi rendition="#fr">um &#x017F;ich gleich be&#x017F;&#x017F;er kleiden zu ko&#x0364;nnen. Den<lb/>
ku&#x0364;nftigen Sonntag muß ich ihn und &#x017F;eine<lb/>
Frau als ein liebes Paar in der Kirche<lb/>
&#x017F;ehen: und ich bitte ihn/ daß er nach</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">dem</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0146] Die Geſchichte darauf folgte er ihm ohne viel Umſtaͤnde zu ma- chen bis auf den Vorſaal nach, und gab ihm vors erſte zu ſeiner Nothdurft zwoͤlf Thaler; denn der Mann hatte ſich verlauten laſſen, er habe alles in allem keine zwey Gulden mehr uͤbrig. Bey dieſer Gelegenheit erzehlte Herr Lovelace ohne einigen Schein der Prahlerey das gute Werck, deſſen ich vorhin gedachte. Er ſahe einen alten Paͤchter mit ſeiner Frau ſehr ſchlecht gekleidet in der Kirche. Des andern Tages fragte er ihn um die Urſache eines ſo ſchlechten Aufzuges, weil er wuſte, daß der Mann keine ſchwere Pacht haͤtte. Er antworte: er habe in guter Meynung eine groſſe Thorheit begangen, die ihn ſo zuruͤck ge- bracht haͤtte, daß er die Pacht nicht wuͤrde haben bezahlen koͤnnen, wenn er ſich beſſer haͤtte kleiden wollen. Herr Lovelace erkundigte ſich, wie viel Zeit er etwan brauchte, um die Thorheit gut zu machen, und ſich wieder zu erholen. Der Paͤchter meinte: ohngefaͤhr zwey oder drey Jahr. Wohl! ſagte er: Jch will ihm ſieben Jahr lang alle Jahr fuͤnf Pfund an der Pacht erlaſſen/ aber er ſoll es fuͤr ſich und ſeine Frau an- wenden/ daß man des Sonntags an der Kleidung ſehen koͤnne/ daß er mein Paͤch- ter iſt. Unterdeſſen nehme er dieſes weni- ge an (er zog fuͤnf Guineas aus der Taſche) um ſich gleich beſſer kleiden zu koͤnnen. Den kuͤnftigen Sonntag muß ich ihn und ſeine Frau als ein liebes Paar in der Kirche ſehen: und ich bitte ihn/ daß er nach dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/146
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/146>, abgerufen am 23.11.2024.