Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
wie Julius Cäsar: so muß er gewiß ein sehr
gottloser Mensch seyn, und sich viel unerlaubtes
unterstehen. Denn niemand hat ihn im Verdacht,
daß ernsthafte und gute Handlungen ein angeneh-
mer Zeitvertreib für sein wildes Gemüth seyn.
So anständig sein Betragen in Gesellschaft ist,
so glaube ich doch nicht, daß seine Papiere ihm zu
Ehren und andern zum Besten gereichen möchten,
wenn sie sollten gelesen werden. Er muß dieses
selbst wissen: denn Frau Fortescue erzehlet: daß
er ohngeachtet seines starcken Briefwechsels doch
mit seinen Briefen so heimlich sey, als wenn lau-
ter Hoch-Verrath darin enthalten wäre: und den-
noch zerbräche er sich den Kopf nie über Staats-
Sachen, ob er gleich die Absichten der Höfe sehr
genau habe kennen lernen.

Es ist kein Wunder, mein Schatz, wenn wir
beyde am Schreiben Vergnügen finden, da wir,
so bald wir nur eine Feder in der Hand halten
konten, uns stets durch einen angenehmen Brief-
wechsel die Stunden verkürtzt haben. Wir ha-
ben mit häußlichen Sachen zu thun: und wir kön-
nen das Papier mit hundert unschuldigen Dingen
verderben, die uns deswegen angenehm scheinen,
weil sie unschuldig sind, ob sie gleich andern weder
zum Nutzen noch Vergnügen gereichen würden,
wenn sie in fremde Hände fielen. Aber das ist
mir unbegreiflich, daß ein lebhafter junger Herr,
der gern reitet, jaget, reiset, sich bey öffentlichen
Lustbarkeiten befindet, und die Mittel hat, sich ein
Vergnügen zu machen, dennoch etliche Stunden

an

Die Geſchichte
wie Julius Caͤſar: ſo muß er gewiß ein ſehr
gottloſer Menſch ſeyn, und ſich viel unerlaubtes
unterſtehen. Denn niemand hat ihn im Verdacht,
daß ernſthafte und gute Handlungen ein angeneh-
mer Zeitvertreib fuͤr ſein wildes Gemuͤth ſeyn.
So anſtaͤndig ſein Betragen in Geſellſchaft iſt,
ſo glaube ich doch nicht, daß ſeine Papiere ihm zu
Ehren und andern zum Beſten gereichen moͤchten,
wenn ſie ſollten geleſen werden. Er muß dieſes
ſelbſt wiſſen: denn Frau Forteſcue erzehlet: daß
er ohngeachtet ſeines ſtarcken Briefwechſels doch
mit ſeinen Briefen ſo heimlich ſey, als wenn lau-
ter Hoch-Verrath darin enthalten waͤre: und den-
noch zerbraͤche er ſich den Kopf nie uͤber Staats-
Sachen, ob er gleich die Abſichten der Hoͤfe ſehr
genau habe kennen lernen.

Es iſt kein Wunder, mein Schatz, wenn wir
beyde am Schreiben Vergnuͤgen finden, da wir,
ſo bald wir nur eine Feder in der Hand halten
konten, uns ſtets durch einen angenehmen Brief-
wechſel die Stunden verkuͤrtzt haben. Wir ha-
ben mit haͤußlichen Sachen zu thun: und wir koͤn-
nen das Papier mit hundert unſchuldigen Dingen
verderben, die uns deswegen angenehm ſcheinen,
weil ſie unſchuldig ſind, ob ſie gleich andern weder
zum Nutzen noch Vergnuͤgen gereichen wuͤrden,
wenn ſie in fremde Haͤnde fielen. Aber das iſt
mir unbegreiflich, daß ein lebhafter junger Herr,
der gern reitet, jaget, reiſet, ſich bey oͤffentlichen
Luſtbarkeiten befindet, und die Mittel hat, ſich ein
Vergnuͤgen zu machen, dennoch etliche Stunden

an
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0132" n="112"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
wie <hi rendition="#fr">Julius Ca&#x0364;&#x017F;ar:</hi> &#x017F;o muß er gewiß ein &#x017F;ehr<lb/>
gottlo&#x017F;er Men&#x017F;ch &#x017F;eyn, und &#x017F;ich viel unerlaubtes<lb/>
unter&#x017F;tehen. Denn niemand hat ihn im Verdacht,<lb/>
daß ern&#x017F;thafte und gute Handlungen ein angeneh-<lb/>
mer Zeitvertreib fu&#x0364;r &#x017F;ein wildes Gemu&#x0364;th &#x017F;eyn.<lb/>
So an&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;ein Betragen in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o glaube ich doch nicht, daß &#x017F;eine Papiere ihm zu<lb/>
Ehren und andern zum Be&#x017F;ten gereichen mo&#x0364;chten,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ollten gele&#x017F;en werden. Er muß die&#x017F;es<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wi&#x017F;&#x017F;en: denn Frau <hi rendition="#fr"><choice><sic>Forte&#x017F;cur</sic><corr>Forte&#x017F;cue</corr></choice></hi> erzehlet: daß<lb/>
er ohngeachtet &#x017F;eines &#x017F;tarcken Briefwech&#x017F;els doch<lb/>
mit &#x017F;einen Briefen &#x017F;o heimlich &#x017F;ey, als wenn lau-<lb/>
ter Hoch-Verrath darin enthalten wa&#x0364;re: und den-<lb/>
noch zerbra&#x0364;che er &#x017F;ich den Kopf nie u&#x0364;ber Staats-<lb/>
Sachen, ob er gleich die Ab&#x017F;ichten der Ho&#x0364;fe &#x017F;ehr<lb/>
genau habe kennen lernen.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t kein Wunder, mein Schatz, wenn wir<lb/>
beyde am Schreiben Vergnu&#x0364;gen finden, da wir,<lb/>
&#x017F;o bald wir nur eine Feder in der Hand halten<lb/>
konten, uns &#x017F;tets durch einen angenehmen Brief-<lb/>
wech&#x017F;el die Stunden verku&#x0364;rtzt haben. Wir ha-<lb/>
ben mit ha&#x0364;ußlichen Sachen zu thun: und wir ko&#x0364;n-<lb/>
nen das Papier mit hundert un&#x017F;chuldigen Dingen<lb/>
verderben, die uns deswegen angenehm &#x017F;cheinen,<lb/>
weil &#x017F;ie un&#x017F;chuldig &#x017F;ind, ob &#x017F;ie gleich andern weder<lb/>
zum Nutzen noch Vergnu&#x0364;gen gereichen wu&#x0364;rden,<lb/>
wenn &#x017F;ie in fremde Ha&#x0364;nde fielen. Aber das i&#x017F;t<lb/>
mir unbegreiflich, daß ein lebhafter junger Herr,<lb/>
der gern reitet, jaget, rei&#x017F;et, &#x017F;ich bey o&#x0364;ffentlichen<lb/>
Lu&#x017F;tbarkeiten befindet, und die Mittel hat, &#x017F;ich ein<lb/>
Vergnu&#x0364;gen zu machen, dennoch etliche Stunden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">an</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0132] Die Geſchichte wie Julius Caͤſar: ſo muß er gewiß ein ſehr gottloſer Menſch ſeyn, und ſich viel unerlaubtes unterſtehen. Denn niemand hat ihn im Verdacht, daß ernſthafte und gute Handlungen ein angeneh- mer Zeitvertreib fuͤr ſein wildes Gemuͤth ſeyn. So anſtaͤndig ſein Betragen in Geſellſchaft iſt, ſo glaube ich doch nicht, daß ſeine Papiere ihm zu Ehren und andern zum Beſten gereichen moͤchten, wenn ſie ſollten geleſen werden. Er muß dieſes ſelbſt wiſſen: denn Frau Forteſcue erzehlet: daß er ohngeachtet ſeines ſtarcken Briefwechſels doch mit ſeinen Briefen ſo heimlich ſey, als wenn lau- ter Hoch-Verrath darin enthalten waͤre: und den- noch zerbraͤche er ſich den Kopf nie uͤber Staats- Sachen, ob er gleich die Abſichten der Hoͤfe ſehr genau habe kennen lernen. Es iſt kein Wunder, mein Schatz, wenn wir beyde am Schreiben Vergnuͤgen finden, da wir, ſo bald wir nur eine Feder in der Hand halten konten, uns ſtets durch einen angenehmen Brief- wechſel die Stunden verkuͤrtzt haben. Wir ha- ben mit haͤußlichen Sachen zu thun: und wir koͤn- nen das Papier mit hundert unſchuldigen Dingen verderben, die uns deswegen angenehm ſcheinen, weil ſie unſchuldig ſind, ob ſie gleich andern weder zum Nutzen noch Vergnuͤgen gereichen wuͤrden, wenn ſie in fremde Haͤnde fielen. Aber das iſt mir unbegreiflich, daß ein lebhafter junger Herr, der gern reitet, jaget, reiſet, ſich bey oͤffentlichen Luſtbarkeiten befindet, und die Mittel hat, ſich ein Vergnuͤgen zu machen, dennoch etliche Stunden an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/132
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/132>, abgerufen am 23.11.2024.