Gräfin zu Reventlow, Fanny: Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil. München, 1913.Dame -- aber warum nicht? Sind wir nicht ebenso berechtigt, Orgien zu feiern, wie die alten Römer und Griechen? Ich dachte, gerade Sie mit ihrem jungen Sklaven müßten Sinn dafür haben" -- dabei warf er mir einen verständnisvollen Blick zu, über dessen Bedeutung ich mir nicht recht klar war. (Chamotte stand den ganzen Abend hinter mir oder Susanne und bediente uns.) Wieder trat Susanna mich auf den Fuß und sagte: "Der Meister ist auch da -- sehen Sie, dort geht er mit einem seiner Adoranten; daß er auf ein Fest geht, ist ein Ereignis." Sie hatte leise gesprochen, aber Frau Hofmann mußte es doch aufgefangen haben, denn sie sagte lächelnd: "Liebe Susanna, Sie irren sich -- er ist nicht hier. Der Herr, den Sie meinen, hat nur seine Maske gemacht -- aber wirklich täuschend, nicht wahr?" "Frau Professor," antwortete Susanna, und ich bewunderte ihren Mut, "ich bin beim Theater gewesen und gehe jede Wette ein, daß es keine Maske ist --" "Ach, was ist Theater?" beharrte Frau Hofmann immer noch lächelnd, aber wie Märtyrer unter Foltern lächeln -- "ich kann Sie versichern, daß er es nicht ist." Der so Umstrittene befand sich ziemlich in unserer Nähe, und ich mußte Susanna recht geben -- das konnte keine Maske sein. Und es lag etwas in seiner Erscheinung, was mir großen Eindruck machte. Dame — aber warum nicht? Sind wir nicht ebenso berechtigt, Orgien zu feiern, wie die alten Römer und Griechen? Ich dachte, gerade Sie mit ihrem jungen Sklaven müßten Sinn dafür haben“ — dabei warf er mir einen verständnisvollen Blick zu, über dessen Bedeutung ich mir nicht recht klar war. (Chamotte stand den ganzen Abend hinter mir oder Susanne und bediente uns.) Wieder trat Susanna mich auf den Fuß und sagte: „Der Meister ist auch da — sehen Sie, dort geht er mit einem seiner Adoranten; daß er auf ein Fest geht, ist ein Ereignis.“ Sie hatte leise gesprochen, aber Frau Hofmann mußte es doch aufgefangen haben, denn sie sagte lächelnd: „Liebe Susanna, Sie irren sich — er ist nicht hier. Der Herr, den Sie meinen, hat nur seine Maske gemacht — aber wirklich täuschend, nicht wahr?“ „Frau Professor,“ antwortete Susanna, und ich bewunderte ihren Mut, „ich bin beim Theater gewesen und gehe jede Wette ein, daß es keine Maske ist —“ „Ach, was ist Theater?“ beharrte Frau Hofmann immer noch lächelnd, aber wie Märtyrer unter Foltern lächeln — „ich kann Sie versichern, daß er es nicht ist.“ Der so Umstrittene befand sich ziemlich in unserer Nähe, und ich mußte Susanna recht geben — das konnte keine Maske sein. Und es lag etwas in seiner Erscheinung, was mir großen Eindruck machte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0056" n="52"/> Dame — aber warum nicht? Sind wir nicht ebenso berechtigt, Orgien zu feiern, wie die alten Römer und Griechen? Ich dachte, gerade Sie mit ihrem jungen Sklaven müßten Sinn dafür haben“ — dabei warf er mir einen verständnisvollen Blick zu, über dessen Bedeutung ich mir nicht recht klar war. (Chamotte stand den ganzen Abend hinter mir oder Susanne und bediente uns.)</p> <p>Wieder trat Susanna mich auf den Fuß und sagte:</p> <p>„Der Meister ist auch da — sehen Sie, dort geht er mit einem seiner Adoranten; daß er auf ein Fest geht, ist ein Ereignis.“</p> <p>Sie hatte leise gesprochen, aber Frau Hofmann mußte es doch aufgefangen haben, denn sie sagte lächelnd:</p> <p>„Liebe Susanna, Sie irren sich — er ist nicht hier. Der Herr, den Sie meinen, hat nur seine Maske gemacht — aber wirklich täuschend, nicht wahr?“</p> <p>„Frau Professor,“ antwortete Susanna, und ich bewunderte ihren Mut, „ich bin beim Theater gewesen und gehe jede Wette ein, daß es keine Maske ist —“</p> <p>„Ach, was ist Theater?“ beharrte Frau Hofmann immer noch lächelnd, aber wie Märtyrer unter Foltern lächeln — „ich kann Sie versichern, daß er es nicht ist.“</p> <p>Der so Umstrittene befand sich ziemlich in unserer Nähe, und ich mußte Susanna recht geben — das konnte keine Maske sein. Und es lag etwas in seiner Erscheinung, was mir großen Eindruck machte.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0056]
Dame — aber warum nicht? Sind wir nicht ebenso berechtigt, Orgien zu feiern, wie die alten Römer und Griechen? Ich dachte, gerade Sie mit ihrem jungen Sklaven müßten Sinn dafür haben“ — dabei warf er mir einen verständnisvollen Blick zu, über dessen Bedeutung ich mir nicht recht klar war. (Chamotte stand den ganzen Abend hinter mir oder Susanne und bediente uns.)
Wieder trat Susanna mich auf den Fuß und sagte:
„Der Meister ist auch da — sehen Sie, dort geht er mit einem seiner Adoranten; daß er auf ein Fest geht, ist ein Ereignis.“
Sie hatte leise gesprochen, aber Frau Hofmann mußte es doch aufgefangen haben, denn sie sagte lächelnd:
„Liebe Susanna, Sie irren sich — er ist nicht hier. Der Herr, den Sie meinen, hat nur seine Maske gemacht — aber wirklich täuschend, nicht wahr?“
„Frau Professor,“ antwortete Susanna, und ich bewunderte ihren Mut, „ich bin beim Theater gewesen und gehe jede Wette ein, daß es keine Maske ist —“
„Ach, was ist Theater?“ beharrte Frau Hofmann immer noch lächelnd, aber wie Märtyrer unter Foltern lächeln — „ich kann Sie versichern, daß er es nicht ist.“
Der so Umstrittene befand sich ziemlich in unserer Nähe, und ich mußte Susanna recht geben — das konnte keine Maske sein. Und es lag etwas in seiner Erscheinung, was mir großen Eindruck machte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |