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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

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lichen Gebürge. Victorin legte einen neuen Platz dem
mittägigen ähnlich an, der eben so groß, aber um ei-
ne Staffel tiefer war, und in der Mitte eine Art von
kleinem Teich enthielt. Diesen ließ er umarbeiten;
da er selbst Hand anlegte, folgte jedermann seinem
Beyspiel. Das Jahr drauf setzt' er zehn neue Ehe-
paare dahin, die alle Land genug bekamen, um im
Ueberfluß zu leben. Er ließ einen Felsen mit Schieß-
pulver sprengen *), und öfnete dadurch einen beque-
men Weg zwischen diesen beyden Pflanzstädten. Sei-
ne ganze Familie und alle Einwohner wohnten diesem
Unternehmen bey, sie hatten sich aber an dem Ein-
gange einer Höle gesichert. Bloß Victorin, die Lun-
te in der Hand, hielt sich mit ausgebreiteten Flügeln
in der Luft, und wußte sich gegen die Gefahr zu schüt-
zen. Den kleinen Teich besetzt' er mit Fischen und
verschafte seiner Kolonie dadurch eine ansehnliche Hül-
fe, indem sie sich einen grossen Theil des Jahres da-
von ernähren konnten.

Wenn er etwas einkaufen wollte, flog er in der
Nacht vor Tages Anbruch von dem unbesteiglichen
Berge weg, und ließ sich in einem nahe bey einer gros-
sen Stadt gelegenen Höhe nieder. Er hatte dasebst
zwischen zwey Felsen einen sichern Ort gefunden, wo
er seine Flügel ließ: dann gieng er in die Stadt und

kaufte
*) Der Lärmen, welchen das aufflammende Pulver bey
dieser Gelegenheit verursachte, machte den Phisikern
viel zu schaffen, die damals in allen Zeitungen mel-
deten, daß sich in der Dauphine ein schrecklicher Don-
nerknall bey heiterm Himmel habe hören lassen, Joly.



lichen Gebuͤrge. Victorin legte einen neuen Platz dem
mittaͤgigen aͤhnlich an, der eben ſo groß, aber um ei-
ne Staffel tiefer war, und in der Mitte eine Art von
kleinem Teich enthielt. Dieſen ließ er umarbeiten;
da er ſelbſt Hand anlegte, folgte jedermann ſeinem
Beyſpiel. Das Jahr drauf ſetzt’ er zehn neue Ehe-
paare dahin, die alle Land genug bekamen, um im
Ueberfluß zu leben. Er ließ einen Felſen mit Schieß-
pulver ſprengen *), und oͤfnete dadurch einen beque-
men Weg zwiſchen dieſen beyden Pflanzſtaͤdten. Sei-
ne ganze Familie und alle Einwohner wohnten dieſem
Unternehmen bey, ſie hatten ſich aber an dem Ein-
gange einer Hoͤle geſichert. Bloß Victorin, die Lun-
te in der Hand, hielt ſich mit ausgebreiteten Fluͤgeln
in der Luft, und wußte ſich gegen die Gefahr zu ſchuͤt-
zen. Den kleinen Teich beſetzt’ er mit Fiſchen und
verſchafte ſeiner Kolonie dadurch eine anſehnliche Huͤl-
fe, indem ſie ſich einen groſſen Theil des Jahres da-
von ernaͤhren konnten.

Wenn er etwas einkaufen wollte, flog er in der
Nacht vor Tages Anbruch von dem unbeſteiglichen
Berge weg, und ließ ſich in einem nahe bey einer groſ-
ſen Stadt gelegenen Hoͤhe nieder. Er hatte daſebſt
zwiſchen zwey Felſen einen ſichern Ort gefunden, wo
er ſeine Fluͤgel ließ: dann gieng er in die Stadt und

kaufte
*) Der Laͤrmen, welchen das aufflammende Pulver bey
dieſer Gelegenheit verurſachte, machte den Phiſikern
viel zu ſchaffen, die damals in allen Zeitungen mel-
deten, daß ſich in der Dauphine ein ſchrecklicher Don-
nerknall bey heiterm Himmel habe hoͤren laſſen, Joly.
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[88/0096] lichen Gebuͤrge. Victorin legte einen neuen Platz dem mittaͤgigen aͤhnlich an, der eben ſo groß, aber um ei- ne Staffel tiefer war, und in der Mitte eine Art von kleinem Teich enthielt. Dieſen ließ er umarbeiten; da er ſelbſt Hand anlegte, folgte jedermann ſeinem Beyſpiel. Das Jahr drauf ſetzt’ er zehn neue Ehe- paare dahin, die alle Land genug bekamen, um im Ueberfluß zu leben. Er ließ einen Felſen mit Schieß- pulver ſprengen *), und oͤfnete dadurch einen beque- men Weg zwiſchen dieſen beyden Pflanzſtaͤdten. Sei- ne ganze Familie und alle Einwohner wohnten dieſem Unternehmen bey, ſie hatten ſich aber an dem Ein- gange einer Hoͤle geſichert. Bloß Victorin, die Lun- te in der Hand, hielt ſich mit ausgebreiteten Fluͤgeln in der Luft, und wußte ſich gegen die Gefahr zu ſchuͤt- zen. Den kleinen Teich beſetzt’ er mit Fiſchen und verſchafte ſeiner Kolonie dadurch eine anſehnliche Huͤl- fe, indem ſie ſich einen groſſen Theil des Jahres da- von ernaͤhren konnten. Wenn er etwas einkaufen wollte, flog er in der Nacht vor Tages Anbruch von dem unbeſteiglichen Berge weg, und ließ ſich in einem nahe bey einer groſ- ſen Stadt gelegenen Hoͤhe nieder. Er hatte daſebſt zwiſchen zwey Felſen einen ſichern Ort gefunden, wo er ſeine Fluͤgel ließ: dann gieng er in die Stadt und kaufte *) Der Laͤrmen, welchen das aufflammende Pulver bey dieſer Gelegenheit verurſachte, machte den Phiſikern viel zu ſchaffen, die damals in allen Zeitungen mel- deten, daß ſich in der Dauphine ein ſchrecklicher Don- nerknall bey heiterm Himmel habe hoͤren laſſen, Joly.

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Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/96>, abgerufen am 23.11.2024.