Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



gen nur einen Funken brauchten um aufzulodern.
Aber was vermag eine wahre Liebe nicht? Victorin
widerstand den Reizen der Versuchungen, Bezau-
berungen und Lockungen der Frau Procuratorinn;
oder wenn er sie ja aus Höflichkeit erwiderte, ge-
schah es blos, um seine Sitten auszubilden; denn
er wußte wohl, daß nichts wirksamer einen jungen
Menschen bilde, als die Lehren einer Frau.

Uebrigens warf er seinen Blick besonders auf die
jungen vornehmen Städter, und suchte seine Muster
unter denen die Christinen ähnelten, in der festen
Ueberzeugung, daß das lateinische Sprüchwort --
denn er hatte den Donat gelernt -- Similis simili
gaudet
(gleich und gleich gesollt sich gern) das
wahrste von allen Sprüchwörtern sey.

Es war damals in dieser Stadt der Dauphi-
ne -- der Name thut nichts zur Sache -- ein
junger Kavalier, der für den vornehmsten der Pro-
vinz gehalten ward. Ein schöner junger Mann, der
Sohn einer zu nachsichtsvollen Mutter, reich, eitel,
der sein ganzes Verdienst in Kleidern, Stickereyen,
Manchetten, Juwelen und einer artigen Equipage
setzte, in welcher er, ohne Absicht, alle Nachmittage
zwey oder drey Stunden herumzufahren beliebte. Um
dieses zierlichen Herrchens Bekanntschaft, ja sogar
Freundschaft, bewarb sich Victorin. Zwar hätte
er ein sicheres Mittel gehabt, alles dies durch Mit-
theilung seiner Erfindung in einem Augenblick zu er-
langen. Aber der junge Lehrling hütete sich; doch
hatt' er das seltne Geheimniß in der Luft zu fliegen

entdecken
C 5



gen nur einen Funken brauchten um aufzulodern.
Aber was vermag eine wahre Liebe nicht? Victorin
widerſtand den Reizen der Verſuchungen, Bezau-
berungen und Lockungen der Frau Procuratorinn;
oder wenn er ſie ja aus Hoͤflichkeit erwiderte, ge-
ſchah es blos, um ſeine Sitten auszubilden; denn
er wußte wohl, daß nichts wirkſamer einen jungen
Menſchen bilde, als die Lehren einer Frau.

Uebrigens warf er ſeinen Blick beſonders auf die
jungen vornehmen Staͤdter, und ſuchte ſeine Muſter
unter denen die Chriſtinen aͤhnelten, in der feſten
Ueberzeugung, daß das lateiniſche Spruͤchwort —
denn er hatte den Donat gelernt — Similis ſimili
gaudet
(gleich und gleich geſollt ſich gern) das
wahrſte von allen Spruͤchwoͤrtern ſey.

Es war damals in dieſer Stadt der Dauphi-
ne — der Name thut nichts zur Sache — ein
junger Kavalier, der fuͤr den vornehmſten der Pro-
vinz gehalten ward. Ein ſchoͤner junger Mann, der
Sohn einer zu nachſichtsvollen Mutter, reich, eitel,
der ſein ganzes Verdienſt in Kleidern, Stickereyen,
Manchetten, Juwelen und einer artigen Equipage
ſetzte, in welcher er, ohne Abſicht, alle Nachmittage
zwey oder drey Stunden herumzufahren beliebte. Um
dieſes zierlichen Herrchens Bekanntſchaft, ja ſogar
Freundſchaft, bewarb ſich Victorin. Zwar haͤtte
er ein ſicheres Mittel gehabt, alles dies durch Mit-
theilung ſeiner Erfindung in einem Augenblick zu er-
langen. Aber der junge Lehrling huͤtete ſich; doch
hatt’ er das ſeltne Geheimniß in der Luft zu fliegen

entdecken
C 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="41"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gen nur einen Funken brauchten um aufzulodern.<lb/>
Aber was vermag eine wahre Liebe nicht? Victorin<lb/>
wider&#x017F;tand den Reizen der Ver&#x017F;uchungen, Bezau-<lb/>
berungen und Lockungen der Frau Procuratorinn;<lb/>
oder wenn er &#x017F;ie ja aus Ho&#x0364;flichkeit erwiderte, ge-<lb/>
&#x017F;chah es blos, um &#x017F;eine Sitten auszubilden; denn<lb/>
er wußte wohl, daß nichts wirk&#x017F;amer einen jungen<lb/>
Men&#x017F;chen bilde, als die Lehren einer Frau.</p><lb/>
        <p>Uebrigens warf er &#x017F;einen Blick be&#x017F;onders auf die<lb/>
jungen vornehmen Sta&#x0364;dter, und &#x017F;uchte &#x017F;eine Mu&#x017F;ter<lb/>
unter denen die Chri&#x017F;tinen a&#x0364;hnelten, in der fe&#x017F;ten<lb/>
Ueberzeugung, daß das lateini&#x017F;che Spru&#x0364;chwort &#x2014;<lb/>
denn er hatte den Donat gelernt &#x2014; <hi rendition="#aq">Similis &#x017F;imili<lb/>
gaudet</hi> (gleich und gleich ge&#x017F;ollt &#x017F;ich gern) das<lb/>
wahr&#x017F;te von allen Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern &#x017F;ey.</p><lb/>
        <p>Es war damals in die&#x017F;er Stadt der Dauphi-<lb/>
ne &#x2014; der Name thut nichts zur Sache &#x2014; ein<lb/>
junger Kavalier, der fu&#x0364;r den vornehm&#x017F;ten der Pro-<lb/>
vinz gehalten ward. Ein &#x017F;cho&#x0364;ner junger Mann, der<lb/>
Sohn einer zu nach&#x017F;ichtsvollen Mutter, reich, eitel,<lb/>
der &#x017F;ein ganzes Verdien&#x017F;t in Kleidern, Stickereyen,<lb/>
Manchetten, Juwelen und einer artigen Equipage<lb/>
&#x017F;etzte, in welcher er, ohne Ab&#x017F;icht, alle Nachmittage<lb/>
zwey oder drey Stunden herumzufahren beliebte. Um<lb/>
die&#x017F;es zierlichen Herrchens Bekannt&#x017F;chaft, ja &#x017F;ogar<lb/>
Freund&#x017F;chaft, bewarb &#x017F;ich Victorin. Zwar ha&#x0364;tte<lb/>
er ein &#x017F;icheres Mittel gehabt, alles dies durch Mit-<lb/>
theilung &#x017F;einer Erfindung in einem Augenblick zu er-<lb/>
langen. Aber der junge Lehrling hu&#x0364;tete &#x017F;ich; doch<lb/>
hatt&#x2019; er das &#x017F;eltne Geheimniß in der Luft zu fliegen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 5</fw><fw place="bottom" type="catch">entdecken</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0049] gen nur einen Funken brauchten um aufzulodern. Aber was vermag eine wahre Liebe nicht? Victorin widerſtand den Reizen der Verſuchungen, Bezau- berungen und Lockungen der Frau Procuratorinn; oder wenn er ſie ja aus Hoͤflichkeit erwiderte, ge- ſchah es blos, um ſeine Sitten auszubilden; denn er wußte wohl, daß nichts wirkſamer einen jungen Menſchen bilde, als die Lehren einer Frau. Uebrigens warf er ſeinen Blick beſonders auf die jungen vornehmen Staͤdter, und ſuchte ſeine Muſter unter denen die Chriſtinen aͤhnelten, in der feſten Ueberzeugung, daß das lateiniſche Spruͤchwort — denn er hatte den Donat gelernt — Similis ſimili gaudet (gleich und gleich geſollt ſich gern) das wahrſte von allen Spruͤchwoͤrtern ſey. Es war damals in dieſer Stadt der Dauphi- ne — der Name thut nichts zur Sache — ein junger Kavalier, der fuͤr den vornehmſten der Pro- vinz gehalten ward. Ein ſchoͤner junger Mann, der Sohn einer zu nachſichtsvollen Mutter, reich, eitel, der ſein ganzes Verdienſt in Kleidern, Stickereyen, Manchetten, Juwelen und einer artigen Equipage ſetzte, in welcher er, ohne Abſicht, alle Nachmittage zwey oder drey Stunden herumzufahren beliebte. Um dieſes zierlichen Herrchens Bekanntſchaft, ja ſogar Freundſchaft, bewarb ſich Victorin. Zwar haͤtte er ein ſicheres Mittel gehabt, alles dies durch Mit- theilung ſeiner Erfindung in einem Augenblick zu er- langen. Aber der junge Lehrling huͤtete ſich; doch hatt’ er das ſeltne Geheimniß in der Luft zu fliegen entdecken C 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/49
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/49>, abgerufen am 18.04.2024.