Gelegenheit vorbey zu lassen, um eine gesittete Auf- führung zu erlernen, ehe er seine Entwürfe auf Mamsell Christinen ausführte.
Den andern Morgen reist' er zu Pferde in Be- gleitung eines Bedienten von seinem Vater ab, und traf am Abend in *** bey dem Herrn Troismots- parligne, Sachwalter im Oberamte ein.
Victorin war ein schöner Bursche, eine frische Farbe belebte seine Wangen; ein männliches und kraftvolles Ansehen, ohne Härte vereinigte sich mit seiner natürlichen Schönheit. Seine Hauptabsicht war sich nach den anständigen Sitten zu bilden, um sich bey Christinen, wenn er sie entführt hätte, be- liebt zu machen, er legte sich also darauf zuerst. Wer den Vorsatz zu gefallen hat, gefällt auch.
Madam Troismotsparligne war ein wohlge- wachsenes Frauenzimmer von ohngefähr fünf und zwanzig Jahren, ob ihr Mann gleich reichliche funf- zig zählte. Jn einer Entfernung von zwanzig auch wohl zehn Schritten konnte sie für eine schöne Frau gelten: Die Bildung ihres Gesichts war angenehm, und ihre Farbe glich beynah Victorins seiner; in der Nähe hingegen fand man sie sehr von den Pocken gezeichnet: ihr Gang war wollüstig und beynah un- ehrbar, wunderschön ihr Wuchs, ihre Hüften schön und ihr Fuß reitzend: Auch für ihren Putz sorgte sie außerordentlich.
Diese Frau warf ihr Netz auf Victorin aus, auf Victorin, dessen frische und starke Empfindun-
gen
Gelegenheit vorbey zu laſſen, um eine geſittete Auf- fuͤhrung zu erlernen, ehe er ſeine Entwuͤrfe auf Mamſell Chriſtinen ausfuͤhrte.
Den andern Morgen reiſt’ er zu Pferde in Be- gleitung eines Bedienten von ſeinem Vater ab, und traf am Abend in *** bey dem Herrn Troismots- parligne, Sachwalter im Oberamte ein.
Victorin war ein ſchoͤner Burſche, eine friſche Farbe belebte ſeine Wangen; ein maͤnnliches und kraftvolles Anſehen, ohne Haͤrte vereinigte ſich mit ſeiner natuͤrlichen Schoͤnheit. Seine Hauptabſicht war ſich nach den anſtaͤndigen Sitten zu bilden, um ſich bey Chriſtinen, wenn er ſie entfuͤhrt haͤtte, be- liebt zu machen, er legte ſich alſo darauf zuerſt. Wer den Vorſatz zu gefallen hat, gefaͤllt auch.
Madam Troismotsparligne war ein wohlge- wachſenes Frauenzimmer von ohngefaͤhr fuͤnf und zwanzig Jahren, ob ihr Mann gleich reichliche funf- zig zaͤhlte. Jn einer Entfernung von zwanzig auch wohl zehn Schritten konnte ſie fuͤr eine ſchoͤne Frau gelten: Die Bildung ihres Geſichts war angenehm, und ihre Farbe glich beynah Victorins ſeiner; in der Naͤhe hingegen fand man ſie ſehr von den Pocken gezeichnet: ihr Gang war wolluͤſtig und beynah un- ehrbar, wunderſchoͤn ihr Wuchs, ihre Huͤften ſchoͤn und ihr Fuß reitzend: Auch fuͤr ihren Putz ſorgte ſie außerordentlich.
Dieſe Frau warf ihr Netz auf Victorin aus, auf Victorin, deſſen friſche und ſtarke Empfindun-
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Gelegenheit vorbey zu laſſen, um eine geſittete Auf-
fuͤhrung zu erlernen, ehe er ſeine Entwuͤrfe auf
Mamſell Chriſtinen ausfuͤhrte.
Den andern Morgen reiſt’ er zu Pferde in Be-
gleitung eines Bedienten von ſeinem Vater ab, und
traf am Abend in *** bey dem Herrn Troismots-
parligne, Sachwalter im Oberamte ein.
Victorin war ein ſchoͤner Burſche, eine friſche
Farbe belebte ſeine Wangen; ein maͤnnliches und
kraftvolles Anſehen, ohne Haͤrte vereinigte ſich mit
ſeiner natuͤrlichen Schoͤnheit. Seine Hauptabſicht
war ſich nach den anſtaͤndigen Sitten zu bilden, um
ſich bey Chriſtinen, wenn er ſie entfuͤhrt haͤtte, be-
liebt zu machen, er legte ſich alſo darauf zuerſt.
Wer den Vorſatz zu gefallen hat, gefaͤllt auch.
Madam Troismotsparligne war ein wohlge-
wachſenes Frauenzimmer von ohngefaͤhr fuͤnf und
zwanzig Jahren, ob ihr Mann gleich reichliche funf-
zig zaͤhlte. Jn einer Entfernung von zwanzig auch
wohl zehn Schritten konnte ſie fuͤr eine ſchoͤne Frau
gelten: Die Bildung ihres Geſichts war angenehm,
und ihre Farbe glich beynah Victorins ſeiner; in
der Naͤhe hingegen fand man ſie ſehr von den Pocken
gezeichnet: ihr Gang war wolluͤſtig und beynah un-
ehrbar, wunderſchoͤn ihr Wuchs, ihre Huͤften ſchoͤn
und ihr Fuß reitzend: Auch fuͤr ihren Putz ſorgte
ſie außerordentlich.
Dieſe Frau warf ihr Netz auf Victorin aus,
auf Victorin, deſſen friſche und ſtarke Empfindun-
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/48>, abgerufen am 20.04.2024.
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