von Zeit zu Zeit Unterhalt, jedoch in der Nacht, um nicht bemerkt zu werden.
Nach diesem Unternehmen kehrt' er zu seinem Vater zurück, legte sich ins Bette, und schlief ziem- lich lange. -- Jn einer kleinen Burg macht alles gleich Aufsehen? -- Als er den andern Morgen aufstand, hört' er keinen Menschen von etwas an- ders als von der Entweichung der Vezinier und ih- rer Tochter reden. Man gab vor, daß sie aus Mis- vergnügen fortgegangen wären, aber doch kam es ihnen wunderbar vor, daß sie ihre Habseligkeiten und nicht einmal ihren Hausrath verkauft hatten. Man suchte in allen Brunnen, aus Furcht, daß sie sich hinein gestürzt hätten, man zog in den benach- barten Orten, und auf den Straßen Erkundigung ein; aber man konnte nichts entdecken. Endlich ga- ben die alten Grosmütterchen vor, der Teufel habe sie gehohlt; und bald glaubte man es in allen Or- ten der Provinz.
Nach allen diesen Vorbereitungen, blieb Victo- rin fest und entschlossen in seinem Plan. Er unter- ließ nicht, sich beynah täglich in dem Garten des Schlosses einzufinden, und sich Christinen durch zu- vorkommende Gefälligkeiten beliebt zu machen. Dies gelang ihm. Den Tag vor seiner Abreise nach der Stadt sah er die Tochter des Herrn, und im Vor- beygehen lachte sie ihn auf eine sehr höfliche Art an. Er folgt' ihr, als ob ihn sein Weg dahin führte. Die schöne Christine ließ, mit Vorsatz, oder aus Versehn, den Fächer fallen und gieng immer wei-
ter.
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von Zeit zu Zeit Unterhalt, jedoch in der Nacht, um nicht bemerkt zu werden.
Nach dieſem Unternehmen kehrt’ er zu ſeinem Vater zuruͤck, legte ſich ins Bette, und ſchlief ziem- lich lange. — Jn einer kleinen Burg macht alles gleich Aufſehen? — Als er den andern Morgen aufſtand, hoͤrt’ er keinen Menſchen von etwas an- ders als von der Entweichung der Vezinier und ih- rer Tochter reden. Man gab vor, daß ſie aus Mis- vergnuͤgen fortgegangen waͤren, aber doch kam es ihnen wunderbar vor, daß ſie ihre Habſeligkeiten und nicht einmal ihren Hausrath verkauft hatten. Man ſuchte in allen Brunnen, aus Furcht, daß ſie ſich hinein geſtuͤrzt haͤtten, man zog in den benach- barten Orten, und auf den Straßen Erkundigung ein; aber man konnte nichts entdecken. Endlich ga- ben die alten Grosmuͤtterchen vor, der Teufel habe ſie gehohlt; und bald glaubte man es in allen Or- ten der Provinz.
Nach allen dieſen Vorbereitungen, blieb Victo- rin feſt und entſchloſſen in ſeinem Plan. Er unter- ließ nicht, ſich beynah taͤglich in dem Garten des Schloſſes einzufinden, und ſich Chriſtinen durch zu- vorkommende Gefaͤlligkeiten beliebt zu machen. Dies gelang ihm. Den Tag vor ſeiner Abreiſe nach der Stadt ſah er die Tochter des Herrn, und im Vor- beygehen lachte ſie ihn auf eine ſehr hoͤfliche Art an. Er folgt’ ihr, als ob ihn ſein Weg dahin fuͤhrte. Die ſchoͤne Chriſtine ließ, mit Vorſatz, oder aus Verſehn, den Faͤcher fallen und gieng immer wei-
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von Zeit zu Zeit Unterhalt, jedoch in der Nacht,
um nicht bemerkt zu werden.
Nach dieſem Unternehmen kehrt’ er zu ſeinem
Vater zuruͤck, legte ſich ins Bette, und ſchlief ziem-
lich lange. — Jn einer kleinen Burg macht alles
gleich Aufſehen? — Als er den andern Morgen
aufſtand, hoͤrt’ er keinen Menſchen von etwas an-
ders als von der Entweichung der Vezinier und ih-
rer Tochter reden. Man gab vor, daß ſie aus Mis-
vergnuͤgen fortgegangen waͤren, aber doch kam es
ihnen wunderbar vor, daß ſie ihre Habſeligkeiten
und nicht einmal ihren Hausrath verkauft hatten.
Man ſuchte in allen Brunnen, aus Furcht, daß ſie
ſich hinein geſtuͤrzt haͤtten, man zog in den benach-
barten Orten, und auf den Straßen Erkundigung
ein; aber man konnte nichts entdecken. Endlich ga-
ben die alten Grosmuͤtterchen vor, der Teufel habe
ſie gehohlt; und bald glaubte man es in allen Or-
ten der Provinz.
Nach allen dieſen Vorbereitungen, blieb Victo-
rin feſt und entſchloſſen in ſeinem Plan. Er unter-
ließ nicht, ſich beynah taͤglich in dem Garten des
Schloſſes einzufinden, und ſich Chriſtinen durch zu-
vorkommende Gefaͤlligkeiten beliebt zu machen. Dies
gelang ihm. Den Tag vor ſeiner Abreiſe nach der
Stadt ſah er die Tochter des Herrn, und im Vor-
beygehen lachte ſie ihn auf eine ſehr hoͤfliche Art an.
Er folgt’ ihr, als ob ihn ſein Weg dahin fuͤhrte.
Die ſchoͤne Chriſtine ließ, mit Vorſatz, oder aus
Verſehn, den Faͤcher fallen und gieng immer wei-
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/45>, abgerufen am 23.11.2024.
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