mit ihnen zu reden habe; um aber nicht bemerkt zu werden, möchten sie an einen entfernten Ort, den er angab, sich einfinden.
Während, daß sie dahin giengen, legte Victorin seine Flügel an, und erhob sich in die Luft; da er der Mutter und der Tochter gesagt hatte, sie möch- ten auf einen Stein treten, damit er sie von weiten sähe, und nicht nöthig hätte sie zu rufen; so stieß er gerade auf sie nieder, und führte alle beyde mit- telst zwey breiten Gurten, die er unter den Achseln um sie schlug, weg.
Vor Schrecken verlohren sie ihr Bewußtseyn, und Victorin langte durch verdoppelte Geschwindigkeit mit seiner Last in weniger als einer Stunde auf dem unbesteiglichen Berge an. Er setzte sie bey den vor- her hingeschaften Vorräthen nieder, spritzte ihnen Wasser ins Gesicht, und als sie wieder zu sich kamen, machte er sich unbemerkt davon. Da die Mutter sehr gut lesen konnte, schrieb er ihr auf ein Blatt Pap- pier das hin, was sie thun sollte. Sie las es, als sie zu sich selbst gekommen, und fand das Verspre- chen, daß man sie keinen Mangel an Lebensmitteln leiden lassen, und ihr bald Gesellschaft bringen würde. Dies war zwar einiger Trost, dem ohnge- achtet hatte sie eine seltsame Vorstellung von ihrer Entführung, und glaubte, weil sie ein Land ohne Einrichtung sahe, vom Teufel zur Bestrafung ihres vorigen Lebenswandels, dahin gebracht zu seyn. Jndeß folgte sie doch dem Befehl, fieng mit ihrer Tochter an zu arbeiten, und Victorin bracht' ihr
von
mit ihnen zu reden habe; um aber nicht bemerkt zu werden, moͤchten ſie an einen entfernten Ort, den er angab, ſich einfinden.
Waͤhrend, daß ſie dahin giengen, legte Victorin ſeine Fluͤgel an, und erhob ſich in die Luft; da er der Mutter und der Tochter geſagt hatte, ſie moͤch- ten auf einen Stein treten, damit er ſie von weiten ſaͤhe, und nicht noͤthig haͤtte ſie zu rufen; ſo ſtieß er gerade auf ſie nieder, und fuͤhrte alle beyde mit- telſt zwey breiten Gurten, die er unter den Achſeln um ſie ſchlug, weg.
Vor Schrecken verlohren ſie ihr Bewußtſeyn, und Victorin langte durch verdoppelte Geſchwindigkeit mit ſeiner Laſt in weniger als einer Stunde auf dem unbeſteiglichen Berge an. Er ſetzte ſie bey den vor- her hingeſchaften Vorraͤthen nieder, ſpritzte ihnen Waſſer ins Geſicht, und als ſie wieder zu ſich kamen, machte er ſich unbemerkt davon. Da die Mutter ſehr gut leſen konnte, ſchrieb er ihr auf ein Blatt Pap- pier das hin, was ſie thun ſollte. Sie las es, als ſie zu ſich ſelbſt gekommen, und fand das Verſpre- chen, daß man ſie keinen Mangel an Lebensmitteln leiden laſſen, und ihr bald Geſellſchaft bringen wuͤrde. Dies war zwar einiger Troſt, dem ohnge- achtet hatte ſie eine ſeltſame Vorſtellung von ihrer Entfuͤhrung, und glaubte, weil ſie ein Land ohne Einrichtung ſahe, vom Teufel zur Beſtrafung ihres vorigen Lebenswandels, dahin gebracht zu ſeyn. Jndeß folgte ſie doch dem Befehl, fieng mit ihrer Tochter an zu arbeiten, und Victorin bracht’ ihr
von
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0044"n="36"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
mit ihnen zu reden habe; um aber nicht bemerkt zu<lb/>
werden, moͤchten ſie an einen entfernten Ort, den<lb/>
er angab, ſich einfinden.</p><lb/><p>Waͤhrend, daß ſie dahin giengen, legte Victorin<lb/>ſeine Fluͤgel an, und erhob ſich in die Luft; da er<lb/>
der Mutter und der Tochter geſagt hatte, ſie moͤch-<lb/>
ten auf einen Stein treten, damit er ſie von weiten<lb/>ſaͤhe, und nicht noͤthig haͤtte ſie zu rufen; ſo ſtieß<lb/>
er gerade auf ſie nieder, und fuͤhrte alle beyde mit-<lb/>
telſt zwey breiten Gurten, die er unter den Achſeln<lb/>
um ſie ſchlug, weg.</p><lb/><p>Vor Schrecken verlohren ſie ihr Bewußtſeyn, und<lb/>
Victorin langte durch verdoppelte Geſchwindigkeit<lb/>
mit ſeiner Laſt in weniger als einer Stunde auf dem<lb/>
unbeſteiglichen Berge an. Er ſetzte ſie bey den vor-<lb/>
her hingeſchaften Vorraͤthen nieder, ſpritzte ihnen<lb/>
Waſſer ins Geſicht, und als ſie wieder zu ſich kamen,<lb/>
machte er ſich unbemerkt davon. Da die Mutter ſehr<lb/>
gut leſen konnte, ſchrieb er ihr auf ein Blatt Pap-<lb/>
pier das hin, was ſie thun ſollte. Sie las es, als<lb/>ſie zu ſich ſelbſt gekommen, und fand das Verſpre-<lb/>
chen, daß man ſie keinen Mangel an Lebensmitteln<lb/>
leiden laſſen, und ihr bald Geſellſchaft bringen<lb/>
wuͤrde. Dies war zwar einiger Troſt, dem ohnge-<lb/>
achtet hatte ſie eine ſeltſame Vorſtellung von ihrer<lb/>
Entfuͤhrung, und glaubte, weil ſie ein Land ohne<lb/>
Einrichtung ſahe, vom Teufel zur Beſtrafung ihres<lb/>
vorigen Lebenswandels, dahin gebracht zu ſeyn.<lb/>
Jndeß folgte ſie doch dem Befehl, fieng mit ihrer<lb/>
Tochter an zu arbeiten, und Victorin bracht’ ihr<lb/><fwplace="bottom"type="catch">von</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[36/0044]
mit ihnen zu reden habe; um aber nicht bemerkt zu
werden, moͤchten ſie an einen entfernten Ort, den
er angab, ſich einfinden.
Waͤhrend, daß ſie dahin giengen, legte Victorin
ſeine Fluͤgel an, und erhob ſich in die Luft; da er
der Mutter und der Tochter geſagt hatte, ſie moͤch-
ten auf einen Stein treten, damit er ſie von weiten
ſaͤhe, und nicht noͤthig haͤtte ſie zu rufen; ſo ſtieß
er gerade auf ſie nieder, und fuͤhrte alle beyde mit-
telſt zwey breiten Gurten, die er unter den Achſeln
um ſie ſchlug, weg.
Vor Schrecken verlohren ſie ihr Bewußtſeyn, und
Victorin langte durch verdoppelte Geſchwindigkeit
mit ſeiner Laſt in weniger als einer Stunde auf dem
unbeſteiglichen Berge an. Er ſetzte ſie bey den vor-
her hingeſchaften Vorraͤthen nieder, ſpritzte ihnen
Waſſer ins Geſicht, und als ſie wieder zu ſich kamen,
machte er ſich unbemerkt davon. Da die Mutter ſehr
gut leſen konnte, ſchrieb er ihr auf ein Blatt Pap-
pier das hin, was ſie thun ſollte. Sie las es, als
ſie zu ſich ſelbſt gekommen, und fand das Verſpre-
chen, daß man ſie keinen Mangel an Lebensmitteln
leiden laſſen, und ihr bald Geſellſchaft bringen
wuͤrde. Dies war zwar einiger Troſt, dem ohnge-
achtet hatte ſie eine ſeltſame Vorſtellung von ihrer
Entfuͤhrung, und glaubte, weil ſie ein Land ohne
Einrichtung ſahe, vom Teufel zur Beſtrafung ihres
vorigen Lebenswandels, dahin gebracht zu ſeyn.
Jndeß folgte ſie doch dem Befehl, fieng mit ihrer
Tochter an zu arbeiten, und Victorin bracht’ ihr
von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/44>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.