gröste Aufmerksamkeit zeigen, wenn es auf die Behauptung der Vorrechte ankomt, die sie ihnen in den Augen des Pöbels vor andern giebt.
-- Jch versteh' euch nicht, edler Christinier, bekennen sie ihre Religion, oder bekennen sie solche nicht?
-- Sie bekennen dieselbe.
-- Ohne ihr zu folgen?
-- Leider!
-- Jhr gebt mir einen unbegreiflichen Ab- scheu für die Enropäer! eine so schöne Religion, die wie ich aus ihren Gesetzen sehe, von dem grossen Gott selbst angeordnet ist, zu bekennen, ohne sie zu befolgen! Eure Europäer sind Unge- heuer! ... Und bei euch auf der Christin- insel? --
-- Wir haben alle Gesetze der Gleichheit, der Bruderliebe, der Gemeinschaft, des Wohlwollens in Ausübung gebracht, und wir sind in buch- stäblicher Befolgung derselben glücklich.
-- Euer Betragen beweißt die Thorheit der Europäer noch mehr: das ist ein abscheuliches Volk! Es hat gute Gesetze und befolgt sie nicht. Es ist bis aufs Herz verdorben. --
(Dies ists was ein rechtschafner Mann, der die Stimme der Natur und der Vernunft nie er- stickt hat, von euch urtheilt!)
Die
groͤſte Aufmerkſamkeit zeigen, wenn es auf die Behauptung der Vorrechte ankomt, die ſie ihnen in den Augen des Poͤbels vor andern giebt.
— Jch verſteh’ euch nicht, edler Chriſtinier, bekennen ſie ihre Religion, oder bekennen ſie ſolche nicht?
— Sie bekennen dieſelbe.
— Ohne ihr zu folgen?
— Leider!
— Jhr gebt mir einen unbegreiflichen Ab- ſcheu fuͤr die Enropaͤer! eine ſo ſchoͤne Religion, die wie ich aus ihren Geſetzen ſehe, von dem groſſen Gott ſelbſt angeordnet iſt, zu bekennen, ohne ſie zu befolgen! Eure Europaͤer ſind Unge- heuer! … Und bei euch auf der Chriſtin- inſel? —
— Wir haben alle Geſetze der Gleichheit, der Bruderliebe, der Gemeinſchaft, des Wohlwollens in Ausuͤbung gebracht, und wir ſind in buch- ſtaͤblicher Befolgung derſelben gluͤcklich.
— Euer Betragen beweißt die Thorheit der Europaͤer noch mehr: das iſt ein abſcheuliches Volk! Es hat gute Geſetze und befolgt ſie nicht. Es iſt bis aufs Herz verdorben. —
(Dies iſts was ein rechtſchafner Mann, der die Stimme der Natur und der Vernunft nie er- ſtickt hat, von euch urtheilt!)
Die
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groͤſte Aufmerkſamkeit zeigen, wenn es auf die
Behauptung der Vorrechte ankomt, die ſie ihnen
in den Augen des Poͤbels vor andern giebt.
— Jch verſteh’ euch nicht, edler Chriſtinier,
bekennen ſie ihre Religion, oder bekennen ſie ſolche
nicht?
— Sie bekennen dieſelbe.
— Ohne ihr zu folgen?
— Leider!
— Jhr gebt mir einen unbegreiflichen Ab-
ſcheu fuͤr die Enropaͤer! eine ſo ſchoͤne Religion,
die wie ich aus ihren Geſetzen ſehe, von dem
groſſen Gott ſelbſt angeordnet iſt, zu bekennen,
ohne ſie zu befolgen! Eure Europaͤer ſind Unge-
heuer! … Und bei euch auf der Chriſtin-
inſel? —
— Wir haben alle Geſetze der Gleichheit, der
Bruderliebe, der Gemeinſchaft, des Wohlwollens
in Ausuͤbung gebracht, und wir ſind in buch-
ſtaͤblicher Befolgung derſelben gluͤcklich.
— Euer Betragen beweißt die Thorheit der
Europaͤer noch mehr: das iſt ein abſcheuliches
Volk! Es hat gute Geſetze und befolgt ſie nicht.
Es iſt bis aufs Herz verdorben. —
(Dies iſts was ein rechtſchafner Mann, der
die Stimme der Natur und der Vernunft nie er-
ſtickt hat, von euch urtheilt!)
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/357>, abgerufen am 17.07.2024.
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