Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


Dieser gefährliche Versuch brachte sie zu dem
Entschlus, sich auf das Schif zu begeben, und
mit Gewalt auf die Jnsel einzudringen. Zwar
wich dies ein wenig von ihrem Plan der Gerechtig-
keit und Ruhe ab; aber iedermann hat seine Lei-
denschaft. Sie waren wider die Vogelmenschen ein-
mal aufgebracht, ohne zu erwegen, daß ihr erster
Anblick sie nur in Staunen gesetzt haben, und sie
vielleicht anfangs blos aus Neugier verfolgt geworden
sein könten. Sie erreichten das Schif, und liessen es
an der fliegenden Jnsel landen. Beim Anblick des-
selben, versamlete eine Wolke von Vogelmenschen
sich herum, die hin und herflogen, und ein uner-
trägliches Geschrei machten. Aber die Hitze der
Prinzen hatte sich indes etwas gelegt, und sie nah-
men sich daher wohl in Acht unter sie zu schiessen.
Sie liessen es bei Abfeuerung der Kanonen bewen-
den, wodurch die Luft im Augenblick von die-
sen fliegenden Wesen gereinigt ward. Drauf lan-
dete man in Ruhe, und begab sich weiter hinein
in die Jnsel, die man mit Fruchtbäumen von ver-
schiedener Gattung, besonders mit Eichen, die
mehrerer Fruchtbarkeit wegen in trocknen Gegenden
gepflanzt waren, besetzt fand. Der zwar unge-
baute Boden zeigte doch überall Spuren einer ar-
beitsamen Hand. Man gelangte bald zu einer
von den gedachten auf Bäumen gelegnen Stadt,
und sah die Vogelmenschen mit dem Kopf aus den
Nestern gucken, aber sie antworteten auf die ihnen
gegebenen Freundschaftszeichen nicht. Die geflü-
gelten Prinzen erhoben sich daher bis zu den Ne-

stern,
S 3


Dieſer gefaͤhrliche Verſuch brachte ſie zu dem
Entſchlus, ſich auf das Schif zu begeben, und
mit Gewalt auf die Jnſel einzudringen. Zwar
wich dies ein wenig von ihrem Plan der Gerechtig-
keit und Ruhe ab; aber iedermann hat ſeine Lei-
denſchaft. Sie waren wider die Vogelmenſchen ein-
mal aufgebracht, ohne zu erwegen, daß ihr erſter
Anblick ſie nur in Staunen geſetzt haben, und ſie
vielleicht anfangs blos aus Neugier verfolgt geworden
ſein koͤnten. Sie erreichten das Schif, und lieſſen es
an der fliegenden Jnſel landen. Beim Anblick deſ-
ſelben, verſamlete eine Wolke von Vogelmenſchen
ſich herum, die hin und herflogen, und ein uner-
traͤgliches Geſchrei machten. Aber die Hitze der
Prinzen hatte ſich indes etwas gelegt, und ſie nah-
men ſich daher wohl in Acht unter ſie zu ſchieſſen.
Sie lieſſen es bei Abfeuerung der Kanonen bewen-
den, wodurch die Luft im Augenblick von die-
ſen fliegenden Weſen gereinigt ward. Drauf lan-
dete man in Ruhe, und begab ſich weiter hinein
in die Jnſel, die man mit Fruchtbaͤumen von ver-
ſchiedener Gattung, beſonders mit Eichen, die
mehrerer Fruchtbarkeit wegen in trocknen Gegenden
gepflanzt waren, beſetzt fand. Der zwar unge-
baute Boden zeigte doch uͤberall Spuren einer ar-
beitſamen Hand. Man gelangte bald zu einer
von den gedachten auf Baͤumen gelegnen Stadt,
und ſah die Vogelmenſchen mit dem Kopf aus den
Neſtern gucken, aber ſie antworteten auf die ihnen
gegebenen Freundſchaftszeichen nicht. Die gefluͤ-
gelten Prinzen erhoben ſich daher bis zu den Ne-

ſtern,
S 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0285" n="277"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die&#x017F;er gefa&#x0364;hrliche Ver&#x017F;uch brachte &#x017F;ie zu dem<lb/>
Ent&#x017F;chlus, &#x017F;ich auf das Schif zu begeben, und<lb/>
mit Gewalt auf die Jn&#x017F;el einzudringen. Zwar<lb/>
wich dies ein wenig von ihrem Plan der Gerechtig-<lb/>
keit und Ruhe ab; aber iedermann hat &#x017F;eine Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft. Sie waren wider die Vogelmen&#x017F;chen ein-<lb/>
mal aufgebracht, ohne zu erwegen, daß ihr er&#x017F;ter<lb/>
Anblick &#x017F;ie nur in Staunen ge&#x017F;etzt haben, und &#x017F;ie<lb/>
vielleicht anfangs blos aus Neugier verfolgt geworden<lb/>
&#x017F;ein ko&#x0364;nten. Sie erreichten das Schif, und lie&#x017F;&#x017F;en es<lb/>
an der fliegenden Jn&#x017F;el landen. Beim Anblick de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben, ver&#x017F;amlete eine Wolke von Vogelmen&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;ich herum, die hin und herflogen, und ein uner-<lb/>
tra&#x0364;gliches Ge&#x017F;chrei machten. Aber die Hitze der<lb/>
Prinzen hatte &#x017F;ich indes etwas gelegt, und &#x017F;ie nah-<lb/>
men &#x017F;ich daher wohl in Acht unter &#x017F;ie zu &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Sie lie&#x017F;&#x017F;en es bei Abfeuerung der Kanonen bewen-<lb/>
den, wodurch die Luft im Augenblick von die-<lb/>
&#x017F;en fliegenden We&#x017F;en gereinigt ward. Drauf lan-<lb/>
dete man in Ruhe, und begab &#x017F;ich weiter hinein<lb/>
in die Jn&#x017F;el, die man mit Fruchtba&#x0364;umen von ver-<lb/>
&#x017F;chiedener Gattung, be&#x017F;onders mit Eichen, die<lb/>
mehrerer Fruchtbarkeit wegen in trocknen Gegenden<lb/>
gepflanzt waren, be&#x017F;etzt fand. Der zwar unge-<lb/>
baute Boden zeigte doch u&#x0364;berall Spuren einer ar-<lb/>
beit&#x017F;amen Hand. Man gelangte bald zu einer<lb/>
von den gedachten auf Ba&#x0364;umen gelegnen Stadt,<lb/>
und &#x017F;ah die Vogelmen&#x017F;chen mit dem Kopf aus den<lb/>
Ne&#x017F;tern gucken, aber &#x017F;ie antworteten auf die ihnen<lb/>
gegebenen Freund&#x017F;chaftszeichen nicht. Die geflu&#x0364;-<lb/>
gelten Prinzen erhoben &#x017F;ich daher bis zu den Ne-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tern,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0285] Dieſer gefaͤhrliche Verſuch brachte ſie zu dem Entſchlus, ſich auf das Schif zu begeben, und mit Gewalt auf die Jnſel einzudringen. Zwar wich dies ein wenig von ihrem Plan der Gerechtig- keit und Ruhe ab; aber iedermann hat ſeine Lei- denſchaft. Sie waren wider die Vogelmenſchen ein- mal aufgebracht, ohne zu erwegen, daß ihr erſter Anblick ſie nur in Staunen geſetzt haben, und ſie vielleicht anfangs blos aus Neugier verfolgt geworden ſein koͤnten. Sie erreichten das Schif, und lieſſen es an der fliegenden Jnſel landen. Beim Anblick deſ- ſelben, verſamlete eine Wolke von Vogelmenſchen ſich herum, die hin und herflogen, und ein uner- traͤgliches Geſchrei machten. Aber die Hitze der Prinzen hatte ſich indes etwas gelegt, und ſie nah- men ſich daher wohl in Acht unter ſie zu ſchieſſen. Sie lieſſen es bei Abfeuerung der Kanonen bewen- den, wodurch die Luft im Augenblick von die- ſen fliegenden Weſen gereinigt ward. Drauf lan- dete man in Ruhe, und begab ſich weiter hinein in die Jnſel, die man mit Fruchtbaͤumen von ver- ſchiedener Gattung, beſonders mit Eichen, die mehrerer Fruchtbarkeit wegen in trocknen Gegenden gepflanzt waren, beſetzt fand. Der zwar unge- baute Boden zeigte doch uͤberall Spuren einer ar- beitſamen Hand. Man gelangte bald zu einer von den gedachten auf Baͤumen gelegnen Stadt, und ſah die Vogelmenſchen mit dem Kopf aus den Neſtern gucken, aber ſie antworteten auf die ihnen gegebenen Freundſchaftszeichen nicht. Die gefluͤ- gelten Prinzen erhoben ſich daher bis zu den Ne- ſtern, S 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/285
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/285>, abgerufen am 17.05.2024.