Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite



von genetzter Erde und Moos, beinah wie die
Aelster- und Rabennester versehen war. Diese
neue Art von Stadt, zog ihre Aufmerksamkeit auf
sich. Alle Häuser waren aufs festeste verschlossen
und hatten blos oben eine Oefnung, wodurch die
Luft hinein konte. Jedes mochte ungefähr zehn
Fuß freien Platz, in allem Verstande, in sich
fassen, und schien Raum für zwei Paar zu enthal-
ten. Sie waren an der Spitze des Stammes,
und ihre Stützen mit vieler Geschicklichkeit an den
stärksten Aesten befestigt. Es waren lauter Frucht-
bäume, welche eine Art von Kastanien trugen,
die damals eben reisten. Ein Beweis von dem
Verstande der Einwohner, sie mochten auch sein
wer sie wolten. Die Christinischen Prinzen, kon-
ten diese Nester nicht genug betrachten, und bran-
ten vor Verlangen, eins von den inwohnenden
Wesen zu sehn. Jhre Neugier ward befriedigt,
aber nicht ohne Gefahr.

Dies Volk ging wie alles was zur fliegenden
Gattung gehört, zeitig schlafen, stand aber sehr
früh wieder auf. Kaum kündigte die Morgenrö-
the die Rückkehr des Tages an, als die geflügel-
ten Wilden die Thüre ihrer Nester eröfneten, und
mit sehr durchdringendem Geschrei haufenweis her-
vorkamen. Die Christinischen Prinzen hatten nur
einen Augenblick um sich zu besinnen und in Ver-
theidigungsstand zu setzen. Zum Glück hielt man
sie anfangs für Vögelmenschen, und sie schwangen
sich in eine ansehnliche Höhe. Endlich aber wur-

den
S 2



von genetzter Erde und Moos, beinah wie die
Aelſter- und Rabenneſter verſehen war. Dieſe
neue Art von Stadt, zog ihre Aufmerkſamkeit auf
ſich. Alle Haͤuſer waren aufs feſteſte verſchloſſen
und hatten blos oben eine Oefnung, wodurch die
Luft hinein konte. Jedes mochte ungefaͤhr zehn
Fuß freien Platz, in allem Verſtande, in ſich
faſſen, und ſchien Raum fuͤr zwei Paar zu enthal-
ten. Sie waren an der Spitze des Stammes,
und ihre Stuͤtzen mit vieler Geſchicklichkeit an den
ſtaͤrkſten Aeſten befeſtigt. Es waren lauter Frucht-
baͤume, welche eine Art von Kaſtanien trugen,
die damals eben reiſten. Ein Beweis von dem
Verſtande der Einwohner, ſie mochten auch ſein
wer ſie wolten. Die Chriſtiniſchen Prinzen, kon-
ten dieſe Neſter nicht genug betrachten, und bran-
ten vor Verlangen, eins von den inwohnenden
Weſen zu ſehn. Jhre Neugier ward befriedigt,
aber nicht ohne Gefahr.

Dies Volk ging wie alles was zur fliegenden
Gattung gehoͤrt, zeitig ſchlafen, ſtand aber ſehr
fruͤh wieder auf. Kaum kuͤndigte die Morgenroͤ-
the die Ruͤckkehr des Tages an, als die gefluͤgel-
ten Wilden die Thuͤre ihrer Neſter eroͤfneten, und
mit ſehr durchdringendem Geſchrei haufenweis her-
vorkamen. Die Chriſtiniſchen Prinzen hatten nur
einen Augenblick um ſich zu beſinnen und in Ver-
theidigungsſtand zu ſetzen. Zum Gluͤck hielt man
ſie anfangs fuͤr Voͤgelmenſchen, und ſie ſchwangen
ſich in eine anſehnliche Hoͤhe. Endlich aber wur-

den
S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0283" n="275"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
von genetzter Erde und Moos, beinah wie die<lb/>
Ael&#x017F;ter- und Rabenne&#x017F;ter ver&#x017F;ehen war. Die&#x017F;e<lb/>
neue Art von Stadt, zog ihre Aufmerk&#x017F;amkeit auf<lb/>
&#x017F;ich. Alle Ha&#x0364;u&#x017F;er waren aufs fe&#x017F;te&#x017F;te ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und hatten blos oben eine Oefnung, wodurch die<lb/>
Luft hinein konte. Jedes mochte ungefa&#x0364;hr zehn<lb/>
Fuß freien Platz, in allem Ver&#x017F;tande, in &#x017F;ich<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;chien Raum fu&#x0364;r zwei Paar zu enthal-<lb/>
ten. Sie waren an der Spitze des Stammes,<lb/>
und ihre Stu&#x0364;tzen mit vieler Ge&#x017F;chicklichkeit an den<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Ae&#x017F;ten befe&#x017F;tigt. Es waren lauter Frucht-<lb/>
ba&#x0364;ume, welche eine Art von Ka&#x017F;tanien trugen,<lb/>
die damals eben rei&#x017F;ten. Ein Beweis von dem<lb/>
Ver&#x017F;tande der Einwohner, &#x017F;ie mochten auch &#x017F;ein<lb/>
wer &#x017F;ie wolten. Die Chri&#x017F;tini&#x017F;chen Prinzen, kon-<lb/>
ten die&#x017F;e Ne&#x017F;ter nicht genug betrachten, und bran-<lb/>
ten vor Verlangen, eins von den inwohnenden<lb/>
We&#x017F;en zu &#x017F;ehn. Jhre Neugier ward befriedigt,<lb/>
aber nicht ohne Gefahr.</p><lb/>
          <p>Dies Volk ging wie alles was zur fliegenden<lb/>
Gattung geho&#x0364;rt, zeitig &#x017F;chlafen, &#x017F;tand aber &#x017F;ehr<lb/>
fru&#x0364;h wieder auf. Kaum ku&#x0364;ndigte die Morgenro&#x0364;-<lb/>
the die Ru&#x0364;ckkehr des Tages an, als die geflu&#x0364;gel-<lb/>
ten Wilden die Thu&#x0364;re ihrer Ne&#x017F;ter ero&#x0364;fneten, und<lb/>
mit &#x017F;ehr durchdringendem Ge&#x017F;chrei haufenweis her-<lb/>
vorkamen. Die Chri&#x017F;tini&#x017F;chen Prinzen hatten nur<lb/>
einen Augenblick um &#x017F;ich zu be&#x017F;innen und in Ver-<lb/>
theidigungs&#x017F;tand zu &#x017F;etzen. Zum Glu&#x0364;ck hielt man<lb/>
&#x017F;ie anfangs fu&#x0364;r Vo&#x0364;gelmen&#x017F;chen, und &#x017F;ie &#x017F;chwangen<lb/>
&#x017F;ich in eine an&#x017F;ehnliche Ho&#x0364;he. Endlich aber wur-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 2</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0283] von genetzter Erde und Moos, beinah wie die Aelſter- und Rabenneſter verſehen war. Dieſe neue Art von Stadt, zog ihre Aufmerkſamkeit auf ſich. Alle Haͤuſer waren aufs feſteſte verſchloſſen und hatten blos oben eine Oefnung, wodurch die Luft hinein konte. Jedes mochte ungefaͤhr zehn Fuß freien Platz, in allem Verſtande, in ſich faſſen, und ſchien Raum fuͤr zwei Paar zu enthal- ten. Sie waren an der Spitze des Stammes, und ihre Stuͤtzen mit vieler Geſchicklichkeit an den ſtaͤrkſten Aeſten befeſtigt. Es waren lauter Frucht- baͤume, welche eine Art von Kaſtanien trugen, die damals eben reiſten. Ein Beweis von dem Verſtande der Einwohner, ſie mochten auch ſein wer ſie wolten. Die Chriſtiniſchen Prinzen, kon- ten dieſe Neſter nicht genug betrachten, und bran- ten vor Verlangen, eins von den inwohnenden Weſen zu ſehn. Jhre Neugier ward befriedigt, aber nicht ohne Gefahr. Dies Volk ging wie alles was zur fliegenden Gattung gehoͤrt, zeitig ſchlafen, ſtand aber ſehr fruͤh wieder auf. Kaum kuͤndigte die Morgenroͤ- the die Ruͤckkehr des Tages an, als die gefluͤgel- ten Wilden die Thuͤre ihrer Neſter eroͤfneten, und mit ſehr durchdringendem Geſchrei haufenweis her- vorkamen. Die Chriſtiniſchen Prinzen hatten nur einen Augenblick um ſich zu beſinnen und in Ver- theidigungsſtand zu ſetzen. Zum Gluͤck hielt man ſie anfangs fuͤr Voͤgelmenſchen, und ſie ſchwangen ſich in eine anſehnliche Hoͤhe. Endlich aber wur- den S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/283
Zitationshilfe: Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/283>, abgerufen am 23.11.2024.