"Von meinem Vater und Mutter, gnädiger Herr, wäre ihre Antwort, die sich recht zärtlich lie- ben, und die in einem schönen aus lautern Gold, Silber und Seide zusammengesetzten Neste erbaut auf einem sehr hohen Felsen wohnen."
"Und wer ist ihr Vater?"
"Sie haben ihn gleich gesehn, gnädiger Herr!"
"Aber ihre Mutter?"
"Jhr Name ist Christine von *** Jhr Gnaden."
Sogleich würde der Herr von *** mit thränen- den Augen sie umarmen und ausrufen: das ist mei- ne Tochter! Aber über mich würde er aufgebracht seyn, weil ich sie entführt habe, ohne ein Edelmann zu seyn.
"Wo ist das Nest, wo ist das Nest? fragt' er denn."
"Das weiß ich nicht, gnädiger Herr, würde die Kleine darauf antworten, denn mein Papa ist ein geflügelter Mann, und der hat mich durch die Lüfte hieher gebracht; aber seyn sie nicht böse, Jhr Gna- den, haben sie Mitleid mit mir."
Der Herr von *** würde meine Tochter, die Mamsell Christinen so ähnlich sähe, recht betrach- ten, sie umarmen und seine Tochter nennen. End- lich würd' er sie fragen, wie seine Tochter mit mir stünde?
Denn müßt' ihm meine Tochter erzählen, wie ich ihre Mutter liebte, wie ich ihr in allem, was sie
wünscht,
d. fl. Mensch. B
„Von meinem Vater und Mutter, gnaͤdiger Herr, waͤre ihre Antwort, die ſich recht zaͤrtlich lie- ben, und die in einem ſchoͤnen aus lautern Gold, Silber und Seide zuſammengeſetzten Neſte erbaut auf einem ſehr hohen Felſen wohnen.‟
„Und wer iſt ihr Vater?‟
„Sie haben ihn gleich geſehn, gnaͤdiger Herr!‟
„Aber ihre Mutter?‟
„Jhr Name iſt Chriſtine von *** Jhr Gnaden.‟
Sogleich wuͤrde der Herr von *** mit thraͤnen- den Augen ſie umarmen und ausrufen: das iſt mei- ne Tochter! Aber uͤber mich wuͤrde er aufgebracht ſeyn, weil ich ſie entfuͤhrt habe, ohne ein Edelmann zu ſeyn.
„Wo iſt das Neſt, wo iſt das Neſt? fragt’ er denn.‟
„Das weiß ich nicht, gnaͤdiger Herr, wuͤrde die Kleine darauf antworten, denn mein Papa iſt ein gefluͤgelter Mann, und der hat mich durch die Luͤfte hieher gebracht; aber ſeyn ſie nicht boͤſe, Jhr Gna- den, haben ſie Mitleid mit mir.‟
Der Herr von *** wuͤrde meine Tochter, die Mamſell Chriſtinen ſo aͤhnlich ſaͤhe, recht betrach- ten, ſie umarmen und ſeine Tochter nennen. End- lich wuͤrd’ er ſie fragen, wie ſeine Tochter mit mir ſtuͤnde?
Denn muͤßt’ ihm meine Tochter erzaͤhlen, wie ich ihre Mutter liebte, wie ich ihr in allem, was ſie
wuͤnſcht,
d. fl. Menſch. B
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„Von meinem Vater und Mutter, gnaͤdiger
Herr, waͤre ihre Antwort, die ſich recht zaͤrtlich lie-
ben, und die in einem ſchoͤnen aus lautern Gold,
Silber und Seide zuſammengeſetzten Neſte erbaut auf
einem ſehr hohen Felſen wohnen.‟
„Und wer iſt ihr Vater?‟
„Sie haben ihn gleich geſehn, gnaͤdiger Herr!‟
„Aber ihre Mutter?‟
„Jhr Name iſt Chriſtine von *** Jhr Gnaden.‟
Sogleich wuͤrde der Herr von *** mit thraͤnen-
den Augen ſie umarmen und ausrufen: das iſt mei-
ne Tochter! Aber uͤber mich wuͤrde er aufgebracht
ſeyn, weil ich ſie entfuͤhrt habe, ohne ein Edelmann
zu ſeyn.
„Wo iſt das Neſt, wo iſt das Neſt? fragt’ er
denn.‟
„Das weiß ich nicht, gnaͤdiger Herr, wuͤrde die
Kleine darauf antworten, denn mein Papa iſt ein
gefluͤgelter Mann, und der hat mich durch die Luͤfte
hieher gebracht; aber ſeyn ſie nicht boͤſe, Jhr Gna-
den, haben ſie Mitleid mit mir.‟
Der Herr von *** wuͤrde meine Tochter, die
Mamſell Chriſtinen ſo aͤhnlich ſaͤhe, recht betrach-
ten, ſie umarmen und ſeine Tochter nennen. End-
lich wuͤrd’ er ſie fragen, wie ſeine Tochter mit mir
ſtuͤnde?
Denn muͤßt’ ihm meine Tochter erzaͤhlen, wie
ich ihre Mutter liebte, wie ich ihr in allem, was ſie
wuͤnſcht,
d. fl. Menſch. B
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/25>, abgerufen am 16.07.2024.
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