Endlich brachten sie ihre Flügel zur Vollkommen- heit: durch einige Zusätze und durch den Gebrauch des Taffets anstatt der Leinewand, gelangten sie da- hin, sich eine gerade fortschreitende Bewegung zu geben, sich nach Belieben umzuwenden, in gerader Linie zu erheben und niederzulassen. Jhre Uebungen stellten sie aufm Felde an einsamen Oertern an. Beyde flogen zusammen; aber unglücklicher Weise sprang eine Feder des Vezinier, und er fiel von einer gewaltigen Höhe in einen Teich hinab und ertrank.
Victorin war nicht stark genug ihm zu helfen. Er kehrte nach Hause und erzählte das Unglück des Bedienten, ohne die Ursache davon anzugeben. Man eilte zum Teich und zog Vezinier heraus; was die beschmutzte Maschine, mit der er geharnischt war, bedeuten sollte, wußte niemand. Victorin zerschnitt sie mit Bedacht in Stücken, um ihn davon los zu machen, und zerbrach die Räder, damit man da- von nichts merken sollte.
Johann ward völlig todt nach Hause geschafft. Vielleicht wär' er wieder zum Leben zu bringen ge- wesen, wenn man die neuerlich in Frankreich ge- machten Endeckungen gekannt hätte; aber die Mit- tel, welche man damals anwandte, dienten nur sei- nen Tod zu beschleunigen.
Nun war Victorin allein, und seinem eigenen Genie überlassen. Oft kehrt' er in jene Einsamkeit zurück, um da über seinen Entwurf nachzudenken, sich mit Christinen zu beschäftigen, und zugleich seine junge Seele mit dem Ambrosia der Freyheit zu erquicken.
Einst
Endlich brachten ſie ihre Fluͤgel zur Vollkommen- heit: durch einige Zuſaͤtze und durch den Gebrauch des Taffets anſtatt der Leinewand, gelangten ſie da- hin, ſich eine gerade fortſchreitende Bewegung zu geben, ſich nach Belieben umzuwenden, in gerader Linie zu erheben und niederzulaſſen. Jhre Uebungen ſtellten ſie aufm Felde an einſamen Oertern an. Beyde flogen zuſammen; aber ungluͤcklicher Weiſe ſprang eine Feder des Vezinier, und er fiel von einer gewaltigen Hoͤhe in einen Teich hinab und ertrank.
Victorin war nicht ſtark genug ihm zu helfen. Er kehrte nach Hauſe und erzaͤhlte das Ungluͤck des Bedienten, ohne die Urſache davon anzugeben. Man eilte zum Teich und zog Vezinier heraus; was die beſchmutzte Maſchine, mit der er geharniſcht war, bedeuten ſollte, wußte niemand. Victorin zerſchnitt ſie mit Bedacht in Stuͤcken, um ihn davon los zu machen, und zerbrach die Raͤder, damit man da- von nichts merken ſollte.
Johann ward voͤllig todt nach Hauſe geſchafft. Vielleicht waͤr’ er wieder zum Leben zu bringen ge- weſen, wenn man die neuerlich in Frankreich ge- machten Endeckungen gekannt haͤtte; aber die Mit- tel, welche man damals anwandte, dienten nur ſei- nen Tod zu beſchleunigen.
Nun war Victorin allein, und ſeinem eigenen Genie uͤberlaſſen. Oft kehrt’ er in jene Einſamkeit zuruͤck, um da uͤber ſeinen Entwurf nachzudenken, ſich mit Chriſtinen zu beſchaͤftigen, und zugleich ſeine junge Seele mit dem Ambroſia der Freyheit zu erquicken.
Einſt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0023"n="15"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Endlich brachten ſie ihre Fluͤgel zur Vollkommen-<lb/>
heit: durch einige Zuſaͤtze und durch den Gebrauch<lb/>
des Taffets anſtatt der Leinewand, gelangten ſie da-<lb/>
hin, ſich eine gerade fortſchreitende Bewegung zu<lb/>
geben, ſich nach Belieben umzuwenden, in gerader<lb/>
Linie zu erheben und niederzulaſſen. Jhre Uebungen<lb/>ſtellten ſie aufm Felde an einſamen Oertern an.<lb/>
Beyde flogen zuſammen; aber ungluͤcklicher Weiſe<lb/>ſprang eine Feder des Vezinier, und er fiel von einer<lb/>
gewaltigen Hoͤhe in einen Teich hinab und ertrank.</p><lb/><p>Victorin war nicht ſtark genug ihm zu helfen.<lb/>
Er kehrte nach Hauſe und erzaͤhlte das Ungluͤck des<lb/>
Bedienten, ohne die Urſache davon anzugeben. Man<lb/>
eilte zum Teich und zog Vezinier heraus; was die<lb/>
beſchmutzte Maſchine, mit der er geharniſcht war,<lb/>
bedeuten ſollte, wußte niemand. Victorin zerſchnitt<lb/>ſie mit Bedacht in Stuͤcken, um ihn davon los zu<lb/>
machen, und zerbrach die Raͤder, damit man da-<lb/>
von nichts merken ſollte.</p><lb/><p>Johann ward voͤllig todt nach Hauſe geſchafft.<lb/>
Vielleicht waͤr’ er wieder zum Leben zu bringen ge-<lb/>
weſen, wenn man die neuerlich in Frankreich ge-<lb/>
machten Endeckungen gekannt haͤtte; aber die Mit-<lb/>
tel, welche man damals anwandte, dienten nur ſei-<lb/>
nen Tod zu beſchleunigen.</p><lb/><p>Nun war Victorin allein, und ſeinem eigenen<lb/>
Genie uͤberlaſſen. Oft kehrt’ er in jene Einſamkeit<lb/>
zuruͤck, um da uͤber ſeinen Entwurf nachzudenken, ſich<lb/>
mit Chriſtinen zu beſchaͤftigen, und zugleich ſeine junge<lb/>
Seele mit dem Ambroſia der Freyheit zu erquicken.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Einſt</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[15/0023]
Endlich brachten ſie ihre Fluͤgel zur Vollkommen-
heit: durch einige Zuſaͤtze und durch den Gebrauch
des Taffets anſtatt der Leinewand, gelangten ſie da-
hin, ſich eine gerade fortſchreitende Bewegung zu
geben, ſich nach Belieben umzuwenden, in gerader
Linie zu erheben und niederzulaſſen. Jhre Uebungen
ſtellten ſie aufm Felde an einſamen Oertern an.
Beyde flogen zuſammen; aber ungluͤcklicher Weiſe
ſprang eine Feder des Vezinier, und er fiel von einer
gewaltigen Hoͤhe in einen Teich hinab und ertrank.
Victorin war nicht ſtark genug ihm zu helfen.
Er kehrte nach Hauſe und erzaͤhlte das Ungluͤck des
Bedienten, ohne die Urſache davon anzugeben. Man
eilte zum Teich und zog Vezinier heraus; was die
beſchmutzte Maſchine, mit der er geharniſcht war,
bedeuten ſollte, wußte niemand. Victorin zerſchnitt
ſie mit Bedacht in Stuͤcken, um ihn davon los zu
machen, und zerbrach die Raͤder, damit man da-
von nichts merken ſollte.
Johann ward voͤllig todt nach Hauſe geſchafft.
Vielleicht waͤr’ er wieder zum Leben zu bringen ge-
weſen, wenn man die neuerlich in Frankreich ge-
machten Endeckungen gekannt haͤtte; aber die Mit-
tel, welche man damals anwandte, dienten nur ſei-
nen Tod zu beſchleunigen.
Nun war Victorin allein, und ſeinem eigenen
Genie uͤberlaſſen. Oft kehrt’ er in jene Einſamkeit
zuruͤck, um da uͤber ſeinen Entwurf nachzudenken, ſich
mit Chriſtinen zu beſchaͤftigen, und zugleich ſeine junge
Seele mit dem Ambroſia der Freyheit zu erquicken.
Einſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/23>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.