Die junge Ehefrau sezte sich, wenigstens mit zu Tische. Alsdann ward sie durch ihre Mutter und die älteste der Weiber des Mahn-mouhh (der Kolonie) zum Ehebette begleitet. Jch halte es der Mühe werth, die in Patagonien übliche Fei- erlichkeit beim Schlafengehn einer Neuverehlichten zu erzählen. Die Mutter und die Aelteste der Na- tion führen sie, iede unter einem Arm mit folgen- den Worten zum Mann: "Wohlthätige Sonne, hier stellen wir dir eine Erde dar, die du mit dei- nen Strahlen erwärmen, und mit dem in dir ver- borgenen Lebensgeiste befruchten sollst. Schütze und liebe sie, so wie sie dich schätzt, liebt und verehrt: schone ihrer Zärtlichkeit, denn ein Frauenzimmer ist kein Mann. -- ("Hierbei sahe die Mutter der Jshmichtriß mit Lächeln auf den Wuchs ihres Schwiegersohns, ungeachtet er noch auf seinen Stel- zen stand.) Wir haben sie dir gegeben, weil du der angenehmste Beherrscher bist: behandle sie als dei- ne liebste und getreuste Dienerin, die ihr Blut und Leben für dich aufopfern würde ... Meine Tochter, schwöre deinem Gatten Rechtschaffenheit, Treue und Gehorsam -- Theurester Khrahakha- boul (Gemal) ich schwöre euch eine ewige Zunei- gung; und da ihr den Gesetzen eurer Nation gemäs, blos mich zur Gattin haben werdet, so will ich euch dreimal so stark lieben, als ich einen Ppot- khoghanischen (Patagonischen) Mann geliebt haben würde." -- Nach dieser nicht eingegebenen Antwort umarmten die beiden patagonischen Damen die jun- ge Gattin, und ihr Gemal schwang sich auf ihren
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Die junge Ehefrau ſezte ſich, wenigſtens mit zu Tiſche. Alsdann ward ſie durch ihre Mutter und die aͤlteſte der Weiber des Mahn-mouhh (der Kolonie) zum Ehebette begleitet. Jch halte es der Muͤhe werth, die in Patagonien uͤbliche Fei- erlichkeit beim Schlafengehn einer Neuverehlichten zu erzaͤhlen. Die Mutter und die Aelteſte der Na- tion fuͤhren ſie, iede unter einem Arm mit folgen- den Worten zum Mann: „Wohlthaͤtige Sonne, hier ſtellen wir dir eine Erde dar, die du mit dei- nen Strahlen erwaͤrmen, und mit dem in dir ver- borgenen Lebensgeiſte befruchten ſollſt. Schuͤtze und liebe ſie, ſo wie ſie dich ſchaͤtzt, liebt und verehrt: ſchone ihrer Zaͤrtlichkeit, denn ein Frauenzimmer iſt kein Mann. — („Hierbei ſahe die Mutter der Jſhmichtriß mit Laͤcheln auf den Wuchs ihres Schwiegerſohns, ungeachtet er noch auf ſeinen Stel- zen ſtand.) Wir haben ſie dir gegeben, weil du der angenehmſte Beherrſcher biſt: behandle ſie als dei- ne liebſte und getreuſte Dienerin, die ihr Blut und Leben fuͤr dich aufopfern wuͤrde … Meine Tochter, ſchwoͤre deinem Gatten Rechtſchaffenheit, Treue und Gehorſam — Theureſter Khrahakha- boul (Gemal) ich ſchwoͤre euch eine ewige Zunei- gung; und da ihr den Geſetzen eurer Nation gemaͤs, blos mich zur Gattin haben werdet, ſo will ich euch dreimal ſo ſtark lieben, als ich einen Ppot- khoghaniſchen (Patagoniſchen) Mann geliebt haben wuͤrde.‟ — Nach dieſer nicht eingegebenen Antwort umarmten die beiden patagoniſchen Damen die jun- ge Gattin, und ihr Gemal ſchwang ſich auf ihren
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Die junge Ehefrau ſezte ſich, wenigſtens mit
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und die aͤlteſte der Weiber des Mahn-mouhh
(der Kolonie) zum Ehebette begleitet. Jch halte
es der Muͤhe werth, die in Patagonien uͤbliche Fei-
erlichkeit beim Schlafengehn einer Neuverehlichten
zu erzaͤhlen. Die Mutter und die Aelteſte der Na-
tion fuͤhren ſie, iede unter einem Arm mit folgen-
den Worten zum Mann: „Wohlthaͤtige Sonne,
hier ſtellen wir dir eine Erde dar, die du mit dei-
nen Strahlen erwaͤrmen, und mit dem in dir ver-
borgenen Lebensgeiſte befruchten ſollſt. Schuͤtze und
liebe ſie, ſo wie ſie dich ſchaͤtzt, liebt und verehrt:
ſchone ihrer Zaͤrtlichkeit, denn ein Frauenzimmer
iſt kein Mann. — („Hierbei ſahe die Mutter der
Jſhmichtriß mit Laͤcheln auf den Wuchs ihres
Schwiegerſohns, ungeachtet er noch auf ſeinen Stel-
zen ſtand.) Wir haben ſie dir gegeben, weil du der
angenehmſte Beherrſcher biſt: behandle ſie als dei-
ne liebſte und getreuſte Dienerin, die ihr Blut und
Leben fuͤr dich aufopfern wuͤrde … Meine
Tochter, ſchwoͤre deinem Gatten Rechtſchaffenheit,
Treue und Gehorſam — Theureſter Khrahakha-
boul (Gemal) ich ſchwoͤre euch eine ewige Zunei-
gung; und da ihr den Geſetzen eurer Nation gemaͤs,
blos mich zur Gattin haben werdet, ſo will ich
euch dreimal ſo ſtark lieben, als ich einen Ppot-
khoghaniſchen (Patagoniſchen) Mann geliebt haben
wuͤrde.‟ — Nach dieſer nicht eingegebenen Antwort
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/171>, abgerufen am 23.11.2024.
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