Einige Zeit nach der ersten Schiffahrt gen Vie- torique gedachte die Königinn Christine und ihr Ge- mahl auf eine Heyrath ihres ältesten Sohnes. Sie thaten ihm davon Eröffnung, und sagten ihm mit aller Zärtlichkeit, daß er als der erste im Königreiche sich unter allen jungen Mädchen diejenige aussuchen könnte, welche er für die schönste und verdienstvoll- ste hielte. Aber der junge Mann schwieg bey diesem Antrage still, schien sogar betrübt darüber; und ein Monat verlief ohne Antwort. Diese Zurückhaltung bey einem feurigen jungen Manne verursachte einige Unruhe: Christine sprach hierüber mit dem guten Herrn ihrem Vater, der ihr aber seinen Vorurtheilen zu Folge antwortete: Zum Henker! das ist sonder- bar! wen soll denn ihr Sohn heyrathen? die Toch- ter ihrer Kammerfrau, oder etwa ihres Schuma- chers? denn diese sind die beyden vorzüglichsten im ganzen Königreich! Aber denken sie, daß mein Blut, ein Bursche der mir ähnlich sieht, und ohne Zweifel auch meine Neigungen hat, sich so wegwerfen könne?
"Aber mein bester Herr und Vater, antwortete Christine, wie wollen sie, daß wir's machen sollen? Es ist kein ander Mittel ihn zu verheyrathen; auch wird es nöthig seyn, daß wir Sophien einen uns- rer Unterthanen geben, daß Alexander eine Frau nehme ..."
"Warum denn? zum Henker! für eine Königinn hat eure Majestät ein ziemlich kurzes Gesicht. Mag doch der Vater mit seinen beiden Söhnen nach Eu- ropa reisen; Um hin zu kommen bedürfen sie etwa ein
zehn
Einige Zeit nach der erſten Schiffahrt gen Vie- torique gedachte die Koͤniginn Chriſtine und ihr Ge- mahl auf eine Heyrath ihres aͤlteſten Sohnes. Sie thaten ihm davon Eroͤffnung, und ſagten ihm mit aller Zaͤrtlichkeit, daß er als der erſte im Koͤnigreiche ſich unter allen jungen Maͤdchen diejenige ausſuchen koͤnnte, welche er fuͤr die ſchoͤnſte und verdienſtvoll- ſte hielte. Aber der junge Mann ſchwieg bey dieſem Antrage ſtill, ſchien ſogar betruͤbt daruͤber; und ein Monat verlief ohne Antwort. Dieſe Zuruͤckhaltung bey einem feurigen jungen Manne verurſachte einige Unruhe: Chriſtine ſprach hieruͤber mit dem guten Herrn ihrem Vater, der ihr aber ſeinen Vorurtheilen zu Folge antwortete: Zum Henker! das iſt ſonder- bar! wen ſoll denn ihr Sohn heyrathen? die Toch- ter ihrer Kammerfrau, oder etwa ihres Schuma- chers? denn dieſe ſind die beyden vorzuͤglichſten im ganzen Koͤnigreich! Aber denken ſie, daß mein Blut, ein Burſche der mir aͤhnlich ſieht, und ohne Zweifel auch meine Neigungen hat, ſich ſo wegwerfen koͤnne?
„Aber mein beſter Herr und Vater, antwortete Chriſtine, wie wollen ſie, daß wir’s machen ſollen? Es iſt kein ander Mittel ihn zu verheyrathen; auch wird es noͤthig ſeyn, daß wir Sophien einen unſ- rer Unterthanen geben, daß Alexander eine Frau nehme …‟
„Warum denn? zum Henker! fuͤr eine Koͤniginn hat eure Majeſtaͤt ein ziemlich kurzes Geſicht. Mag doch der Vater mit ſeinen beiden Soͤhnen nach Eu- ropa reiſen; Um hin zu kommen beduͤrfen ſie etwa ein
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Einige Zeit nach der erſten Schiffahrt gen Vie-
torique gedachte die Koͤniginn Chriſtine und ihr Ge-
mahl auf eine Heyrath ihres aͤlteſten Sohnes. Sie
thaten ihm davon Eroͤffnung, und ſagten ihm mit
aller Zaͤrtlichkeit, daß er als der erſte im Koͤnigreiche
ſich unter allen jungen Maͤdchen diejenige ausſuchen
koͤnnte, welche er fuͤr die ſchoͤnſte und verdienſtvoll-
ſte hielte. Aber der junge Mann ſchwieg bey dieſem
Antrage ſtill, ſchien ſogar betruͤbt daruͤber; und ein
Monat verlief ohne Antwort. Dieſe Zuruͤckhaltung
bey einem feurigen jungen Manne verurſachte einige
Unruhe: Chriſtine ſprach hieruͤber mit dem guten
Herrn ihrem Vater, der ihr aber ſeinen Vorurtheilen
zu Folge antwortete: Zum Henker! das iſt ſonder-
bar! wen ſoll denn ihr Sohn heyrathen? die Toch-
ter ihrer Kammerfrau, oder etwa ihres Schuma-
chers? denn dieſe ſind die beyden vorzuͤglichſten im
ganzen Koͤnigreich! Aber denken ſie, daß mein Blut,
ein Burſche der mir aͤhnlich ſieht, und ohne Zweifel
auch meine Neigungen hat, ſich ſo wegwerfen koͤnne?
„Aber mein beſter Herr und Vater, antwortete
Chriſtine, wie wollen ſie, daß wir’s machen ſollen?
Es iſt kein ander Mittel ihn zu verheyrathen; auch
wird es noͤthig ſeyn, daß wir Sophien einen unſ-
rer Unterthanen geben, daß Alexander eine Frau
nehme …‟
„Warum denn? zum Henker! fuͤr eine Koͤniginn
hat eure Majeſtaͤt ein ziemlich kurzes Geſicht. Mag
doch der Vater mit ſeinen beiden Soͤhnen nach Eu-
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Rétif de La Bretonne, Nicolas-Edme: Der fliegende Mensch. Übers. v. Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius. 2. Aufl. Dresden u. a., 1785, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/retif_mensch_1785/144>, abgerufen am 22.11.2024.
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