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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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4. Textilindustrie.
man sich gewöhnlich eines Stativs, an welchem ein zugespitzter Messing-
haken befestigt ist. An diesen wird das Gewebe bei jeder Durch-
schnittsstelle zweier Linien der Zeichnung der Reihe nach angehakt
und etwas emporgezogen, sodann mit einem Hanffaden in mehreren
Windungen fest unterbunden. Dieses Kanoko-chirimen-Knüpfen ist
eine zeitraubende, wenig lohnende Arbeit, welche gewöhnlich alten
Frauen und Kindern zufällt. Ist das Unterbinden beendet, so folgt
das Baden, Färben, Trocknen und Strecken des stark zusammenge-
schrumpften Stoffes. Hierbei lösen sich die Bindfäden auf und werden
mit den Händen entfernt. Die unterbundenen Stellen liefern das
weisse Muster auf dem türkischrothen, pfirsichblüthfarbigen oder
violetten Grunde. --

Die Obi oder Gürtel, mit welchen japanische Damen ihre langen
Kleider (Kimono) um die Lenden befestigen, werden auf besonderen
Webstühlen aus vorzüglicher Seide verfertigt. Es sind verschieden-
artige, teils glatte, teils gerippte, gemusterte Gewebe von 16--24 cm
Breite und 3--41/2 m Länge, mit Rücksicht auf die langen Schleifen,
in welche sie auf dem Rücken gebunden werden. Als die vorzüglich-
sten gelten die Hakata-obi, aber auch die Koyanagi-obi in
starkem Altlas von Kiriau, die gerippten Donsu-obi von Yonezawa
und andere mehr werden hoch geschätzt.

Gewänder aus Brocat, japanisch Nishiki, d. h. aus schwerem,
gemustertem, mit Gold- und Silber durchwirktem Seidengewebe, den
reichsten und kostbarsten, welche die Textilindustrie überhaupt liefert,
gehörten immer zu den Ceremoniekleidern der chinesischen und japani-
schen Fürsten, sowie zur Ausstattung der reicheren Theater und
buddhistischen Tempel. In Kioto stand die Brocatweberei von Anfang
an unter dem besonderen Schutze des jeweiligen Mikado, und wenn
sie sich daselbst bis auf den heutigen Tag trotz der Ungunst der Zeit
in ihrer vollen Leistungsfähigkeit erhalten hat, so verdankt sie dies
zum Teil ebenfalls der noch fortdauernden kaiserlichen Protection und
Aufmunterung.

Als im Jahre 1868 Prinz Arisugawa den Oberbefehl gegen die
"östlichen Rebellen" (Anhänger der Tokugawa-Herrschaft) übernahm,
empfing er vom Mikado das Brocatbanner und ein Schwert, als
Zeichen der kaiserlichen Macht und Sache. Nach dem Einzug in Yedo
nähte sich jeder Samurai einen Brocatstreifen an seinen Kimono
(Rock), worüber sich die Bewohner der Hauptstadt der Tokugawa lustig
machten, indem sie die Kaiserlichen Kingire oder Brocatfetzen
nannten.

Die hohe Werthschätzung des Brocat findet auch in verschiedenen

4. Textilindustrie.
man sich gewöhnlich eines Stativs, an welchem ein zugespitzter Messing-
haken befestigt ist. An diesen wird das Gewebe bei jeder Durch-
schnittsstelle zweier Linien der Zeichnung der Reihe nach angehakt
und etwas emporgezogen, sodann mit einem Hanffaden in mehreren
Windungen fest unterbunden. Dieses Kanoko-chirimen-Knüpfen ist
eine zeitraubende, wenig lohnende Arbeit, welche gewöhnlich alten
Frauen und Kindern zufällt. Ist das Unterbinden beendet, so folgt
das Baden, Färben, Trocknen und Strecken des stark zusammenge-
schrumpften Stoffes. Hierbei lösen sich die Bindfäden auf und werden
mit den Händen entfernt. Die unterbundenen Stellen liefern das
weisse Muster auf dem türkischrothen, pfirsichblüthfarbigen oder
violetten Grunde. —

Die Obi oder Gürtel, mit welchen japanische Damen ihre langen
Kleider (Kimono) um die Lenden befestigen, werden auf besonderen
Webstühlen aus vorzüglicher Seide verfertigt. Es sind verschieden-
artige, teils glatte, teils gerippte, gemusterte Gewebe von 16—24 cm
Breite und 3—4½ m Länge, mit Rücksicht auf die langen Schleifen,
in welche sie auf dem Rücken gebunden werden. Als die vorzüglich-
sten gelten die Hakata-obi, aber auch die Koyanagi-obi in
starkem Altlas von Kiriû, die gerippten Donsu-obi von Yonezawa
und andere mehr werden hoch geschätzt.

Gewänder aus Brocat, japanisch Nishiki, d. h. aus schwerem,
gemustertem, mit Gold- und Silber durchwirktem Seidengewebe, den
reichsten und kostbarsten, welche die Textilindustrie überhaupt liefert,
gehörten immer zu den Ceremoniekleidern der chinesischen und japani-
schen Fürsten, sowie zur Ausstattung der reicheren Theater und
buddhistischen Tempel. In Kiôto stand die Brocatweberei von Anfang
an unter dem besonderen Schutze des jeweiligen Mikado, und wenn
sie sich daselbst bis auf den heutigen Tag trotz der Ungunst der Zeit
in ihrer vollen Leistungsfähigkeit erhalten hat, so verdankt sie dies
zum Teil ebenfalls der noch fortdauernden kaiserlichen Protection und
Aufmunterung.

Als im Jahre 1868 Prinz Arisugawa den Oberbefehl gegen die
»östlichen Rebellen« (Anhänger der Tokugawa-Herrschaft) übernahm,
empfing er vom Mikado das Brocatbanner und ein Schwert, als
Zeichen der kaiserlichen Macht und Sache. Nach dem Einzug in Yedo
nähte sich jeder Samurai einen Brocatstreifen an seinen Kimono
(Rock), worüber sich die Bewohner der Hauptstadt der Tokugawa lustig
machten, indem sie die Kaiserlichen Kingiré oder Brocatfetzen
nannten.

Die hohe Werthschätzung des Brocat findet auch in verschiedenen

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[459/0491] 4. Textilindustrie. man sich gewöhnlich eines Stativs, an welchem ein zugespitzter Messing- haken befestigt ist. An diesen wird das Gewebe bei jeder Durch- schnittsstelle zweier Linien der Zeichnung der Reihe nach angehakt und etwas emporgezogen, sodann mit einem Hanffaden in mehreren Windungen fest unterbunden. Dieses Kanoko-chirimen-Knüpfen ist eine zeitraubende, wenig lohnende Arbeit, welche gewöhnlich alten Frauen und Kindern zufällt. Ist das Unterbinden beendet, so folgt das Baden, Färben, Trocknen und Strecken des stark zusammenge- schrumpften Stoffes. Hierbei lösen sich die Bindfäden auf und werden mit den Händen entfernt. Die unterbundenen Stellen liefern das weisse Muster auf dem türkischrothen, pfirsichblüthfarbigen oder violetten Grunde. — Die Obi oder Gürtel, mit welchen japanische Damen ihre langen Kleider (Kimono) um die Lenden befestigen, werden auf besonderen Webstühlen aus vorzüglicher Seide verfertigt. Es sind verschieden- artige, teils glatte, teils gerippte, gemusterte Gewebe von 16—24 cm Breite und 3—4½ m Länge, mit Rücksicht auf die langen Schleifen, in welche sie auf dem Rücken gebunden werden. Als die vorzüglich- sten gelten die Hakata-obi, aber auch die Koyanagi-obi in starkem Altlas von Kiriû, die gerippten Donsu-obi von Yonezawa und andere mehr werden hoch geschätzt. Gewänder aus Brocat, japanisch Nishiki, d. h. aus schwerem, gemustertem, mit Gold- und Silber durchwirktem Seidengewebe, den reichsten und kostbarsten, welche die Textilindustrie überhaupt liefert, gehörten immer zu den Ceremoniekleidern der chinesischen und japani- schen Fürsten, sowie zur Ausstattung der reicheren Theater und buddhistischen Tempel. In Kiôto stand die Brocatweberei von Anfang an unter dem besonderen Schutze des jeweiligen Mikado, und wenn sie sich daselbst bis auf den heutigen Tag trotz der Ungunst der Zeit in ihrer vollen Leistungsfähigkeit erhalten hat, so verdankt sie dies zum Teil ebenfalls der noch fortdauernden kaiserlichen Protection und Aufmunterung. Als im Jahre 1868 Prinz Arisugawa den Oberbefehl gegen die »östlichen Rebellen« (Anhänger der Tokugawa-Herrschaft) übernahm, empfing er vom Mikado das Brocatbanner und ein Schwert, als Zeichen der kaiserlichen Macht und Sache. Nach dem Einzug in Yedo nähte sich jeder Samurai einen Brocatstreifen an seinen Kimono (Rock), worüber sich die Bewohner der Hauptstadt der Tokugawa lustig machten, indem sie die Kaiserlichen Kingiré oder Brocatfetzen nannten. Die hohe Werthschätzung des Brocat findet auch in verschiedenen

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/491>, abgerufen am 22.11.2024.