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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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1. Die japanische Landwirthschaft im Allgemeinen.
Fremden in Japan war die, dass die Resultate zu den aufgewandten
enormen Mitteln in schreiendem Missverhältniss standen. Dem Kaita-
kushi wurden nämlich ungeheure Summen von der Centralregierung
zur Verfügung gestellt, so z. B. im Jahre 1877 noch yen 1905666 =
Mk. 7622640. Es war wohl lange die Gans, von der Mancher eine
goldene Feder auszurupfen wusste.

Indem man Amerika nachahmen wollte, vergass man, dass hier
die Regierung fast Alles der freien Concurrenz und Entwickelung
überliess, dass die Pioniere aus Europa und den Atlantischen Küsten-
staaten, die westwärts vordrangen und über Einöden Cultur ver-
breiteten, ein ganz anderer Menschenschlag waren, als die Japaner
und Ainos. Mangel an Erfahrung, Blindheit gegen bessere Berather,
Sucht, alles durch den Staat und möglichst rasch zu thun, zeichnete
in diesem wie in vielen anderen Fällen die Regierung aus. So sind
den grossen Hoffnungen, welche sie auf diesen neuen Zweig ihrer
Thätigkeit und Kraftentfaltung setzte, nur Enttäuschungen gefolgt, wie
es natürlich war. Ein Heer von Beamten, getheilte Verantwortlichkeit
und Mangel an ernstem persönlichen Interesse, wobei die Kraft und
Energie erlahmen muss, werden überall kein besseres Resultat haben.
Die Fehler einer Regierung sind nirgends mehr hervorgetreten, als in
Colonisationsangelegenheiten, wie uns dies auch die neueste europäische
Staatengeschichte beweist. Muth, Intelligenz, Selbstvertrauen und Aus-
dauer in schwerer Arbeit und auch beim Missgeschick, sind die Eigen-
schaften, durch welche freie, unabhängige Männer Colonien begründeten
und zur Blüthe brachten. Und wenn dabei die Regierungen mitwirkten,
so geschah es nur durch zeitweisen, klugen Beistand, nie aber mit
gutem Erfolg, wenn sie das Heft selbst in die Hände nahmen und
damit jene Kräfte der Individuen lahm legten.

In ähnlicher Weise, wie das Kaitakushi verschwenderisch, plan-
los und unbeständig wirthschaftete, verfuhr auch manche andere Be-
hörde in ihrem Bereich. So hatte man in Kioto-fu 1874 amerikanische
Kühe kommen lassen und in Gebäuden auf Kieselgeröll am Flussufer
untergebracht, an einer Stelle, wo von einer Weide weit und breit
keine Rede war und das Futter mühsam von weither beschafft werden
musste. Dieselbe Verwaltung der alten Hauptstadt hatte von den Vor-
theilen des in Japan unbekannten Flachsbaues gehört. Sofort wurde
durch einen Europäer die nöthige Leinsaat bezogen und ein Versuch
damit angestellt. Der Flachs gedieh auf dem dazu ausgewählten Grund-
stück in Kioto vortrefflich, wie ich mich selbst überzeugen konnte.
Als er aber Knoten gebildet hatte und zur Ernte bereit war, fand sich
Niemand, der sich darum kümmerte und die nun nöthigen Arbeiten

1. Die japanische Landwirthschaft im Allgemeinen.
Fremden in Japan war die, dass die Resultate zu den aufgewandten
enormen Mitteln in schreiendem Missverhältniss standen. Dem Kaita-
kushi wurden nämlich ungeheure Summen von der Centralregierung
zur Verfügung gestellt, so z. B. im Jahre 1877 noch yen 1905666 =
Mk. 7622640. Es war wohl lange die Gans, von der Mancher eine
goldene Feder auszurupfen wusste.

Indem man Amerika nachahmen wollte, vergass man, dass hier
die Regierung fast Alles der freien Concurrenz und Entwickelung
überliess, dass die Pioniere aus Europa und den Atlantischen Küsten-
staaten, die westwärts vordrangen und über Einöden Cultur ver-
breiteten, ein ganz anderer Menschenschlag waren, als die Japaner
und Ainos. Mangel an Erfahrung, Blindheit gegen bessere Berather,
Sucht, alles durch den Staat und möglichst rasch zu thun, zeichnete
in diesem wie in vielen anderen Fällen die Regierung aus. So sind
den grossen Hoffnungen, welche sie auf diesen neuen Zweig ihrer
Thätigkeit und Kraftentfaltung setzte, nur Enttäuschungen gefolgt, wie
es natürlich war. Ein Heer von Beamten, getheilte Verantwortlichkeit
und Mangel an ernstem persönlichen Interesse, wobei die Kraft und
Energie erlahmen muss, werden überall kein besseres Resultat haben.
Die Fehler einer Regierung sind nirgends mehr hervorgetreten, als in
Colonisationsangelegenheiten, wie uns dies auch die neueste europäische
Staatengeschichte beweist. Muth, Intelligenz, Selbstvertrauen und Aus-
dauer in schwerer Arbeit und auch beim Missgeschick, sind die Eigen-
schaften, durch welche freie, unabhängige Männer Colonien begründeten
und zur Blüthe brachten. Und wenn dabei die Regierungen mitwirkten,
so geschah es nur durch zeitweisen, klugen Beistand, nie aber mit
gutem Erfolg, wenn sie das Heft selbst in die Hände nahmen und
damit jene Kräfte der Individuen lahm legten.

In ähnlicher Weise, wie das Kaitakushi verschwenderisch, plan-
los und unbeständig wirthschaftete, verfuhr auch manche andere Be-
hörde in ihrem Bereich. So hatte man in Kiôto-fu 1874 amerikanische
Kühe kommen lassen und in Gebäuden auf Kieselgeröll am Flussufer
untergebracht, an einer Stelle, wo von einer Weide weit und breit
keine Rede war und das Futter mühsam von weither beschafft werden
musste. Dieselbe Verwaltung der alten Hauptstadt hatte von den Vor-
theilen des in Japan unbekannten Flachsbaues gehört. Sofort wurde
durch einen Europäer die nöthige Leinsaat bezogen und ein Versuch
damit angestellt. Der Flachs gedieh auf dem dazu ausgewählten Grund-
stück in Kiôto vortrefflich, wie ich mich selbst überzeugen konnte.
Als er aber Knoten gebildet hatte und zur Ernte bereit war, fand sich
Niemand, der sich darum kümmerte und die nun nöthigen Arbeiten

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[21/0041] 1. Die japanische Landwirthschaft im Allgemeinen. Fremden in Japan war die, dass die Resultate zu den aufgewandten enormen Mitteln in schreiendem Missverhältniss standen. Dem Kaita- kushi wurden nämlich ungeheure Summen von der Centralregierung zur Verfügung gestellt, so z. B. im Jahre 1877 noch yen 1905666 = Mk. 7622640. Es war wohl lange die Gans, von der Mancher eine goldene Feder auszurupfen wusste. Indem man Amerika nachahmen wollte, vergass man, dass hier die Regierung fast Alles der freien Concurrenz und Entwickelung überliess, dass die Pioniere aus Europa und den Atlantischen Küsten- staaten, die westwärts vordrangen und über Einöden Cultur ver- breiteten, ein ganz anderer Menschenschlag waren, als die Japaner und Ainos. Mangel an Erfahrung, Blindheit gegen bessere Berather, Sucht, alles durch den Staat und möglichst rasch zu thun, zeichnete in diesem wie in vielen anderen Fällen die Regierung aus. So sind den grossen Hoffnungen, welche sie auf diesen neuen Zweig ihrer Thätigkeit und Kraftentfaltung setzte, nur Enttäuschungen gefolgt, wie es natürlich war. Ein Heer von Beamten, getheilte Verantwortlichkeit und Mangel an ernstem persönlichen Interesse, wobei die Kraft und Energie erlahmen muss, werden überall kein besseres Resultat haben. Die Fehler einer Regierung sind nirgends mehr hervorgetreten, als in Colonisationsangelegenheiten, wie uns dies auch die neueste europäische Staatengeschichte beweist. Muth, Intelligenz, Selbstvertrauen und Aus- dauer in schwerer Arbeit und auch beim Missgeschick, sind die Eigen- schaften, durch welche freie, unabhängige Männer Colonien begründeten und zur Blüthe brachten. Und wenn dabei die Regierungen mitwirkten, so geschah es nur durch zeitweisen, klugen Beistand, nie aber mit gutem Erfolg, wenn sie das Heft selbst in die Hände nahmen und damit jene Kräfte der Individuen lahm legten. In ähnlicher Weise, wie das Kaitakushi verschwenderisch, plan- los und unbeständig wirthschaftete, verfuhr auch manche andere Be- hörde in ihrem Bereich. So hatte man in Kiôto-fu 1874 amerikanische Kühe kommen lassen und in Gebäuden auf Kieselgeröll am Flussufer untergebracht, an einer Stelle, wo von einer Weide weit und breit keine Rede war und das Futter mühsam von weither beschafft werden musste. Dieselbe Verwaltung der alten Hauptstadt hatte von den Vor- theilen des in Japan unbekannten Flachsbaues gehört. Sofort wurde durch einen Europäer die nöthige Leinsaat bezogen und ein Versuch damit angestellt. Der Flachs gedieh auf dem dazu ausgewählten Grund- stück in Kiôto vortrefflich, wie ich mich selbst überzeugen konnte. Als er aber Knoten gebildet hatte und zur Ernte bereit war, fand sich Niemand, der sich darum kümmerte und die nun nöthigen Arbeiten

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/41>, abgerufen am 29.03.2024.