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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
Chinesen ist häufig plump und wenig naturgetreu. Namentlich treibt
bei den Baumformen eine wilde Phantasie ihr verwegenes Spiel und
stellt z. B. Blätter und Blüthen zusammen, die in der Natur grund-
verschiedenen Gewächsen angehören oder gar nicht vorkommen. Auch
sind bei den chinesischen Producten schreiende Farben und geschmack-
lose Verbindungen derselben, namentlich bei der gewöhnlichen Markt-
waare, häufig zu sehen. So befand sich zum Beispiel auf der grossen
Pariser Industrie-Ausstellung von 1878 ein chinesischer Wandschirm
mit einem Gemälde auf Seide, das unter Anderm eine blaublühende
Winde zeigte, die sich um den blühenden Ast eines Granatbaumes
schlang, auf dem ein Phantasievogel mit gelber Brust sass, während
auf dem Felsstück am Fusse ein Hahn stand, dem eine Wasserjungfer
zuflog. Derartige Zusammenstellungen wählt gewiss kein japanischer
Künstler, weil sie unnatürlich sind und sein Farbensinn sie ihm ver-
bietet. An Grösse und handelspolitischer Bedeutung behauptet zwar
China unter den Ländern Ostasiens immer noch seinen hervorragenden
Rang, aber im Verhalten gegen die christlichen Culturvölker, in seinen
Staatseinrichtungen und seinem Einfluss auf unser Kunstgewerbe hat
Japan ihm den Rang abgelaufen.

War der Japaner in früheren Jahrhunderten ein blinder Bewun-
derer und Nachahmer seines westlichen Nachbars und Lehrmeisters,
so hat er das längst aufgegeben. In der herrlichen Natur seines Lan-
des fand er die meisten Decorationsmotive wieder, die ihm von Westen
her im Bilde nur plump und entstellt vorgeführt wurden. Viele der-
selben, namentlich aber die seinen Bergen fehlenden, verpflanzte er
in seine Gärtchen und Tempelhaine. Was er hier so oft und mit so viel
Wohlgefallen beschaut und bewundert, die mancherlei Erzeugnisse der
Natur seines Landes, sind seine Motive. Dieser Natur sich zu erfreuen,
still zu ihren Füssen sitzend sie in ihrem Leben und Treiben zu be-
lauschen und das leichte und gefällige Bild warm und treu, wie es
empfunden und aufgenommen wurde, mit geübter, sicherer Hand wie-
derzugeben: dies ist das Geheimniss, das sich allmählich zur Grund-
lage der japanischen Kunst im Gewerbe ausbildete.

Die Bilder, mit denen der Japaner seine Vasen und Präsentier-
teller, seine spanischen Wände und kostbaren Seidenstoffe mit Vorliebe
schmückt, sind demnach der Ausdruck eines geläuterten Geschmacks,
einer geübten Naturbeobachtung und eines liebevollen Erfassens all
der Schönheiten, welche Berg und Thal, Feld und Hain in ihren man-
nichfaltigen Formen und Lebenserscheinungen ihm bieten.

"Natura artis magistra". Dieser Wahlspruch der Zoologischen
Gesellschaft in Amsterdam passt desshalb auf kein Volk besser, als

III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
Chinesen ist häufig plump und wenig naturgetreu. Namentlich treibt
bei den Baumformen eine wilde Phantasie ihr verwegenes Spiel und
stellt z. B. Blätter und Blüthen zusammen, die in der Natur grund-
verschiedenen Gewächsen angehören oder gar nicht vorkommen. Auch
sind bei den chinesischen Producten schreiende Farben und geschmack-
lose Verbindungen derselben, namentlich bei der gewöhnlichen Markt-
waare, häufig zu sehen. So befand sich zum Beispiel auf der grossen
Pariser Industrie-Ausstellung von 1878 ein chinesischer Wandschirm
mit einem Gemälde auf Seide, das unter Anderm eine blaublühende
Winde zeigte, die sich um den blühenden Ast eines Granatbaumes
schlang, auf dem ein Phantasievogel mit gelber Brust sass, während
auf dem Felsstück am Fusse ein Hahn stand, dem eine Wasserjungfer
zuflog. Derartige Zusammenstellungen wählt gewiss kein japanischer
Künstler, weil sie unnatürlich sind und sein Farbensinn sie ihm ver-
bietet. An Grösse und handelspolitischer Bedeutung behauptet zwar
China unter den Ländern Ostasiens immer noch seinen hervorragenden
Rang, aber im Verhalten gegen die christlichen Culturvölker, in seinen
Staatseinrichtungen und seinem Einfluss auf unser Kunstgewerbe hat
Japan ihm den Rang abgelaufen.

War der Japaner in früheren Jahrhunderten ein blinder Bewun-
derer und Nachahmer seines westlichen Nachbars und Lehrmeisters,
so hat er das längst aufgegeben. In der herrlichen Natur seines Lan-
des fand er die meisten Decorationsmotive wieder, die ihm von Westen
her im Bilde nur plump und entstellt vorgeführt wurden. Viele der-
selben, namentlich aber die seinen Bergen fehlenden, verpflanzte er
in seine Gärtchen und Tempelhaine. Was er hier so oft und mit so viel
Wohlgefallen beschaut und bewundert, die mancherlei Erzeugnisse der
Natur seines Landes, sind seine Motive. Dieser Natur sich zu erfreuen,
still zu ihren Füssen sitzend sie in ihrem Leben und Treiben zu be-
lauschen und das leichte und gefällige Bild warm und treu, wie es
empfunden und aufgenommen wurde, mit geübter, sicherer Hand wie-
derzugeben: dies ist das Geheimniss, das sich allmählich zur Grund-
lage der japanischen Kunst im Gewerbe ausbildete.

Die Bilder, mit denen der Japaner seine Vasen und Präsentier-
teller, seine spanischen Wände und kostbaren Seidenstoffe mit Vorliebe
schmückt, sind demnach der Ausdruck eines geläuterten Geschmacks,
einer geübten Naturbeobachtung und eines liebevollen Erfassens all
der Schönheiten, welche Berg und Thal, Feld und Hain in ihren man-
nichfaltigen Formen und Lebenserscheinungen ihm bieten.

»Natura artis magistra«. Dieser Wahlspruch der Zoologischen
Gesellschaft in Amsterdam passt desshalb auf kein Volk besser, als

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[382/0406] III. Kunstgewerbe und Verwandtes. Chinesen ist häufig plump und wenig naturgetreu. Namentlich treibt bei den Baumformen eine wilde Phantasie ihr verwegenes Spiel und stellt z. B. Blätter und Blüthen zusammen, die in der Natur grund- verschiedenen Gewächsen angehören oder gar nicht vorkommen. Auch sind bei den chinesischen Producten schreiende Farben und geschmack- lose Verbindungen derselben, namentlich bei der gewöhnlichen Markt- waare, häufig zu sehen. So befand sich zum Beispiel auf der grossen Pariser Industrie-Ausstellung von 1878 ein chinesischer Wandschirm mit einem Gemälde auf Seide, das unter Anderm eine blaublühende Winde zeigte, die sich um den blühenden Ast eines Granatbaumes schlang, auf dem ein Phantasievogel mit gelber Brust sass, während auf dem Felsstück am Fusse ein Hahn stand, dem eine Wasserjungfer zuflog. Derartige Zusammenstellungen wählt gewiss kein japanischer Künstler, weil sie unnatürlich sind und sein Farbensinn sie ihm ver- bietet. An Grösse und handelspolitischer Bedeutung behauptet zwar China unter den Ländern Ostasiens immer noch seinen hervorragenden Rang, aber im Verhalten gegen die christlichen Culturvölker, in seinen Staatseinrichtungen und seinem Einfluss auf unser Kunstgewerbe hat Japan ihm den Rang abgelaufen. War der Japaner in früheren Jahrhunderten ein blinder Bewun- derer und Nachahmer seines westlichen Nachbars und Lehrmeisters, so hat er das längst aufgegeben. In der herrlichen Natur seines Lan- des fand er die meisten Decorationsmotive wieder, die ihm von Westen her im Bilde nur plump und entstellt vorgeführt wurden. Viele der- selben, namentlich aber die seinen Bergen fehlenden, verpflanzte er in seine Gärtchen und Tempelhaine. Was er hier so oft und mit so viel Wohlgefallen beschaut und bewundert, die mancherlei Erzeugnisse der Natur seines Landes, sind seine Motive. Dieser Natur sich zu erfreuen, still zu ihren Füssen sitzend sie in ihrem Leben und Treiben zu be- lauschen und das leichte und gefällige Bild warm und treu, wie es empfunden und aufgenommen wurde, mit geübter, sicherer Hand wie- derzugeben: dies ist das Geheimniss, das sich allmählich zur Grund- lage der japanischen Kunst im Gewerbe ausbildete. Die Bilder, mit denen der Japaner seine Vasen und Präsentier- teller, seine spanischen Wände und kostbaren Seidenstoffe mit Vorliebe schmückt, sind demnach der Ausdruck eines geläuterten Geschmacks, einer geübten Naturbeobachtung und eines liebevollen Erfassens all der Schönheiten, welche Berg und Thal, Feld und Hain in ihren man- nichfaltigen Formen und Lebenserscheinungen ihm bieten. »Natura artis magistra«. Dieser Wahlspruch der Zoologischen Gesellschaft in Amsterdam passt desshalb auf kein Volk besser, als

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/406>, abgerufen am 23.11.2024.