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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
Schlangenartig gekrümmt, reich beschuppt, mit möglichst grässlichem
Ausdruck des Kopfes, eine verzerrte Thiergestalt, findet man es häufig
nicht blos auf dem kaiserlichen Wappen und Münzen, sondern vor
allen Dingen in Bronze nachgebildet, in Holz geschnitzt und in We-
bereien. Es ist das Sinnbild der Wachsamkeit und Stärke. Häufiger
als das Einhorn und als Vertreter findet man unter dem Namen Kirin
ein Thier mit Kopf und Brust des Drachen, den Sitz des Hundes oder
einer Katze, den Schweif des Löwen. Auf Deckelvasen (Urnen) und
Räuchergefässen bildet dasselbe oft den Deckelknopf und ist dafür min-
destens ebenso beliebt, wie die Lotusknospe. Der Howo wird selten
in Relief dargestellt; um so häufiger in Geweben. Sehr beliebt ist
die Schildkröte, insbesondere die Mino-game (Mantelschildkröte), d. i.
eine Schildkröte mit Confervenanhängseln. Sie ist das Symbol des
friedlichen Greisenalters, einer der sieben Glückseligkeiten des mensch-
lichen Lebens.

Eine andere Gruppe von Decorationsmotiven, die man besonders
häufig als Reliefverzierung auf Bronze anwendet, ist der Mythologie,
sowie der alten japanischen Sagen- und Heldengeschichte entnommen,
welche einen reichen und mannichfaltigen Stoff liefert. Hierher ge-
hört u. A. die Darstellung der Shichi Fuku-jin oder sieben Glücksgötter.

Bei den der Natur entlehnten Motiven ist eine gewisse Verknü-
pfung zwar nicht steife Regel, aber doch herkömmlich. Zu den be-
liebtesten Zusammenstellungen gehören folgende: Bambusrohr und
Tiger, Mumepflaume und Nachtigall (Unguisu), Sonnenaufgang, Kiefer
und Kranich, Löwe und Päonie, Hirsch und Ahorn, Kranich und
Schildkröte (Symbol des Glücks und langen Lebens), Kiefer, Bambus-
rohr und Mume, Schilf und Silberreiher, Bambusrohr und Schwalbe,
Regen und Schwalbe, Lotusblume und Silberreiher. Auch das Heim-
wärtsziehen oder Niederfliegen der wilden Gänse, das Erwachen der
Natur im Lenze, später Schneefall und andere Erscheinungen geben
beliebte Decorationsmotive ab (vgl. Taf. VII.).

Die Darstellung dieser und mancher andern Objecte durch den

eben so vielen Klassen des Thierreichs vor. Letzteres zerfällt hiernach in fünf
Klassen mit je einem Oberhaupte:
1) Der Mensch steht an der Spitze der nackten Thiere.
2) Der Ki-lin (jap. Ki-rin) oder das Einhorn führt und beschützt die be-
haarten Thiere.

3) Der Howo (Fung-hwang) oder Phönix repräsentiert die befiederten Thiere.
4) Der Riyo (Lung, jap. Tatsu) oder Drache steht an der Spitze der be-
schuppten Thiere.

5) Die Ki (Kwei, jap. Kame) oder Schildkröte führt und beschützt alle
mit einer Schale versehenen Thiere.

1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
Schlangenartig gekrümmt, reich beschuppt, mit möglichst grässlichem
Ausdruck des Kopfes, eine verzerrte Thiergestalt, findet man es häufig
nicht blos auf dem kaiserlichen Wappen und Münzen, sondern vor
allen Dingen in Bronze nachgebildet, in Holz geschnitzt und in We-
bereien. Es ist das Sinnbild der Wachsamkeit und Stärke. Häufiger
als das Einhorn und als Vertreter findet man unter dem Namen Kirin
ein Thier mit Kopf und Brust des Drachen, den Sitz des Hundes oder
einer Katze, den Schweif des Löwen. Auf Deckelvasen (Urnen) und
Räuchergefässen bildet dasselbe oft den Deckelknopf und ist dafür min-
destens ebenso beliebt, wie die Lotusknospe. Der Hôwô wird selten
in Relief dargestellt; um so häufiger in Geweben. Sehr beliebt ist
die Schildkröte, insbesondere die Mino-game (Mantelschildkröte), d. i.
eine Schildkröte mit Confervenanhängseln. Sie ist das Symbol des
friedlichen Greisenalters, einer der sieben Glückseligkeiten des mensch-
lichen Lebens.

Eine andere Gruppe von Decorationsmotiven, die man besonders
häufig als Reliefverzierung auf Bronze anwendet, ist der Mythologie,
sowie der alten japanischen Sagen- und Heldengeschichte entnommen,
welche einen reichen und mannichfaltigen Stoff liefert. Hierher ge-
hört u. A. die Darstellung der Shichi Fuku-jin oder sieben Glücksgötter.

Bei den der Natur entlehnten Motiven ist eine gewisse Verknü-
pfung zwar nicht steife Regel, aber doch herkömmlich. Zu den be-
liebtesten Zusammenstellungen gehören folgende: Bambusrohr und
Tiger, Mumepflaume und Nachtigall (Unguisu), Sonnenaufgang, Kiefer
und Kranich, Löwe und Päonie, Hirsch und Ahorn, Kranich und
Schildkröte (Symbol des Glücks und langen Lebens), Kiefer, Bambus-
rohr und Mume, Schilf und Silberreiher, Bambusrohr und Schwalbe,
Regen und Schwalbe, Lotusblume und Silberreiher. Auch das Heim-
wärtsziehen oder Niederfliegen der wilden Gänse, das Erwachen der
Natur im Lenze, später Schneefall und andere Erscheinungen geben
beliebte Decorationsmotive ab (vgl. Taf. VII.).

Die Darstellung dieser und mancher andern Objecte durch den

eben so vielen Klassen des Thierreichs vor. Letzteres zerfällt hiernach in fünf
Klassen mit je einem Oberhaupte:
1) Der Mensch steht an der Spitze der nackten Thiere.
2) Der Ki-lin (jap. Ki-rin) oder das Einhorn führt und beschützt die be-
haarten Thiere.

3) Der Hôwô (Fung-hwang) oder Phönix repräsentiert die befiederten Thiere.
4) Der Riyô (Lung, jap. Tatsu) oder Drache steht an der Spitze der be-
schuppten Thiere.

5) Die Ki (Kwei, jap. Kame) oder Schildkröte führt und beschützt alle
mit einer Schale versehenen Thiere.
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[381/0405] 1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen. Schlangenartig gekrümmt, reich beschuppt, mit möglichst grässlichem Ausdruck des Kopfes, eine verzerrte Thiergestalt, findet man es häufig nicht blos auf dem kaiserlichen Wappen und Münzen, sondern vor allen Dingen in Bronze nachgebildet, in Holz geschnitzt und in We- bereien. Es ist das Sinnbild der Wachsamkeit und Stärke. Häufiger als das Einhorn und als Vertreter findet man unter dem Namen Kirin ein Thier mit Kopf und Brust des Drachen, den Sitz des Hundes oder einer Katze, den Schweif des Löwen. Auf Deckelvasen (Urnen) und Räuchergefässen bildet dasselbe oft den Deckelknopf und ist dafür min- destens ebenso beliebt, wie die Lotusknospe. Der Hôwô wird selten in Relief dargestellt; um so häufiger in Geweben. Sehr beliebt ist die Schildkröte, insbesondere die Mino-game (Mantelschildkröte), d. i. eine Schildkröte mit Confervenanhängseln. Sie ist das Symbol des friedlichen Greisenalters, einer der sieben Glückseligkeiten des mensch- lichen Lebens. Eine andere Gruppe von Decorationsmotiven, die man besonders häufig als Reliefverzierung auf Bronze anwendet, ist der Mythologie, sowie der alten japanischen Sagen- und Heldengeschichte entnommen, welche einen reichen und mannichfaltigen Stoff liefert. Hierher ge- hört u. A. die Darstellung der Shichi Fuku-jin oder sieben Glücksgötter. Bei den der Natur entlehnten Motiven ist eine gewisse Verknü- pfung zwar nicht steife Regel, aber doch herkömmlich. Zu den be- liebtesten Zusammenstellungen gehören folgende: Bambusrohr und Tiger, Mumepflaume und Nachtigall (Unguisu), Sonnenaufgang, Kiefer und Kranich, Löwe und Päonie, Hirsch und Ahorn, Kranich und Schildkröte (Symbol des Glücks und langen Lebens), Kiefer, Bambus- rohr und Mume, Schilf und Silberreiher, Bambusrohr und Schwalbe, Regen und Schwalbe, Lotusblume und Silberreiher. Auch das Heim- wärtsziehen oder Niederfliegen der wilden Gänse, das Erwachen der Natur im Lenze, später Schneefall und andere Erscheinungen geben beliebte Decorationsmotive ab (vgl. Taf. VII.). Die Darstellung dieser und mancher andern Objecte durch den **) **) eben so vielen Klassen des Thierreichs vor. Letzteres zerfällt hiernach in fünf Klassen mit je einem Oberhaupte: 1) Der Mensch steht an der Spitze der nackten Thiere. 2) Der Ki-lin (jap. Ki-rin) oder das Einhorn führt und beschützt die be- haarten Thiere. 3) Der Hôwô (Fung-hwang) oder Phönix repräsentiert die befiederten Thiere. 4) Der Riyô (Lung, jap. Tatsu) oder Drache steht an der Spitze der be- schuppten Thiere. 5) Die Ki (Kwei, jap. Kame) oder Schildkröte führt und beschützt alle mit einer Schale versehenen Thiere.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/405>, abgerufen am 23.11.2024.