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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
Culturkreise keineswegs zu einer so hohen Bedeutung entwickelt. Alle
ihre Schöpfungen sind vergängliche Holzbauten und machen nur aus-
nahmsweise einen monumentalen Eindruck. Die vornehmsten der-
selben, buddhistische Tempel, zeigen unter einem unverhältnissmässig
schweren Dache eine gedrungene und gedrückte Gestalt und vielfache
Holzverzierungen, die wohl Ausdruck einer reichen Phantasie, selten
aber -- mit Ausnahme vieler Schnitzereien -- Zeichen eines beson-
ders entwickelten künstlerischen Geschmackes sind.

Die Kunstindustrie dieser ostasiatischen Völker hat ihren Schwer-
punkt in den mancherlei kleinen Erzeugnissen, welche sie aus plasti-
schem Thon, Metall, Holz und Elfenbein darstellen und zum Theil mit
Lack- und Schmelzfarben, zum Theil durch Gravierung, Ciselierung und
Tauschierung und eine höchst geschmackvolle Verwendung der Curven
und mehr noch der graden und gebrochenen Linien reich verzieren,
sowie in der Textilindustrie vom einfachen Flechtwerk bis zum com-
plicierten Gewebe aus Seide oder Baumwolle. Wie in China, so sind
auch in Japan Lackierkunst, feinere Keramik, Email-, Ciselier- und
Tauschierarbeiten und in letzterer Beziehung vor allem die Bronze-
Industrie und Waffenschmiedekunst, aber auch die Holz-, Elfenbein-,
Knochen- und Steinschneiderei, sowie Weberei und Färberei die Ge-
werbszweige, in welchen sich Kunstsinn und Kunstfertigkeit der Be-
wohner am meisten zeigen.

China ist die ursprüngliche Heimat dieser Industriezweige. Von
ihm erhielt sie Japan mit den meisten seiner eigenthümlichen Formen
und Decorationen. Mit dem Buddhismus als Hauptträger der eigen-
artigen Cultur Ostasiens, welche China, Korea, Japan und Theile
Hinterindiens umfasst, gelangten meist über Korea, als vermittelndem
Gliede, nach Japan: chinesische Staatseinrichtung und Rechtspflege,
chinesische Schrift und Literatur, chinesische Ethik und Heilkunde,
chinesische Künste und Gewerbe mit all ihren Eigenheiten in der An-
wendung der Mittel und der Geschmacksrichtung.

Auf allen diesen Gebieten hat Japan viele Jahrhunderte China als
mustergiltiges Vorbild betrachtet, grossen Nachahmungstrieb und Ge-
schick in der Anwendung, dagegen wenig selbständige schöpferische
Kraft entwickelt. Die unbestreitbare Thatsache, dass es in den meisten
angeführten Zweigen des Kunsthandwerks seine alten Lehrmeister
jetzt weit übertrifft, ist eben dieser Nachahmungsgabe und Neigung,
das Gesehene sich anzueignen und nutzbar zu machen, sodann und vor
allem seinem entwickelten Natur- und Schönheitssinn zuzuschreiben.

Die bisher bekannt gewordenen, vornehmlich durch Ausgrabungen
erhaltenen Reste japanischer Industrieerzeugnisse aus der Zeit vor

1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen.
Culturkreise keineswegs zu einer so hohen Bedeutung entwickelt. Alle
ihre Schöpfungen sind vergängliche Holzbauten und machen nur aus-
nahmsweise einen monumentalen Eindruck. Die vornehmsten der-
selben, buddhistische Tempel, zeigen unter einem unverhältnissmässig
schweren Dache eine gedrungene und gedrückte Gestalt und vielfache
Holzverzierungen, die wohl Ausdruck einer reichen Phantasie, selten
aber — mit Ausnahme vieler Schnitzereien — Zeichen eines beson-
ders entwickelten künstlerischen Geschmackes sind.

Die Kunstindustrie dieser ostasiatischen Völker hat ihren Schwer-
punkt in den mancherlei kleinen Erzeugnissen, welche sie aus plasti-
schem Thon, Metall, Holz und Elfenbein darstellen und zum Theil mit
Lack- und Schmelzfarben, zum Theil durch Gravierung, Ciselierung und
Tauschierung und eine höchst geschmackvolle Verwendung der Curven
und mehr noch der graden und gebrochenen Linien reich verzieren,
sowie in der Textilindustrie vom einfachen Flechtwerk bis zum com-
plicierten Gewebe aus Seide oder Baumwolle. Wie in China, so sind
auch in Japan Lackierkunst, feinere Keramik, Email-, Ciselier- und
Tauschierarbeiten und in letzterer Beziehung vor allem die Bronze-
Industrie und Waffenschmiedekunst, aber auch die Holz-, Elfenbein-,
Knochen- und Steinschneiderei, sowie Weberei und Färberei die Ge-
werbszweige, in welchen sich Kunstsinn und Kunstfertigkeit der Be-
wohner am meisten zeigen.

China ist die ursprüngliche Heimat dieser Industriezweige. Von
ihm erhielt sie Japan mit den meisten seiner eigenthümlichen Formen
und Decorationen. Mit dem Buddhismus als Hauptträger der eigen-
artigen Cultur Ostasiens, welche China, Korea, Japan und Theile
Hinterindiens umfasst, gelangten meist über Korea, als vermittelndem
Gliede, nach Japan: chinesische Staatseinrichtung und Rechtspflege,
chinesische Schrift und Literatur, chinesische Ethik und Heilkunde,
chinesische Künste und Gewerbe mit all ihren Eigenheiten in der An-
wendung der Mittel und der Geschmacksrichtung.

Auf allen diesen Gebieten hat Japan viele Jahrhunderte China als
mustergiltiges Vorbild betrachtet, grossen Nachahmungstrieb und Ge-
schick in der Anwendung, dagegen wenig selbständige schöpferische
Kraft entwickelt. Die unbestreitbare Thatsache, dass es in den meisten
angeführten Zweigen des Kunsthandwerks seine alten Lehrmeister
jetzt weit übertrifft, ist eben dieser Nachahmungsgabe und Neigung,
das Gesehene sich anzueignen und nutzbar zu machen, sodann und vor
allem seinem entwickelten Natur- und Schönheitssinn zuzuschreiben.

Die bisher bekannt gewordenen, vornehmlich durch Ausgrabungen
erhaltenen Reste japanischer Industrieerzeugnisse aus der Zeit vor

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[375/0399] 1. Das japanische Kunstgewerbe im Allgemeinen. Culturkreise keineswegs zu einer so hohen Bedeutung entwickelt. Alle ihre Schöpfungen sind vergängliche Holzbauten und machen nur aus- nahmsweise einen monumentalen Eindruck. Die vornehmsten der- selben, buddhistische Tempel, zeigen unter einem unverhältnissmässig schweren Dache eine gedrungene und gedrückte Gestalt und vielfache Holzverzierungen, die wohl Ausdruck einer reichen Phantasie, selten aber — mit Ausnahme vieler Schnitzereien — Zeichen eines beson- ders entwickelten künstlerischen Geschmackes sind. Die Kunstindustrie dieser ostasiatischen Völker hat ihren Schwer- punkt in den mancherlei kleinen Erzeugnissen, welche sie aus plasti- schem Thon, Metall, Holz und Elfenbein darstellen und zum Theil mit Lack- und Schmelzfarben, zum Theil durch Gravierung, Ciselierung und Tauschierung und eine höchst geschmackvolle Verwendung der Curven und mehr noch der graden und gebrochenen Linien reich verzieren, sowie in der Textilindustrie vom einfachen Flechtwerk bis zum com- plicierten Gewebe aus Seide oder Baumwolle. Wie in China, so sind auch in Japan Lackierkunst, feinere Keramik, Email-, Ciselier- und Tauschierarbeiten und in letzterer Beziehung vor allem die Bronze- Industrie und Waffenschmiedekunst, aber auch die Holz-, Elfenbein-, Knochen- und Steinschneiderei, sowie Weberei und Färberei die Ge- werbszweige, in welchen sich Kunstsinn und Kunstfertigkeit der Be- wohner am meisten zeigen. China ist die ursprüngliche Heimat dieser Industriezweige. Von ihm erhielt sie Japan mit den meisten seiner eigenthümlichen Formen und Decorationen. Mit dem Buddhismus als Hauptträger der eigen- artigen Cultur Ostasiens, welche China, Korea, Japan und Theile Hinterindiens umfasst, gelangten meist über Korea, als vermittelndem Gliede, nach Japan: chinesische Staatseinrichtung und Rechtspflege, chinesische Schrift und Literatur, chinesische Ethik und Heilkunde, chinesische Künste und Gewerbe mit all ihren Eigenheiten in der An- wendung der Mittel und der Geschmacksrichtung. Auf allen diesen Gebieten hat Japan viele Jahrhunderte China als mustergiltiges Vorbild betrachtet, grossen Nachahmungstrieb und Ge- schick in der Anwendung, dagegen wenig selbständige schöpferische Kraft entwickelt. Die unbestreitbare Thatsache, dass es in den meisten angeführten Zweigen des Kunsthandwerks seine alten Lehrmeister jetzt weit übertrifft, ist eben dieser Nachahmungsgabe und Neigung, das Gesehene sich anzueignen und nutzbar zu machen, sodann und vor allem seinem entwickelten Natur- und Schönheitssinn zuzuschreiben. Die bisher bekannt gewordenen, vornehmlich durch Ausgrabungen erhaltenen Reste japanischer Industrieerzeugnisse aus der Zeit vor

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/399>, abgerufen am 28.04.2024.