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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Religiöse Zustände.

Auf die Verwandtschaft des katholischen Ritus und Ceremoniells
mit dem buddhistischen wurde bereits pag. 312 und 313 hingewiesen.
Die grosse Aehnlichkeit in der Lehre von der wunderbaren Mensch-
werdung des Erlösers, einem künftigen Gericht und Leben im Himmel
oder der Hölle, dem Durchgang durchs Fegfeuer, in der Verehrung
von Heiligen etc., ist nicht minder auffallend und verschieden ge-
deutet worden. Wenige werden geneigt sein, dieselbe mit dem be-
kannten Pater Huc, dem berühmten Reisenden in Tibet, China und
der Tatarei, für ein Werk des Satans anzusehen. Da das Christen-
thum weit jüngeren Ursprungs als der Buddhismus ist, lag die nA-
sicht nahe, dass es das beiden Gemeinsame diesem entlehnt habe.
Neuere Forscher auf diesem Gebiete weisen jedoch nach, dass das
Verhältniss umgekehrt richtig ist und der Buddhismus erst während
seiner Berührung mit den Nestorianern in Tibet und China jene
christlichen Lehren und Ceremonieen von diesen kennen lernte und in
sich aufnahm*).

In der Nährung des Aberglaubens und der Ausbeutung der leicht-
gläubigen Menge standen und stehen japanische Bonzen und Kannushi
manchen katholischen Priestern nicht nach, Wallfahrten und Ablass-
handel sind auch bei ihnen noch nicht ausgestorben. Bei den be-
rühmten Tempeln und Klöstern Japans kann der gläubige Pilger
nicht blos geweihtes Wasser, Schutz vor oni (dem Teufel), den Blat-
tern, dem bösen Husten und andern Krankheiten sich erkaufen, son-
dern auch Ofuda, welche ihm Glück im Hause und Geschäft und
vieles Andere verheissen**).

Es ist bereits der allmählichen Entartung des Buddhismus und
der Entwickelung eines groben Götzendienstes gedacht worden. Man
muss die Legion höherer und niederer Gottheiten, welche theils sinn-

*) Siehe Eitel: Buddhism: its historical, theoretical and popular aspects.
London 1873. Trübner & Co.
**) Die Ofuda oder Freimarken (Ablasskarten), welche z. B. bei dem be-
rühmten Buddha- (jetzt Shinto-) Tempel Kotohira in Sanuki zu einem bu (1/4 Dollar)
verkauft werden, sind bedruckte Papierstreifen, die, je nachdem man zahlt, in
verschieden grossen, flachen, weissen Kästchen verwahrt und mit dem grossen
rothen Stempel des Tempels versehen werden. Folgendes ist der Wortlaut einer
dieser Ablasskarten, die ich im Jahre 1875 erwarb: "Kotohira-no-miya. Niya
sanjitsu kito kainu yencho shugo, d. h. Shintotempel Kotohira. Wer zwei Nächte
und drei Tage betet, erhält auf lange Zeit ein blühendes Geschäft". Auf anderen
steht Glück in der Familie oder Genesung von einer Krankheit etc. Jedes
Zettelchen enthält nur ein solches Schutzmittel, und wer mit seinem ichi-bu (ein
bu) an die Kasse kommt, wird gefragt, welches er wolle. Er kann sich mit
allen wappnen, wenn er entsprechend zahlt.
Rein, Japan I. 34
6. Religiöse Zustände.

Auf die Verwandtschaft des katholischen Ritus und Ceremoniells
mit dem buddhistischen wurde bereits pag. 312 und 313 hingewiesen.
Die grosse Aehnlichkeit in der Lehre von der wunderbaren Mensch-
werdung des Erlösers, einem künftigen Gericht und Leben im Himmel
oder der Hölle, dem Durchgang durchs Fegfeuer, in der Verehrung
von Heiligen etc., ist nicht minder auffallend und verschieden ge-
deutet worden. Wenige werden geneigt sein, dieselbe mit dem be-
kannten Pater Huc, dem berühmten Reisenden in Tibet, China und
der Tatarei, für ein Werk des Satans anzusehen. Da das Christen-
thum weit jüngeren Ursprungs als der Buddhismus ist, lag die nA-
sicht nahe, dass es das beiden Gemeinsame diesem entlehnt habe.
Neuere Forscher auf diesem Gebiete weisen jedoch nach, dass das
Verhältniss umgekehrt richtig ist und der Buddhismus erst während
seiner Berührung mit den Nestorianern in Tibet und China jene
christlichen Lehren und Ceremonieen von diesen kennen lernte und in
sich aufnahm*).

In der Nährung des Aberglaubens und der Ausbeutung der leicht-
gläubigen Menge standen und stehen japanische Bonzen und Kannushi
manchen katholischen Priestern nicht nach, Wallfahrten und Ablass-
handel sind auch bei ihnen noch nicht ausgestorben. Bei den be-
rühmten Tempeln und Klöstern Japans kann der gläubige Pilger
nicht blos geweihtes Wasser, Schutz vor oni (dem Teufel), den Blat-
tern, dem bösen Husten und andern Krankheiten sich erkaufen, son-
dern auch Ofuda, welche ihm Glück im Hause und Geschäft und
vieles Andere verheissen**).

Es ist bereits der allmählichen Entartung des Buddhismus und
der Entwickelung eines groben Götzendienstes gedacht worden. Man
muss die Legion höherer und niederer Gottheiten, welche theils sinn-

*) Siehe Eitel: Buddhism: its historical, theoretical and popular aspects.
London 1873. Trübner & Co.
**) Die Ofuda oder Freimarken (Ablasskarten), welche z. B. bei dem be-
rühmten Buddha- (jetzt Shintô-) Tempel Kotohira in Sanuki zu einem bu (¼ Dollar)
verkauft werden, sind bedruckte Papierstreifen, die, je nachdem man zahlt, in
verschieden grossen, flachen, weissen Kästchen verwahrt und mit dem grossen
rothen Stempel des Tempels versehen werden. Folgendes ist der Wortlaut einer
dieser Ablasskarten, die ich im Jahre 1875 erwarb: »Kotohira-no-miya. Niya
sanjitsu kito kainu yenchô shugo, d. h. Shintôtempel Kotohira. Wer zwei Nächte
und drei Tage betet, erhält auf lange Zeit ein blühendes Geschäft«. Auf anderen
steht Glück in der Familie oder Genesung von einer Krankheit etc. Jedes
Zettelchen enthält nur ein solches Schutzmittel, und wer mit seinem ichi-bu (ein
bu) an die Kasse kommt, wird gefragt, welches er wolle. Er kann sich mit
allen wappnen, wenn er entsprechend zahlt.
Rein, Japan I. 34
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[529/0565] 6. Religiöse Zustände. Auf die Verwandtschaft des katholischen Ritus und Ceremoniells mit dem buddhistischen wurde bereits pag. 312 und 313 hingewiesen. Die grosse Aehnlichkeit in der Lehre von der wunderbaren Mensch- werdung des Erlösers, einem künftigen Gericht und Leben im Himmel oder der Hölle, dem Durchgang durchs Fegfeuer, in der Verehrung von Heiligen etc., ist nicht minder auffallend und verschieden ge- deutet worden. Wenige werden geneigt sein, dieselbe mit dem be- kannten Pater Huc, dem berühmten Reisenden in Tibet, China und der Tatarei, für ein Werk des Satans anzusehen. Da das Christen- thum weit jüngeren Ursprungs als der Buddhismus ist, lag die nA- sicht nahe, dass es das beiden Gemeinsame diesem entlehnt habe. Neuere Forscher auf diesem Gebiete weisen jedoch nach, dass das Verhältniss umgekehrt richtig ist und der Buddhismus erst während seiner Berührung mit den Nestorianern in Tibet und China jene christlichen Lehren und Ceremonieen von diesen kennen lernte und in sich aufnahm *). In der Nährung des Aberglaubens und der Ausbeutung der leicht- gläubigen Menge standen und stehen japanische Bonzen und Kannushi manchen katholischen Priestern nicht nach, Wallfahrten und Ablass- handel sind auch bei ihnen noch nicht ausgestorben. Bei den be- rühmten Tempeln und Klöstern Japans kann der gläubige Pilger nicht blos geweihtes Wasser, Schutz vor oni (dem Teufel), den Blat- tern, dem bösen Husten und andern Krankheiten sich erkaufen, son- dern auch Ofuda, welche ihm Glück im Hause und Geschäft und vieles Andere verheissen **). Es ist bereits der allmählichen Entartung des Buddhismus und der Entwickelung eines groben Götzendienstes gedacht worden. Man muss die Legion höherer und niederer Gottheiten, welche theils sinn- *) Siehe Eitel: Buddhism: its historical, theoretical and popular aspects. London 1873. Trübner & Co. **) Die Ofuda oder Freimarken (Ablasskarten), welche z. B. bei dem be- rühmten Buddha- (jetzt Shintô-) Tempel Kotohira in Sanuki zu einem bu (¼ Dollar) verkauft werden, sind bedruckte Papierstreifen, die, je nachdem man zahlt, in verschieden grossen, flachen, weissen Kästchen verwahrt und mit dem grossen rothen Stempel des Tempels versehen werden. Folgendes ist der Wortlaut einer dieser Ablasskarten, die ich im Jahre 1875 erwarb: »Kotohira-no-miya. Niya sanjitsu kito kainu yenchô shugo, d. h. Shintôtempel Kotohira. Wer zwei Nächte und drei Tage betet, erhält auf lange Zeit ein blühendes Geschäft«. Auf anderen steht Glück in der Familie oder Genesung von einer Krankheit etc. Jedes Zettelchen enthält nur ein solches Schutzmittel, und wer mit seinem ichi-bu (ein bu) an die Kasse kommt, wird gefragt, welches er wolle. Er kann sich mit allen wappnen, wenn er entsprechend zahlt. Rein, Japan I. 34

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/565>, abgerufen am 19.05.2024.