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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Religiöse Zustände.
dargestellt. So ward beispielsweise Amaterasu, die Sonnengöttin,
ein Buddha unter dem Namen Dainichi Niyorai und der Kriegsgott
Hachiman (Ojin Tenno) zu Amida*). Beide nahmen also unter den
vier Stufen der Glücklichen nach dem Tode (den Hotoke oder Buddhas,
den Niyorai oder göttlichen Protectoren der Menschen, den Bosatsu
[Bodhisattva] oder Aposteln des Shaka und den Rakan oder fünf-
hundert nächsten Jüngern desselben) sehr hohe Stellen ein. Kaiser
Saga war über diese eigenthümliche Verquickung des Shinto mit dem
Buddhismus sehr erfreut und nannte sie Riyobu-Shinto, d. h.
"beiderlei Götterlehre". Aber auch beim Volke fand dieselbe grossen
Beifall und in den Tempeln schon bald ihren Ausdruck. Die alte
Einfachheit der Kamihalle schwand. Idole als Repräsentanten der
Kami nach buddhistischer Auffassung füllten die Räume, und selbst
bei den Torii hielt man sich nicht mehr an das früher ausschliesslich
in Anwendung kommende Hinoki gebunden, errichtete sie auch aus
behauenen Steinen, ja selbst aus Bronze, oder wandte statt ihrer die
überdachten Thore der teras an. Auch sind, wie Satow, der gründ-
lichste Kenner dieser Verhältnisse, gezeigt hat, mit jener Verbindung
des alten Kamidienstes mit buddhistischem Mysticismus, welche den
Namen Riyobu-shinto trägt, die Nüancierungen des Shinto unter
buddhistischem Einflusse keineswegs alle erschöpft. Sehr häufig
diente auch bis in die neueste Zeit derselbe Tempel beiden Religions-
bekenntnissen, wobei sich wiederum die Toleranz der Buddhisten
deutlich zeigt. In solchen Fällen war nämlich gewöhnlich der
buddhistische Altar im Hintergrunde durch den misu, einen Vorhang
aus Bambusstreifen, von dem Shinto-Altar mit Spiegel und Gohei
getrennt. Bonzen (japanisch bozu oder oshu) celebrierten vor jenem
und Kannushi hier nach einander.

Aber auch die alten Buddhisten bewahrten keineswegs die alte
Einheit des Bekenntnisses und Cultus, sondern entwickelten nament-
lich in der Lehre von der Moral und der Bestimmung des Menschen
verschiedene Anschauungen, aus denen eine Reihe von Secten hervor-
ging, die sich zum Theil eben so feindlich gegenüber traten, wie die
verschiedenen Bekenntnisse in der christlichen Kirche**). Mehrere
derselben kamen von China herüber, die meisten entwickelten sich

*) Sumera oder Subera, der alte Titel des Mikado, wurde von buddhisti-
schen Priestern ebenso in Tenno und Tenshi umgewandelt (siehe pag. 256).
**) Nach Klaproth's Annalen gab es gegen Ende des 8. Jahrhunderts
sechs Secten in Japan, nach anderen Angaben unterschied man Hasshau (8 Secten)
nämlich die Ritsu, Gusha, Jojitsu, Hosso, Sanron, Kegon, Tendai und Shingon,
wovon nur die zwei letzten noch bestehen.

6. Religiöse Zustände.
dargestellt. So ward beispielsweise Amaterasu, die Sonnengöttin,
ein Buddha unter dem Namen Dainichi Niyorai und der Kriegsgott
Hachiman (Ôjin Tennô) zu Amida*). Beide nahmen also unter den
vier Stufen der Glücklichen nach dem Tode (den Hotoke oder Buddhas,
den Niyorai oder göttlichen Protectoren der Menschen, den Bosatsu
[Bôdhisattva] oder Aposteln des Shaka und den Rakan oder fünf-
hundert nächsten Jüngern desselben) sehr hohe Stellen ein. Kaiser
Saga war über diese eigenthümliche Verquickung des Shintô mit dem
Buddhismus sehr erfreut und nannte sie Riyobu-Shintô, d. h.
»beiderlei Götterlehre«. Aber auch beim Volke fand dieselbe grossen
Beifall und in den Tempeln schon bald ihren Ausdruck. Die alte
Einfachheit der Kamihalle schwand. Idole als Repräsentanten der
Kami nach buddhistischer Auffassung füllten die Räume, und selbst
bei den Torii hielt man sich nicht mehr an das früher ausschliesslich
in Anwendung kommende Hinoki gebunden, errichtete sie auch aus
behauenen Steinen, ja selbst aus Bronze, oder wandte statt ihrer die
überdachten Thore der teras an. Auch sind, wie Satow, der gründ-
lichste Kenner dieser Verhältnisse, gezeigt hat, mit jener Verbindung
des alten Kamidienstes mit buddhistischem Mysticismus, welche den
Namen Riyobu-shintô trägt, die Nüancierungen des Shintô unter
buddhistischem Einflusse keineswegs alle erschöpft. Sehr häufig
diente auch bis in die neueste Zeit derselbe Tempel beiden Religions-
bekenntnissen, wobei sich wiederum die Toleranz der Buddhisten
deutlich zeigt. In solchen Fällen war nämlich gewöhnlich der
buddhistische Altar im Hintergrunde durch den misu, einen Vorhang
aus Bambusstreifen, von dem Shintô-Altar mit Spiegel und Gôhei
getrennt. Bonzen (japanisch bôzu oder ôshu) celebrierten vor jenem
und Kannushi hier nach einander.

Aber auch die alten Buddhisten bewahrten keineswegs die alte
Einheit des Bekenntnisses und Cultus, sondern entwickelten nament-
lich in der Lehre von der Moral und der Bestimmung des Menschen
verschiedene Anschauungen, aus denen eine Reihe von Secten hervor-
ging, die sich zum Theil eben so feindlich gegenüber traten, wie die
verschiedenen Bekenntnisse in der christlichen Kirche**). Mehrere
derselben kamen von China herüber, die meisten entwickelten sich

*) Sumera oder Subera, der alte Titel des Mikado, wurde von buddhisti-
schen Priestern ebenso in Tennô und Tenshi umgewandelt (siehe pag. 256).
**) Nach Klaproth’s Annalen gab es gegen Ende des 8. Jahrhunderts
sechs Secten in Japan, nach anderen Angaben unterschied man Hasshû (8 Secten)
nämlich die Ritsu, Gusha, Jojitsu, Hossô, Sanron, Kegon, Tendai und Shingon,
wovon nur die zwei letzten noch bestehen.
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[525/0559] 6. Religiöse Zustände. dargestellt. So ward beispielsweise Amaterasu, die Sonnengöttin, ein Buddha unter dem Namen Dainichi Niyorai und der Kriegsgott Hachiman (Ôjin Tennô) zu Amida *). Beide nahmen also unter den vier Stufen der Glücklichen nach dem Tode (den Hotoke oder Buddhas, den Niyorai oder göttlichen Protectoren der Menschen, den Bosatsu [Bôdhisattva] oder Aposteln des Shaka und den Rakan oder fünf- hundert nächsten Jüngern desselben) sehr hohe Stellen ein. Kaiser Saga war über diese eigenthümliche Verquickung des Shintô mit dem Buddhismus sehr erfreut und nannte sie Riyobu-Shintô, d. h. »beiderlei Götterlehre«. Aber auch beim Volke fand dieselbe grossen Beifall und in den Tempeln schon bald ihren Ausdruck. Die alte Einfachheit der Kamihalle schwand. Idole als Repräsentanten der Kami nach buddhistischer Auffassung füllten die Räume, und selbst bei den Torii hielt man sich nicht mehr an das früher ausschliesslich in Anwendung kommende Hinoki gebunden, errichtete sie auch aus behauenen Steinen, ja selbst aus Bronze, oder wandte statt ihrer die überdachten Thore der teras an. Auch sind, wie Satow, der gründ- lichste Kenner dieser Verhältnisse, gezeigt hat, mit jener Verbindung des alten Kamidienstes mit buddhistischem Mysticismus, welche den Namen Riyobu-shintô trägt, die Nüancierungen des Shintô unter buddhistischem Einflusse keineswegs alle erschöpft. Sehr häufig diente auch bis in die neueste Zeit derselbe Tempel beiden Religions- bekenntnissen, wobei sich wiederum die Toleranz der Buddhisten deutlich zeigt. In solchen Fällen war nämlich gewöhnlich der buddhistische Altar im Hintergrunde durch den misu, einen Vorhang aus Bambusstreifen, von dem Shintô-Altar mit Spiegel und Gôhei getrennt. Bonzen (japanisch bôzu oder ôshu) celebrierten vor jenem und Kannushi hier nach einander. Aber auch die alten Buddhisten bewahrten keineswegs die alte Einheit des Bekenntnisses und Cultus, sondern entwickelten nament- lich in der Lehre von der Moral und der Bestimmung des Menschen verschiedene Anschauungen, aus denen eine Reihe von Secten hervor- ging, die sich zum Theil eben so feindlich gegenüber traten, wie die verschiedenen Bekenntnisse in der christlichen Kirche **). Mehrere derselben kamen von China herüber, die meisten entwickelten sich *) Sumera oder Subera, der alte Titel des Mikado, wurde von buddhisti- schen Priestern ebenso in Tennô und Tenshi umgewandelt (siehe pag. 256). **) Nach Klaproth’s Annalen gab es gegen Ende des 8. Jahrhunderts sechs Secten in Japan, nach anderen Angaben unterschied man Hasshû (8 Secten) nämlich die Ritsu, Gusha, Jojitsu, Hossô, Sanron, Kegon, Tendai und Shingon, wovon nur die zwei letzten noch bestehen.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/559>, abgerufen am 22.11.2024.