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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Religiöse Zustände.
keit, sondern andere Eigenschaften ein gewisses Anrecht auf die
Apotheose gaben. Wer sich durch grosse Tapferkeit, Gelehrsamkeit
und Wohlthätigkeit auszeichnete, wurde nach seinem Tode unter die
Götter versetzt, ja der Mikado und seine Räthe bestimmten und be-
stimmen noch jetzt sogar den Rang, welchen ein solcher in dieser
neuen Gesellschaft einzunehmen hat.

Die Shinto-Priester (Kannushi) rasieren sich den Kopf nicht, wie
die Bonzen, und haben nur im Amte eine besondere Tracht. Es gibt
für sie kein Cölibat und keine Klöster. Anderseits gelten sie --
und es ist dies wohl zum Theil eine Folge der Erblichkeit ihrer
Würde -- für viel weniger unterrichtet als die Diener Buddha's.

Der Shintodienst hat ein ausgebildetes Ritual und viele Reinigungs-
vorschriften. Wie bei manchen anderen Völkern, verunreinigen na-
mentlich Geburt und Tod, und es gab desshalb in früheren Zeiten
besondere Sterbehäuser (Moya) und Gebärhäuser (Ubuya), sowie auch
Reinigungsfeste. Während des Baues einer Kamihalle müssen die
Bauleute nach besonderen Vorschriften leben, gewaschen, barfuss und
in weisser Kleidung zur Arbeit gehen, auch bezüglich der Werkzeuge
und des Baumaterials strengen Regeln folgen.

Die Miya's sind dem Ansehen der Kami's, denen sie geweiht
sind, entsprechend in verschiedene Classen getheilt. Die vornehmsten
unter ihnen, zu denen die beiden Tempel bei Yamada in Ise, die
Tempel zu Kidzuki und Sada in Idzuma, woselbst im 11. Monat des
Jahres grosse Feste stattfanden, weil dann alle Kami des Landes
dem alten Glauben nach sich dort versammelten, der Kotohira nicht
weit von Tadotsu in Sanuki und verschiedene andere gehören, wer-
den nach je 21 Jahren neu aufgebaut. Nach dem 12. Gesetz des
Gongen-sama waren die Daimio von Bishiu (Owari) und Kishiu (Kii)
abgabenfrei, hatten aber dafür zu sorgen, dass ihre Wälder zur Er-
neuerung jener Tempel das nöthige Holz lieferten. "Das soll ge-
schehen, damit das Vaterland glücklich sei und die fünf Feldfrüchte*)
wohl gedeihen".

Zu der alten Kamilehre gesellte sich im dritten Jahrhundert un-
serer Zeitrechnung die politische Philosophie des Koshi (Confucius).
Sie wurde mit demselben Enthusiasmus aufgenommen, wie zur Zeit
der Restauration (1868) die abendländische Civilisation, ist aber wie
diese in das Volk nie tief eingedrungen. Dagegen übte sie auf die
Denk- und Lebensweise der Samurai einen mächtigen Einfluss aus.

*) Unter den "fünf Feldfrüchten" versteht man Reis, Gerste (und Weizen).
Hirse, italienische Hirse und Bohnen.

6. Religiöse Zustände.
keit, sondern andere Eigenschaften ein gewisses Anrecht auf die
Apotheose gaben. Wer sich durch grosse Tapferkeit, Gelehrsamkeit
und Wohlthätigkeit auszeichnete, wurde nach seinem Tode unter die
Götter versetzt, ja der Mikado und seine Räthe bestimmten und be-
stimmen noch jetzt sogar den Rang, welchen ein solcher in dieser
neuen Gesellschaft einzunehmen hat.

Die Shintô-Priester (Kannushi) rasieren sich den Kopf nicht, wie
die Bonzen, und haben nur im Amte eine besondere Tracht. Es gibt
für sie kein Cölibat und keine Klöster. Anderseits gelten sie —
und es ist dies wohl zum Theil eine Folge der Erblichkeit ihrer
Würde — für viel weniger unterrichtet als die Diener Buddha’s.

Der Shintôdienst hat ein ausgebildetes Ritual und viele Reinigungs-
vorschriften. Wie bei manchen anderen Völkern, verunreinigen na-
mentlich Geburt und Tod, und es gab desshalb in früheren Zeiten
besondere Sterbehäuser (Moya) und Gebärhäuser (Ubuya), sowie auch
Reinigungsfeste. Während des Baues einer Kamihalle müssen die
Bauleute nach besonderen Vorschriften leben, gewaschen, barfuss und
in weisser Kleidung zur Arbeit gehen, auch bezüglich der Werkzeuge
und des Baumaterials strengen Regeln folgen.

Die Miya’s sind dem Ansehen der Kami’s, denen sie geweiht
sind, entsprechend in verschiedene Classen getheilt. Die vornehmsten
unter ihnen, zu denen die beiden Tempel bei Yamada in Ise, die
Tempel zu Kidzuki und Sada in Idzuma, woselbst im 11. Monat des
Jahres grosse Feste stattfanden, weil dann alle Kami des Landes
dem alten Glauben nach sich dort versammelten, der Kotohira nicht
weit von Tadotsu in Sanuki und verschiedene andere gehören, wer-
den nach je 21 Jahren neu aufgebaut. Nach dem 12. Gesetz des
Gongen-sama waren die Daimio von Bishiu (Owari) und Kishiu (Kii)
abgabenfrei, hatten aber dafür zu sorgen, dass ihre Wälder zur Er-
neuerung jener Tempel das nöthige Holz lieferten. »Das soll ge-
schehen, damit das Vaterland glücklich sei und die fünf Feldfrüchte*)
wohl gedeihen«.

Zu der alten Kamilehre gesellte sich im dritten Jahrhundert un-
serer Zeitrechnung die politische Philosophie des Kôshi (Confucius).
Sie wurde mit demselben Enthusiasmus aufgenommen, wie zur Zeit
der Restauration (1868) die abendländische Civilisation, ist aber wie
diese in das Volk nie tief eingedrungen. Dagegen übte sie auf die
Denk- und Lebensweise der Samurai einen mächtigen Einfluss aus.

*) Unter den »fünf Feldfrüchten« versteht man Reis, Gerste (und Weizen).
Hirse, italienische Hirse und Bohnen.
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[517/0551] 6. Religiöse Zustände. keit, sondern andere Eigenschaften ein gewisses Anrecht auf die Apotheose gaben. Wer sich durch grosse Tapferkeit, Gelehrsamkeit und Wohlthätigkeit auszeichnete, wurde nach seinem Tode unter die Götter versetzt, ja der Mikado und seine Räthe bestimmten und be- stimmen noch jetzt sogar den Rang, welchen ein solcher in dieser neuen Gesellschaft einzunehmen hat. Die Shintô-Priester (Kannushi) rasieren sich den Kopf nicht, wie die Bonzen, und haben nur im Amte eine besondere Tracht. Es gibt für sie kein Cölibat und keine Klöster. Anderseits gelten sie — und es ist dies wohl zum Theil eine Folge der Erblichkeit ihrer Würde — für viel weniger unterrichtet als die Diener Buddha’s. Der Shintôdienst hat ein ausgebildetes Ritual und viele Reinigungs- vorschriften. Wie bei manchen anderen Völkern, verunreinigen na- mentlich Geburt und Tod, und es gab desshalb in früheren Zeiten besondere Sterbehäuser (Moya) und Gebärhäuser (Ubuya), sowie auch Reinigungsfeste. Während des Baues einer Kamihalle müssen die Bauleute nach besonderen Vorschriften leben, gewaschen, barfuss und in weisser Kleidung zur Arbeit gehen, auch bezüglich der Werkzeuge und des Baumaterials strengen Regeln folgen. Die Miya’s sind dem Ansehen der Kami’s, denen sie geweiht sind, entsprechend in verschiedene Classen getheilt. Die vornehmsten unter ihnen, zu denen die beiden Tempel bei Yamada in Ise, die Tempel zu Kidzuki und Sada in Idzuma, woselbst im 11. Monat des Jahres grosse Feste stattfanden, weil dann alle Kami des Landes dem alten Glauben nach sich dort versammelten, der Kotohira nicht weit von Tadotsu in Sanuki und verschiedene andere gehören, wer- den nach je 21 Jahren neu aufgebaut. Nach dem 12. Gesetz des Gongen-sama waren die Daimio von Bishiu (Owari) und Kishiu (Kii) abgabenfrei, hatten aber dafür zu sorgen, dass ihre Wälder zur Er- neuerung jener Tempel das nöthige Holz lieferten. »Das soll ge- schehen, damit das Vaterland glücklich sei und die fünf Feldfrüchte *) wohl gedeihen«. Zu der alten Kamilehre gesellte sich im dritten Jahrhundert un- serer Zeitrechnung die politische Philosophie des Kôshi (Confucius). Sie wurde mit demselben Enthusiasmus aufgenommen, wie zur Zeit der Restauration (1868) die abendländische Civilisation, ist aber wie diese in das Volk nie tief eingedrungen. Dagegen übte sie auf die Denk- und Lebensweise der Samurai einen mächtigen Einfluss aus. *) Unter den »fünf Feldfrüchten« versteht man Reis, Gerste (und Weizen). Hirse, italienische Hirse und Bohnen.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/551>, abgerufen am 20.05.2024.