sie auftreten, sind privilegierte Anstalten, aus welchen die grossen Städte einen ansehnlichen Theil ihrer Geldbedürfnisse decken, da jede hier concessionierte Person eine hohe Gewerbsteuer zahlen muss.
Die höheren Stände Japans erlauben ihren Töchtern den Besuch der Theater nicht, weil sie die Stücke, welche hier gegeben werden, mit Recht für sittenverderblich halten. Aber unter dem Volke sind tüchtige Schauspieler und theatralische Aufführungen sehr beliebt. Die ganze Familie begibt sich, mit Reisnapf, Theetopf und Zucker- werk versehen -- denn das Spiel dauert den ganzen Tag -- in den Musentempel und zollt der derben, unverblümten Wiedergabe der intimsten Familien- und Yoshiwara-Scenen, sowie namentlich den Mordgeschichten lebhaften Beifall. Wandernde Schauspieler schlagen gleich Akrobaten ihre provisorischen Bühnen oft auf freien Plätzen auf und laden durch phantastische, lärmende Umzüge, Feuerwerk und dergleichen die benachbarten Ortschaften zum Besuche ihrer Vor- stellungen ein.
Die Geishas sind die japanischen Vertreterinnen nicht blos der neun Musen, sondern auch einiger anderen Göttinnen, insbeson- dere der Hebe. Bald werden sie aufgefordert, im anständigen Thee- hause ein oder mehreren behäbigen Bürgern und ihren Familien, die sich hier einen vergnügten Tag machen wollen, mit ihrem Tanz, näselnden Gesang, Samisen- und Pantomimenspiel zur Unterhaltung zu dienen, bald verlangt man die gleiche Leistung in einer Joroya oder auch in einem Privathause. An den grossen Tempelfesten müssen sie in vollem Schmucke als Festjungfern im Zuge aufmarschieren und bei manchem Gastmahl eines höheren Beamten die Speisen servieren*).
Von meist niedriger Abkunft, wie die Freudenmädchen, und oft verlassene Waisen, gleich diesen, gelangen sie in der Regel jung durch Kauf in den Besitz gewinnsüchtiger Unternehmer, welche ihnen nach japanischen Begriffen eine gute Erziehung geben lassen. Viele gelten für schön und witzig. Im Pantomimenspiel entwickeln sie nicht selten ein grosses schauspielerisches Talent, das auch den Fremden fesselt, während zur Würdigung ihrer musikalischen Leistungen eben ein orientalischer Geschmack gehört. Von ihrer Moral lässt sich nur sagen, dass sie in der Regel jederzeit bereit sind, mit Zustimmung ihres Herrn aus dem Verbande, in welchem sie stehen, auszutreten, um sich durch Vertrag für einen Monat oder länger an einen Ein- heimischen oder Fremden zu vermiethen.
*) Die Geishas spielen sonach eine ähnliche Rolle wie die Ghawazi (sing. Ghazie) in Aegypten (siehe unter Anderen Kluntzinger).
II. Ethnographie.
sie auftreten, sind privilegierte Anstalten, aus welchen die grossen Städte einen ansehnlichen Theil ihrer Geldbedürfnisse decken, da jede hier concessionierte Person eine hohe Gewerbsteuer zahlen muss.
Die höheren Stände Japans erlauben ihren Töchtern den Besuch der Theater nicht, weil sie die Stücke, welche hier gegeben werden, mit Recht für sittenverderblich halten. Aber unter dem Volke sind tüchtige Schauspieler und theatralische Aufführungen sehr beliebt. Die ganze Familie begibt sich, mit Reisnapf, Theetopf und Zucker- werk versehen — denn das Spiel dauert den ganzen Tag — in den Musentempel und zollt der derben, unverblümten Wiedergabe der intimsten Familien- und Yoshiwara-Scenen, sowie namentlich den Mordgeschichten lebhaften Beifall. Wandernde Schauspieler schlagen gleich Akrobaten ihre provisorischen Bühnen oft auf freien Plätzen auf und laden durch phantastische, lärmende Umzüge, Feuerwerk und dergleichen die benachbarten Ortschaften zum Besuche ihrer Vor- stellungen ein.
Die Geishas sind die japanischen Vertreterinnen nicht blos der neun Musen, sondern auch einiger anderen Göttinnen, insbeson- dere der Hebe. Bald werden sie aufgefordert, im anständigen Thee- hause ein oder mehreren behäbigen Bürgern und ihren Familien, die sich hier einen vergnügten Tag machen wollen, mit ihrem Tanz, näselnden Gesang, Samisen- und Pantomimenspiel zur Unterhaltung zu dienen, bald verlangt man die gleiche Leistung in einer Jôrôya oder auch in einem Privathause. An den grossen Tempelfesten müssen sie in vollem Schmucke als Festjungfern im Zuge aufmarschieren und bei manchem Gastmahl eines höheren Beamten die Speisen servieren*).
Von meist niedriger Abkunft, wie die Freudenmädchen, und oft verlassene Waisen, gleich diesen, gelangen sie in der Regel jung durch Kauf in den Besitz gewinnsüchtiger Unternehmer, welche ihnen nach japanischen Begriffen eine gute Erziehung geben lassen. Viele gelten für schön und witzig. Im Pantomimenspiel entwickeln sie nicht selten ein grosses schauspielerisches Talent, das auch den Fremden fesselt, während zur Würdigung ihrer musikalischen Leistungen eben ein orientalischer Geschmack gehört. Von ihrer Moral lässt sich nur sagen, dass sie in der Regel jederzeit bereit sind, mit Zustimmung ihres Herrn aus dem Verbande, in welchem sie stehen, auszutreten, um sich durch Vertrag für einen Monat oder länger an einen Ein- heimischen oder Fremden zu vermiethen.
*) Die Geishas spielen sonach eine ähnliche Rolle wie die Ghawâzi (sing. Ghâzie) in Aegypten (siehe unter Anderen Kluntzinger).
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II. Ethnographie.
sie auftreten, sind privilegierte Anstalten, aus welchen die grossen
Städte einen ansehnlichen Theil ihrer Geldbedürfnisse decken, da jede
hier concessionierte Person eine hohe Gewerbsteuer zahlen muss.
Die höheren Stände Japans erlauben ihren Töchtern den Besuch
der Theater nicht, weil sie die Stücke, welche hier gegeben werden,
mit Recht für sittenverderblich halten. Aber unter dem Volke sind
tüchtige Schauspieler und theatralische Aufführungen sehr beliebt.
Die ganze Familie begibt sich, mit Reisnapf, Theetopf und Zucker-
werk versehen — denn das Spiel dauert den ganzen Tag — in den
Musentempel und zollt der derben, unverblümten Wiedergabe der
intimsten Familien- und Yoshiwara-Scenen, sowie namentlich den
Mordgeschichten lebhaften Beifall. Wandernde Schauspieler schlagen
gleich Akrobaten ihre provisorischen Bühnen oft auf freien Plätzen
auf und laden durch phantastische, lärmende Umzüge, Feuerwerk
und dergleichen die benachbarten Ortschaften zum Besuche ihrer Vor-
stellungen ein.
Die Geishas sind die japanischen Vertreterinnen nicht blos
der neun Musen, sondern auch einiger anderen Göttinnen, insbeson-
dere der Hebe. Bald werden sie aufgefordert, im anständigen Thee-
hause ein oder mehreren behäbigen Bürgern und ihren Familien, die
sich hier einen vergnügten Tag machen wollen, mit ihrem Tanz,
näselnden Gesang, Samisen- und Pantomimenspiel zur Unterhaltung
zu dienen, bald verlangt man die gleiche Leistung in einer Jôrôya
oder auch in einem Privathause. An den grossen Tempelfesten müssen
sie in vollem Schmucke als Festjungfern im Zuge aufmarschieren und
bei manchem Gastmahl eines höheren Beamten die Speisen servieren *).
Von meist niedriger Abkunft, wie die Freudenmädchen, und oft
verlassene Waisen, gleich diesen, gelangen sie in der Regel jung durch
Kauf in den Besitz gewinnsüchtiger Unternehmer, welche ihnen nach
japanischen Begriffen eine gute Erziehung geben lassen. Viele gelten
für schön und witzig. Im Pantomimenspiel entwickeln sie nicht selten
ein grosses schauspielerisches Talent, das auch den Fremden fesselt,
während zur Würdigung ihrer musikalischen Leistungen eben ein
orientalischer Geschmack gehört. Von ihrer Moral lässt sich nur
sagen, dass sie in der Regel jederzeit bereit sind, mit Zustimmung
ihres Herrn aus dem Verbande, in welchem sie stehen, auszutreten,
um sich durch Vertrag für einen Monat oder länger an einen Ein-
heimischen oder Fremden zu vermiethen.
*) Die Geishas spielen sonach eine ähnliche Rolle wie die Ghawâzi (sing.
Ghâzie) in Aegypten (siehe unter Anderen Kluntzinger).
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/534>, abgerufen am 22.11.2024.
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