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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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2. Die japanische Sprache und Literatur etc.

Armuth im Wortschatz einer Sprache wird mit Recht als ein
Zeichen der Ideenarmuth Seitens derer angesehen, welche sich ihrer
bedienen; noch mehr dürfte dies jedoch von dem Sprachbau gelten.
Agglutinierende Sprachen, wozu auch das Japanische gehört, gestatten
nicht den leichten freien Gedankenausdruck, wie z. B. das Deutsche
oder Griechische mit seiner ausgebildeten Flexion. Verglichen mit
europäischen Sprachen und ihrer Literatur ist die japanische arm.
Dies wird im modernen Verkehr von allen Japanern empfunden,
welche aus einer europäischen Cultursprache in das japanische über-
setzen wollen. Es fehlen oft die geeigneten Ausdrücke und sogar
die Begriffe, und es fragt sich, ob das Yamato -- vom chinesischen
Bestandtheile der japanischen Umgangssprache und seinen starren
Formen kann hier selbstverständlich keine Rede sein -- soweit bil-
dungs- und umwandlungsfähig ist, um den steigenden Anforderungen
der modernen Culturbestrebungen zu genügen.

Bisher kostete es einem jungen Japaner etwa sieben Jahre Arbeit,
um sich die chinesischen Wortzeichen einzuprägen und so geläufig zu
machen, dass er sie mit gleicher Leichtigkeit wie seine einfache
Silbenschrift anwenden konnte. Das Streben nach diesem Ziele, das
überdies nur von den Bevorzugteren erreicht wurde, war die Haupt-
aufgabe der Schule, so dass die eigentliche Geistesgymnastik dagegen
sehr zurücktreten musste. Das Auge jedoch und die Hand wurden
sehr geübt, jenes zu beobachten und Formen aufzufassen, diese, um
den Pinsel leicht und sicher zur Wiedergabe derselben zu führen.
Die hervorragenden Leistungen der Japaner in verschiedenen Zweigen
ihres Kunstgewerbes, namentlich was Geschmack und Decoration an-
langt, sind jedenfalls durch dieses Malen chinesischer Wortzeichen
mit dem Tuschpinsel wesentlich gefördert worden.

Vom ethnographischen Gesichtspunkte aus betrachtet, nimmt das
Yamato vorzugsweise unser Interesse in Anspruch. Kobo-Daishi,
einer der grössten Gelehrten -- er hatte 19 Jahre in China zuge-
bracht und kannte ausser dem Chinesischen auch das Sanskrit und
Pali -- und Förderer des Buddhismus zur Zeit des Shomu-Tenno
(pag. 254), führte im achten Jahrhundert das Kata-kana *), die
japanische Silbenschrift, ein, indem er 47 chinesische Ideogramme
auswählte, vereinfachte und als Zeichen für eben so viele Silben des
japanischen Idioms anwandte, wozu ein 48. Zeichen für das finale
und nasale n mancher sinico-japanischen Wörter kam; denn dieses

*) Der Name Kata-kana wird von kata, die Hälfte eines Paares, kari, ent-
lehnen und na, Namen, abgeleitet. Es sind Silben, welche Hälften chinesischer
Namen (Ideogrammen) entlehnt wurden; hira bedeutet flach, eben.
2. Die japanische Sprache und Literatur etc.

Armuth im Wortschatz einer Sprache wird mit Recht als ein
Zeichen der Ideenarmuth Seitens derer angesehen, welche sich ihrer
bedienen; noch mehr dürfte dies jedoch von dem Sprachbau gelten.
Agglutinierende Sprachen, wozu auch das Japanische gehört, gestatten
nicht den leichten freien Gedankenausdruck, wie z. B. das Deutsche
oder Griechische mit seiner ausgebildeten Flexion. Verglichen mit
europäischen Sprachen und ihrer Literatur ist die japanische arm.
Dies wird im modernen Verkehr von allen Japanern empfunden,
welche aus einer europäischen Cultursprache in das japanische über-
setzen wollen. Es fehlen oft die geeigneten Ausdrücke und sogar
die Begriffe, und es fragt sich, ob das Yamato — vom chinesischen
Bestandtheile der japanischen Umgangssprache und seinen starren
Formen kann hier selbstverständlich keine Rede sein — soweit bil-
dungs- und umwandlungsfähig ist, um den steigenden Anforderungen
der modernen Culturbestrebungen zu genügen.

Bisher kostete es einem jungen Japaner etwa sieben Jahre Arbeit,
um sich die chinesischen Wortzeichen einzuprägen und so geläufig zu
machen, dass er sie mit gleicher Leichtigkeit wie seine einfache
Silbenschrift anwenden konnte. Das Streben nach diesem Ziele, das
überdies nur von den Bevorzugteren erreicht wurde, war die Haupt-
aufgabe der Schule, so dass die eigentliche Geistesgymnastik dagegen
sehr zurücktreten musste. Das Auge jedoch und die Hand wurden
sehr geübt, jenes zu beobachten und Formen aufzufassen, diese, um
den Pinsel leicht und sicher zur Wiedergabe derselben zu führen.
Die hervorragenden Leistungen der Japaner in verschiedenen Zweigen
ihres Kunstgewerbes, namentlich was Geschmack und Decoration an-
langt, sind jedenfalls durch dieses Malen chinesischer Wortzeichen
mit dem Tuschpinsel wesentlich gefördert worden.

Vom ethnographischen Gesichtspunkte aus betrachtet, nimmt das
Yamato vorzugsweise unser Interesse in Anspruch. Kôbô-Daishi,
einer der grössten Gelehrten — er hatte 19 Jahre in China zuge-
bracht und kannte ausser dem Chinesischen auch das Sanskrit und
Pali — und Förderer des Buddhismus zur Zeit des Shomu-Tennô
(pag. 254), führte im achten Jahrhundert das Kata-kana *), die
japanische Silbenschrift, ein, indem er 47 chinesische Ideogramme
auswählte, vereinfachte und als Zeichen für eben so viele Silben des
japanischen Idioms anwandte, wozu ein 48. Zeichen für das finale
und nasale n mancher sinico-japanischen Wörter kam; denn dieses

*) Der Name Kata-kana wird von kata, die Hälfte eines Paares, kari, ent-
lehnen und na, Namen, abgeleitet. Es sind Silben, welche Hälften chinesischer
Namen (Ideogrammen) entlehnt wurden; hira bedeutet flach, eben.
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[461/0495] 2. Die japanische Sprache und Literatur etc. Armuth im Wortschatz einer Sprache wird mit Recht als ein Zeichen der Ideenarmuth Seitens derer angesehen, welche sich ihrer bedienen; noch mehr dürfte dies jedoch von dem Sprachbau gelten. Agglutinierende Sprachen, wozu auch das Japanische gehört, gestatten nicht den leichten freien Gedankenausdruck, wie z. B. das Deutsche oder Griechische mit seiner ausgebildeten Flexion. Verglichen mit europäischen Sprachen und ihrer Literatur ist die japanische arm. Dies wird im modernen Verkehr von allen Japanern empfunden, welche aus einer europäischen Cultursprache in das japanische über- setzen wollen. Es fehlen oft die geeigneten Ausdrücke und sogar die Begriffe, und es fragt sich, ob das Yamato — vom chinesischen Bestandtheile der japanischen Umgangssprache und seinen starren Formen kann hier selbstverständlich keine Rede sein — soweit bil- dungs- und umwandlungsfähig ist, um den steigenden Anforderungen der modernen Culturbestrebungen zu genügen. Bisher kostete es einem jungen Japaner etwa sieben Jahre Arbeit, um sich die chinesischen Wortzeichen einzuprägen und so geläufig zu machen, dass er sie mit gleicher Leichtigkeit wie seine einfache Silbenschrift anwenden konnte. Das Streben nach diesem Ziele, das überdies nur von den Bevorzugteren erreicht wurde, war die Haupt- aufgabe der Schule, so dass die eigentliche Geistesgymnastik dagegen sehr zurücktreten musste. Das Auge jedoch und die Hand wurden sehr geübt, jenes zu beobachten und Formen aufzufassen, diese, um den Pinsel leicht und sicher zur Wiedergabe derselben zu führen. Die hervorragenden Leistungen der Japaner in verschiedenen Zweigen ihres Kunstgewerbes, namentlich was Geschmack und Decoration an- langt, sind jedenfalls durch dieses Malen chinesischer Wortzeichen mit dem Tuschpinsel wesentlich gefördert worden. Vom ethnographischen Gesichtspunkte aus betrachtet, nimmt das Yamato vorzugsweise unser Interesse in Anspruch. Kôbô-Daishi, einer der grössten Gelehrten — er hatte 19 Jahre in China zuge- bracht und kannte ausser dem Chinesischen auch das Sanskrit und Pali — und Förderer des Buddhismus zur Zeit des Shomu-Tennô (pag. 254), führte im achten Jahrhundert das Kata-kana *), die japanische Silbenschrift, ein, indem er 47 chinesische Ideogramme auswählte, vereinfachte und als Zeichen für eben so viele Silben des japanischen Idioms anwandte, wozu ein 48. Zeichen für das finale und nasale n mancher sinico-japanischen Wörter kam; denn dieses *) Der Name Kata-kana wird von kata, die Hälfte eines Paares, kari, ent- lehnen und na, Namen, abgeleitet. Es sind Silben, welche Hälften chinesischer Namen (Ideogrammen) entlehnt wurden; hira bedeutet flach, eben.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/495>, abgerufen am 22.11.2024.