von ihren einfachen Geräthen, die vorzugsweise dem Fischfang und der Jagd dienen, denn um Feld- und Gemüsebau, auch da, wo Boden und Klima dafür noch günstig sind, hat sich dies Naturvölkchen bis jetzt noch wenig gekümmert. Das Beispiel der neben ihnen sich an- siedelnden Japaner hat sie hier und da nur zum Anbau von etwas Hirse und Bohnen vermocht.
Ihre einfache Kleidung besteht im wesentlichen aus einem groben Kittel mit weiten Aermeln, der vorn offen ist und durch eine Schnur um die Lenden zusammengehalten wird. Sie verzieren die Ränder häufig mit Streifen eines blauen Baumwollzeuges, das sie von den Japanern kaufen und auf dem sie auch Stickereien anbringen. Das dazu dienende braungelbe Gewebe bereiten die Ainos aus dem Bast einer glattrindigen Ulme (Ulmus montana?), welche von ihnen Ohiyo genannt wird.
Die geringen Bedürfnisse des Aino erkennen wir auch an seiner Wohnung. Es ist eine niedrige Hütte, getragen von Pfosten, welche um den geebneten freien Platz in den Boden eingerammt, mit einem Stangengerüst als Dach überdeckt und gleich diesem ringsum mit Röhricht bekleidet werden. Zwei verschliessbare Oeffnungen, die eine für eine kleine Thür, die andere zum Eintritt des Lichtes, vollenden das Aeussere. Der Boden im Innern besteht aus geebneter und ein- gestampfter Erde. Ringsum laufen an der Wand hin erhöhte, mit groben Matten bedeckte Bänke, welche als Schlafstätte dienen. Hitze, Rauch und Ungeziefer, sowie üble Gerüche machen im Sommer dem Fremden den Aufenthalt in solchen Wohnräumen unerträglich, wäh- rend dieselben gegen die kalten Winde des Winters kaum genügend schützen dürften. Sprache, Religionsanschauungen und Sitten der Ainos sind, die auffallendsten Erscheinungen ausgenommen, bis jetzt eben so wenig wie die ihrer nördlichen Verwandten, der Gilänen im nörd- lichen Sachalin, eingehend genug erforscht, um ein klares Gesammtbild zu gewähren. Während von der einen Seite jede höhere Religions- äusserung derselben bestritten wird, scheinen nach anderen Beob- achtern Sonne und Mond, sowie der Bär als Kamui göttliche Ver- ehrung zu geniessen. Der Bär spielt überhaupt im Leben der Ainos eine hervorragende Rolle. Wenn im Frühling ein junger Petz durch Hunde aufgespürt wird, bringt man ihn ins Dörfchen und lässt ihn hier von einer stillenden Ainofrau wie ein Kind mit Milch aufziehen. Ist der Zögling etwas grösser geworden, so erhält er Fische zur Nahrung und wächst so bis zum Herbst ansehnlich heran. Nun aber veranstaltet man ein Fest, bei welchem er auf eigenthümliche Weise und unter vielen Ceremonien getödtet und aufgezehrt wird. Besonders
II. Ethnographie.
von ihren einfachen Geräthen, die vorzugsweise dem Fischfang und der Jagd dienen, denn um Feld- und Gemüsebau, auch da, wo Boden und Klima dafür noch günstig sind, hat sich dies Naturvölkchen bis jetzt noch wenig gekümmert. Das Beispiel der neben ihnen sich an- siedelnden Japaner hat sie hier und da nur zum Anbau von etwas Hirse und Bohnen vermocht.
Ihre einfache Kleidung besteht im wesentlichen aus einem groben Kittel mit weiten Aermeln, der vorn offen ist und durch eine Schnur um die Lenden zusammengehalten wird. Sie verzieren die Ränder häufig mit Streifen eines blauen Baumwollzeuges, das sie von den Japanern kaufen und auf dem sie auch Stickereien anbringen. Das dazu dienende braungelbe Gewebe bereiten die Ainos aus dem Bast einer glattrindigen Ulme (Ulmus montana?), welche von ihnen Ohiyo genannt wird.
Die geringen Bedürfnisse des Aino erkennen wir auch an seiner Wohnung. Es ist eine niedrige Hütte, getragen von Pfosten, welche um den geebneten freien Platz in den Boden eingerammt, mit einem Stangengerüst als Dach überdeckt und gleich diesem ringsum mit Röhricht bekleidet werden. Zwei verschliessbare Oeffnungen, die eine für eine kleine Thür, die andere zum Eintritt des Lichtes, vollenden das Aeussere. Der Boden im Innern besteht aus geebneter und ein- gestampfter Erde. Ringsum laufen an der Wand hin erhöhte, mit groben Matten bedeckte Bänke, welche als Schlafstätte dienen. Hitze, Rauch und Ungeziefer, sowie üble Gerüche machen im Sommer dem Fremden den Aufenthalt in solchen Wohnräumen unerträglich, wäh- rend dieselben gegen die kalten Winde des Winters kaum genügend schützen dürften. Sprache, Religionsanschauungen und Sitten der Ainos sind, die auffallendsten Erscheinungen ausgenommen, bis jetzt eben so wenig wie die ihrer nördlichen Verwandten, der Gilänen im nörd- lichen Sachalin, eingehend genug erforscht, um ein klares Gesammtbild zu gewähren. Während von der einen Seite jede höhere Religions- äusserung derselben bestritten wird, scheinen nach anderen Beob- achtern Sonne und Mond, sowie der Bär als Kamui göttliche Ver- ehrung zu geniessen. Der Bär spielt überhaupt im Leben der Ainos eine hervorragende Rolle. Wenn im Frühling ein junger Petz durch Hunde aufgespürt wird, bringt man ihn ins Dörfchen und lässt ihn hier von einer stillenden Ainofrau wie ein Kind mit Milch aufziehen. Ist der Zögling etwas grösser geworden, so erhält er Fische zur Nahrung und wächst so bis zum Herbst ansehnlich heran. Nun aber veranstaltet man ein Fest, bei welchem er auf eigenthümliche Weise und unter vielen Ceremonien getödtet und aufgezehrt wird. Besonders
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II. Ethnographie.
von ihren einfachen Geräthen, die vorzugsweise dem Fischfang und
der Jagd dienen, denn um Feld- und Gemüsebau, auch da, wo Boden
und Klima dafür noch günstig sind, hat sich dies Naturvölkchen bis
jetzt noch wenig gekümmert. Das Beispiel der neben ihnen sich an-
siedelnden Japaner hat sie hier und da nur zum Anbau von etwas
Hirse und Bohnen vermocht.
Ihre einfache Kleidung besteht im wesentlichen aus einem groben
Kittel mit weiten Aermeln, der vorn offen ist und durch eine Schnur
um die Lenden zusammengehalten wird. Sie verzieren die Ränder
häufig mit Streifen eines blauen Baumwollzeuges, das sie von den
Japanern kaufen und auf dem sie auch Stickereien anbringen. Das
dazu dienende braungelbe Gewebe bereiten die Ainos aus dem Bast
einer glattrindigen Ulme (Ulmus montana?), welche von ihnen Ohiyo
genannt wird.
Die geringen Bedürfnisse des Aino erkennen wir auch an seiner
Wohnung. Es ist eine niedrige Hütte, getragen von Pfosten, welche
um den geebneten freien Platz in den Boden eingerammt, mit einem
Stangengerüst als Dach überdeckt und gleich diesem ringsum mit
Röhricht bekleidet werden. Zwei verschliessbare Oeffnungen, die eine
für eine kleine Thür, die andere zum Eintritt des Lichtes, vollenden
das Aeussere. Der Boden im Innern besteht aus geebneter und ein-
gestampfter Erde. Ringsum laufen an der Wand hin erhöhte, mit
groben Matten bedeckte Bänke, welche als Schlafstätte dienen. Hitze,
Rauch und Ungeziefer, sowie üble Gerüche machen im Sommer dem
Fremden den Aufenthalt in solchen Wohnräumen unerträglich, wäh-
rend dieselben gegen die kalten Winde des Winters kaum genügend
schützen dürften. Sprache, Religionsanschauungen und Sitten der Ainos
sind, die auffallendsten Erscheinungen ausgenommen, bis jetzt eben
so wenig wie die ihrer nördlichen Verwandten, der Gilänen im nörd-
lichen Sachalin, eingehend genug erforscht, um ein klares Gesammtbild
zu gewähren. Während von der einen Seite jede höhere Religions-
äusserung derselben bestritten wird, scheinen nach anderen Beob-
achtern Sonne und Mond, sowie der Bär als Kamui göttliche Ver-
ehrung zu geniessen. Der Bär spielt überhaupt im Leben der Ainos
eine hervorragende Rolle. Wenn im Frühling ein junger Petz durch
Hunde aufgespürt wird, bringt man ihn ins Dörfchen und lässt ihn
hier von einer stillenden Ainofrau wie ein Kind mit Milch aufziehen.
Ist der Zögling etwas grösser geworden, so erhält er Fische zur
Nahrung und wächst so bis zum Herbst ansehnlich heran. Nun aber
veranstaltet man ein Fest, bei welchem er auf eigenthümliche Weise
und unter vielen Ceremonien getödtet und aufgezehrt wird. Besonders
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/476>, abgerufen am 22.11.2024.
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