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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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II. Ethnographie. 1. Ainos und Japaner, Ursprung etc.
ihn leicht an dem flachen, etwas eckigen Gesichte mit den vorsprin-
genden Jochbeinen und etwas wulstigen Lippen, an der platten Nase
mit ihrer breiten, niedrigen Wurzel, den weiten Flügeln und der
flach abgerundeten Spitze, und wenn die Augen auch nicht schief
liegen, so sind sie nichtsdestoweniger Schlitzaugen und namentlich
durch die Falte am oberen Augenlide wohl charakterisiert. Die
scheinbar hohe Stirn ist flach und liegt schräg zurück.

Gegenüber den anderen mongolischen Völkern, insbesondere Ja-
panern und Chinesen, fallen die Ainos vor allem durch ihren starken
Haarwuchs auf. Der wallende Vollbart, sowie das üppige Haupthaar,
deren Wuchs bei den Männern weder durch Rasiermesser noch durch
Scheere gehemmt wird, verleiht dem Aussehen derselben männliche
Würde, welcher indess das sonstige Verhalten keineswegs entspricht.
Der auffallend starke Haarwuchs wurde zwar vielfach übertrieben
dargestellt, doch ist er bei älteren Männern auch auf Brust und
Rücken entschieden kräftiger als selbst bei Europäern. Aber nicht
blos durch die grössere Dicke und elliptische Gestalt des Querschnittes,
sondern auch durch seine schwarze Farbe und grosse Straffheit zeigt
sich das Ainohaar in Uebereinstimmung mit dem der übrigen Mon-
golen und hat selbst im Bart, in den Achselhöhlen und an anderen
Körpertheilen eben so wenig Neigung, sich zu kräuseln, wie bei den
Nachbarvölkern. Bei den Ainos bilden die Frauen keineswegs das
"schöne Geschlecht". Ihr Aussehen macht einen weniger angenehmen
Eindruck als das der Männer, namentlich auch desshalb, weil sie
das plumpe Gesicht mit dem kurzgehaltenen, struppigen Kopfhaar
noch durch eine blaue Tätowirung auf der Oberlippe, die in den Ab-
bildungen wie ein Schnurrbart erscheint, verunstalten (siehe die bei-
stehende Skizze einer Ainosfamilie, bei der der Mann lebhaft an einen
russischen Bauer erinnert).

Den mit Recht viel gepriesenen Reinlichkeitssinn des Japaners
suchen wir bei den Ainos vergebens, ja es wird sogar behauptet,
dass das Waschen und Baden des Körpers bei vielen derselben nie
vorkomme. Wie gross muss da erst die Vernachlässigung des Körpers
bei den im Norden von ihnen, das östliche Sibirien bewohnenden
Polarvölkern, ihren Stammverwandten, sein, wenn Rittich von den
Ainos sagt, dass sie sich des Vorzugs grösserer Reinlichkeit erfreuten!

Im Verkehr erscheinen die Ainos kindlich freundlich und gut-
müthig, zugleich furchtsam und unterwürfig, so dass es den vordrin-
genden Japanern leicht wurde, mit ihnen fertig zu werden.

An den alten patriarchalischen Gewohnheiten und Sitten halten
sie fest und trennen sich trotz glänzender Verlockungen höchst ungern

II. Ethnographie. 1. Ainos und Japaner, Ursprung etc.
ihn leicht an dem flachen, etwas eckigen Gesichte mit den vorsprin-
genden Jochbeinen und etwas wulstigen Lippen, an der platten Nase
mit ihrer breiten, niedrigen Wurzel, den weiten Flügeln und der
flach abgerundeten Spitze, und wenn die Augen auch nicht schief
liegen, so sind sie nichtsdestoweniger Schlitzaugen und namentlich
durch die Falte am oberen Augenlide wohl charakterisiert. Die
scheinbar hohe Stirn ist flach und liegt schräg zurück.

Gegenüber den anderen mongolischen Völkern, insbesondere Ja-
panern und Chinesen, fallen die Ainos vor allem durch ihren starken
Haarwuchs auf. Der wallende Vollbart, sowie das üppige Haupthaar,
deren Wuchs bei den Männern weder durch Rasiermesser noch durch
Scheere gehemmt wird, verleiht dem Aussehen derselben männliche
Würde, welcher indess das sonstige Verhalten keineswegs entspricht.
Der auffallend starke Haarwuchs wurde zwar vielfach übertrieben
dargestellt, doch ist er bei älteren Männern auch auf Brust und
Rücken entschieden kräftiger als selbst bei Europäern. Aber nicht
blos durch die grössere Dicke und elliptische Gestalt des Querschnittes,
sondern auch durch seine schwarze Farbe und grosse Straffheit zeigt
sich das Ainohaar in Uebereinstimmung mit dem der übrigen Mon-
golen und hat selbst im Bart, in den Achselhöhlen und an anderen
Körpertheilen eben so wenig Neigung, sich zu kräuseln, wie bei den
Nachbarvölkern. Bei den Ainos bilden die Frauen keineswegs das
»schöne Geschlecht«. Ihr Aussehen macht einen weniger angenehmen
Eindruck als das der Männer, namentlich auch desshalb, weil sie
das plumpe Gesicht mit dem kurzgehaltenen, struppigen Kopfhaar
noch durch eine blaue Tätowirung auf der Oberlippe, die in den Ab-
bildungen wie ein Schnurrbart erscheint, verunstalten (siehe die bei-
stehende Skizze einer Ainosfamilie, bei der der Mann lebhaft an einen
russischen Bauer erinnert).

Den mit Recht viel gepriesenen Reinlichkeitssinn des Japaners
suchen wir bei den Ainos vergebens, ja es wird sogar behauptet,
dass das Waschen und Baden des Körpers bei vielen derselben nie
vorkomme. Wie gross muss da erst die Vernachlässigung des Körpers
bei den im Norden von ihnen, das östliche Sibirien bewohnenden
Polarvölkern, ihren Stammverwandten, sein, wenn Rittich von den
Ainos sagt, dass sie sich des Vorzugs grösserer Reinlichkeit erfreuten!

Im Verkehr erscheinen die Ainos kindlich freundlich und gut-
müthig, zugleich furchtsam und unterwürfig, so dass es den vordrin-
genden Japanern leicht wurde, mit ihnen fertig zu werden.

An den alten patriarchalischen Gewohnheiten und Sitten halten
sie fest und trennen sich trotz glänzender Verlockungen höchst ungern

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[445/0475] II. Ethnographie. 1. Ainos und Japaner, Ursprung etc. ihn leicht an dem flachen, etwas eckigen Gesichte mit den vorsprin- genden Jochbeinen und etwas wulstigen Lippen, an der platten Nase mit ihrer breiten, niedrigen Wurzel, den weiten Flügeln und der flach abgerundeten Spitze, und wenn die Augen auch nicht schief liegen, so sind sie nichtsdestoweniger Schlitzaugen und namentlich durch die Falte am oberen Augenlide wohl charakterisiert. Die scheinbar hohe Stirn ist flach und liegt schräg zurück. Gegenüber den anderen mongolischen Völkern, insbesondere Ja- panern und Chinesen, fallen die Ainos vor allem durch ihren starken Haarwuchs auf. Der wallende Vollbart, sowie das üppige Haupthaar, deren Wuchs bei den Männern weder durch Rasiermesser noch durch Scheere gehemmt wird, verleiht dem Aussehen derselben männliche Würde, welcher indess das sonstige Verhalten keineswegs entspricht. Der auffallend starke Haarwuchs wurde zwar vielfach übertrieben dargestellt, doch ist er bei älteren Männern auch auf Brust und Rücken entschieden kräftiger als selbst bei Europäern. Aber nicht blos durch die grössere Dicke und elliptische Gestalt des Querschnittes, sondern auch durch seine schwarze Farbe und grosse Straffheit zeigt sich das Ainohaar in Uebereinstimmung mit dem der übrigen Mon- golen und hat selbst im Bart, in den Achselhöhlen und an anderen Körpertheilen eben so wenig Neigung, sich zu kräuseln, wie bei den Nachbarvölkern. Bei den Ainos bilden die Frauen keineswegs das »schöne Geschlecht«. Ihr Aussehen macht einen weniger angenehmen Eindruck als das der Männer, namentlich auch desshalb, weil sie das plumpe Gesicht mit dem kurzgehaltenen, struppigen Kopfhaar noch durch eine blaue Tätowirung auf der Oberlippe, die in den Ab- bildungen wie ein Schnurrbart erscheint, verunstalten (siehe die bei- stehende Skizze einer Ainosfamilie, bei der der Mann lebhaft an einen russischen Bauer erinnert). Den mit Recht viel gepriesenen Reinlichkeitssinn des Japaners suchen wir bei den Ainos vergebens, ja es wird sogar behauptet, dass das Waschen und Baden des Körpers bei vielen derselben nie vorkomme. Wie gross muss da erst die Vernachlässigung des Körpers bei den im Norden von ihnen, das östliche Sibirien bewohnenden Polarvölkern, ihren Stammverwandten, sein, wenn Rittich von den Ainos sagt, dass sie sich des Vorzugs grösserer Reinlichkeit erfreuten! Im Verkehr erscheinen die Ainos kindlich freundlich und gut- müthig, zugleich furchtsam und unterwürfig, so dass es den vordrin- genden Japanern leicht wurde, mit ihnen fertig zu werden. An den alten patriarchalischen Gewohnheiten und Sitten halten sie fest und trennen sich trotz glänzender Verlockungen höchst ungern

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/475>, abgerufen am 30.05.2024.