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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc.
Jene sind wie die Blättchen des Klees zusammengestellt und mit ihren
Mittelnerven durch einen Ring verbunden. Von den drei Blüthen-
sträussen, welche sich symmetrisch darüber erheben, trägt der mittlere
vom Ring ausgehende 7 Blüthen, während die beiden seitlichen deren
nur je fünf aufweisen.

Die Dynastie des Mikado ist die älteste auf Erden, auch wenn
man sie nur auf Jimmu-Tenno zurückdatiert. Bei dem Prestige, wel-
ches dieselbe zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag beim japani-
schen Volke hatte, und bei der sehr liberalen Einrichtung, die Familie
zu erhalten, hat diese Thatsache nichts Auffallendes. Der Mikado hat
eine ebenbürtige Frau, Kogo genannt, welche, wie bereits pag. 258
hervorgehoben wurde, den fünf ersten Kugefamilien (Gosekke) ange-
hören muss. Ausser ihr besitzt er aber noch das Recht auf zwölf
Nebenfrauen, welche den unteren Kugefamilien entnommen werden.
Wenn ihm nun die Kogo keinen Nachfolger bescheert, so tritt ein
Kind von einer der Concubinen ins Erbrecht, und wenn er überhaupt
kinderlos ist, so geht die Erbfolge an eine der Shinno (Prinzenfamilien
des Kaiserhauses), Fushimi oder Arisugawa über. Ueberdies liess
sich im ungünstigsten Falle durch Adoption noch Rath schaffen.

Die Kuge oder der Hofadel, im Ganzen 155 Familien, folgten
im Range dem Kaiserhause und standen viel höher als der Feudal-
adel, den Shogun nicht ausgenommen. Alle leiten sich von früheren
Mikado ab. Sie blickten mit Stolz auf ihre Ahnen, selbst wenn sie,
wie es unter dem Shogunat viel der Fall war, in grösster Armuth
lebten. Ihre Wohnungen umgaben das Kaiserschloss in Kioto. Als
Inhaber von meist erblichen Hofämtern waren die meisten ungenügend
beschäftigt und bezahlt. Viele gaben sich daneben mit dem Studium
der chinesischen Literatur ab, einzelne auch mit der Kunst. Sich
bei ihren Reisen von Ochsen ziehen zu lassen, war ein Vorrecht, das
sie mit der kaiserlichen Familie theilten, meist aber aus Mangel an
Mitteln nicht gebrauchten. In älterer Zeit war es die einflussreichste,
regierende Classe, als aber unter den Taira und Minamoto der Feu-
dalismus sich entwickelte, sank ihre Bedeutung im Staate; auch ver-
loren sie damit ihren Grundbesitz. Man unterschied zwei Classen,
von denen die erstere, wozu die Geschlechter der Fujiwara, Suga-
wara, Tachibana und Nakatomi gehörten, ihren Stammbaum fast eben
so weit als das Kaiserhaus zurückdatierte, während die niedrigeren
Kuge, wie solche der Taira, Minamoto, Kiowara und mehrerer an-
deren Familien sich vom Mikado-Hause in der christlichen Zeit ab-
zweigten. Die Bedeutung des grossen Fujiwara-Geschlechtes wurde
bereits früher hervorgehoben; von den anderen sehr alten Kugefamilien

6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Jene sind wie die Blättchen des Klees zusammengestellt und mit ihren
Mittelnerven durch einen Ring verbunden. Von den drei Blüthen-
sträussen, welche sich symmetrisch darüber erheben, trägt der mittlere
vom Ring ausgehende 7 Blüthen, während die beiden seitlichen deren
nur je fünf aufweisen.

Die Dynastie des Mikado ist die älteste auf Erden, auch wenn
man sie nur auf Jimmu-Tennô zurückdatiert. Bei dem Prestige, wel-
ches dieselbe zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag beim japani-
schen Volke hatte, und bei der sehr liberalen Einrichtung, die Familie
zu erhalten, hat diese Thatsache nichts Auffallendes. Der Mikado hat
eine ebenbürtige Frau, Kôgô genannt, welche, wie bereits pag. 258
hervorgehoben wurde, den fünf ersten Kugefamilien (Gosekke) ange-
hören muss. Ausser ihr besitzt er aber noch das Recht auf zwölf
Nebenfrauen, welche den unteren Kugefamilien entnommen werden.
Wenn ihm nun die Kôgô keinen Nachfolger bescheert, so tritt ein
Kind von einer der Concubinen ins Erbrecht, und wenn er überhaupt
kinderlos ist, so geht die Erbfolge an eine der Shinnô (Prinzenfamilien
des Kaiserhauses), Fushimi oder Arisugawa über. Ueberdies liess
sich im ungünstigsten Falle durch Adoption noch Rath schaffen.

Die Kuge oder der Hofadel, im Ganzen 155 Familien, folgten
im Range dem Kaiserhause und standen viel höher als der Feudal-
adel, den Shôgun nicht ausgenommen. Alle leiten sich von früheren
Mikado ab. Sie blickten mit Stolz auf ihre Ahnen, selbst wenn sie,
wie es unter dem Shôgunat viel der Fall war, in grösster Armuth
lebten. Ihre Wohnungen umgaben das Kaiserschloss in Kiôto. Als
Inhaber von meist erblichen Hofämtern waren die meisten ungenügend
beschäftigt und bezahlt. Viele gaben sich daneben mit dem Studium
der chinesischen Literatur ab, einzelne auch mit der Kunst. Sich
bei ihren Reisen von Ochsen ziehen zu lassen, war ein Vorrecht, das
sie mit der kaiserlichen Familie theilten, meist aber aus Mangel an
Mitteln nicht gebrauchten. In älterer Zeit war es die einflussreichste,
regierende Classe, als aber unter den Taira und Minamoto der Feu-
dalismus sich entwickelte, sank ihre Bedeutung im Staate; auch ver-
loren sie damit ihren Grundbesitz. Man unterschied zwei Classen,
von denen die erstere, wozu die Geschlechter der Fujiwara, Suga-
wara, Tachibana und Nakatomi gehörten, ihren Stammbaum fast eben
so weit als das Kaiserhaus zurückdatierte, während die niedrigeren
Kuge, wie solche der Taira, Minamoto, Kiowara und mehrerer an-
deren Familien sich vom Mikado-Hause in der christlichen Zeit ab-
zweigten. Die Bedeutung des grossen Fujiwara-Geschlechtes wurde
bereits früher hervorgehoben; von den anderen sehr alten Kugefamilien

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[367/0393] 6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc. Jene sind wie die Blättchen des Klees zusammengestellt und mit ihren Mittelnerven durch einen Ring verbunden. Von den drei Blüthen- sträussen, welche sich symmetrisch darüber erheben, trägt der mittlere vom Ring ausgehende 7 Blüthen, während die beiden seitlichen deren nur je fünf aufweisen. Die Dynastie des Mikado ist die älteste auf Erden, auch wenn man sie nur auf Jimmu-Tennô zurückdatiert. Bei dem Prestige, wel- ches dieselbe zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag beim japani- schen Volke hatte, und bei der sehr liberalen Einrichtung, die Familie zu erhalten, hat diese Thatsache nichts Auffallendes. Der Mikado hat eine ebenbürtige Frau, Kôgô genannt, welche, wie bereits pag. 258 hervorgehoben wurde, den fünf ersten Kugefamilien (Gosekke) ange- hören muss. Ausser ihr besitzt er aber noch das Recht auf zwölf Nebenfrauen, welche den unteren Kugefamilien entnommen werden. Wenn ihm nun die Kôgô keinen Nachfolger bescheert, so tritt ein Kind von einer der Concubinen ins Erbrecht, und wenn er überhaupt kinderlos ist, so geht die Erbfolge an eine der Shinnô (Prinzenfamilien des Kaiserhauses), Fushimi oder Arisugawa über. Ueberdies liess sich im ungünstigsten Falle durch Adoption noch Rath schaffen. Die Kuge oder der Hofadel, im Ganzen 155 Familien, folgten im Range dem Kaiserhause und standen viel höher als der Feudal- adel, den Shôgun nicht ausgenommen. Alle leiten sich von früheren Mikado ab. Sie blickten mit Stolz auf ihre Ahnen, selbst wenn sie, wie es unter dem Shôgunat viel der Fall war, in grösster Armuth lebten. Ihre Wohnungen umgaben das Kaiserschloss in Kiôto. Als Inhaber von meist erblichen Hofämtern waren die meisten ungenügend beschäftigt und bezahlt. Viele gaben sich daneben mit dem Studium der chinesischen Literatur ab, einzelne auch mit der Kunst. Sich bei ihren Reisen von Ochsen ziehen zu lassen, war ein Vorrecht, das sie mit der kaiserlichen Familie theilten, meist aber aus Mangel an Mitteln nicht gebrauchten. In älterer Zeit war es die einflussreichste, regierende Classe, als aber unter den Taira und Minamoto der Feu- dalismus sich entwickelte, sank ihre Bedeutung im Staate; auch ver- loren sie damit ihren Grundbesitz. Man unterschied zwei Classen, von denen die erstere, wozu die Geschlechter der Fujiwara, Suga- wara, Tachibana und Nakatomi gehörten, ihren Stammbaum fast eben so weit als das Kaiserhaus zurückdatierte, während die niedrigeren Kuge, wie solche der Taira, Minamoto, Kiowara und mehrerer an- deren Familien sich vom Mikado-Hause in der christlichen Zeit ab- zweigten. Die Bedeutung des grossen Fujiwara-Geschlechtes wurde bereits früher hervorgehoben; von den anderen sehr alten Kugefamilien

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/393>, abgerufen am 22.11.2024.