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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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6. Periode. Das Shogunat der Tokugawa etc.
Reverenz und Loyalität nahm er seinem Herrn, was ihm seine Vor-
gänger in der Gewalt als Macht und Einfluss noch gelassen hatten,
und drückte dieselben zu einem blosen Schatten herunter. Das Argu-
ment, dessen sich Iyeyasu dabei bediente, ist, dass es sich für den
Göttersohn, der gewissermassen als vermittelndes Glied zwischen
seinen staubgeborenen Unterthanen und himmlischen Vorfahren er-
scheint, nicht zieme, unter dem Volke einherzugehen und um dessen
weltliche Angelegenheiten sich zu kümmern. Diese niedrige Sorge
hat derselbe darum ganz ihm, dem Shogun und Herrn des Kuwanto
und dessen Nachfolgern, anvertraut, die ihm für Alles verantwortlich
sind. Aber dieser verantwortliche Diener, der Shogun, schreibt seinem
Herrn, aus dessen Händen er formell Titel und Lehen empfängt, die
er thatsächlich mit dem Schwerte errang, Gesetze vor. Der Mikado
darf hinfort nicht mehr nach Ise wallfahren, um auf dem Wege die
Leiden des Volkes kennen zu lernen, denn das ist jetzt Sache der
Buke (des Kriegsadels), noch soll er überhaupt seinen Palast ver-
lassen, ausser, wenn er einmal seinem abgedankten Vorgänger einen
Besuch abstatten will, dessen Residenz Senkokiu nicht weit von der
seinigen lag. In dieser "esclavage dore du Gosho", wie Bousquet
mit Recht dieses Verhältniss nennt, lebten die angestammten Herren
des Landes in den unlöslichen Banden einer strengen Etiquette als
zurückgezogene und unsichtbare Idole des japanischen Volkes *). Es
muss hier nochmals betont werden, dass Iyeyasu dies Verhältniss
nicht schuf, sondern es im wesentlichen so vorfand und nur aus-
beutete und verschlimmerte. Es hatte sich allmählich herausgebildet,
theils nach chinesischem Muster, vor allem aber in Folge des ent-
nervenden Lebens am Hofe. Selbst die Einkünfte bestimmt der Diener
seinem hohen Herrn, indem er sie zu 10 000 Koku (etwa 60 000 Thaler)
normiert. Am Schlusse der 18 Paragraphen, in welchen er sich mit
demselben auseinandersetzt, denkt er ernstlich oder zum Schein noch-
mals daran, dass er doch eigentlich nur Diener ist, indem er sagt:
"Dass ich in diesen achtzehn Bestimmungen meinem Herrn Gesetze
vorgeschrieben, erfüllt mich mit Furcht; aber ich habe sie abgefasst,
weil mir der kaiserliche Befehl zu Theil geworden, dass hinfort nur
die Buke die Regierung führen und für den Frieden des Reiches

*) Ausser seinen Frauen und höchsten Ministern sah nie ein Unterthan des
Mikado Gesicht. Wenn er, was selten genug und nur Bevorzugten gegenüber
vorkam, Audienz gab, sass er auf einem Thron von Matten hinter einem Vor-
hange. Nie durften seine Füsse die Erde berühren. Wenn er sich durch die
Strassen der Stadt begab, geschah es auf einem plumpen, reich verzierten Wagen,
den Ochsen zogen, und in einem darauf befindlichen allseits geschlossenen Sitze.

6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
Reverenz und Loyalität nahm er seinem Herrn, was ihm seine Vor-
gänger in der Gewalt als Macht und Einfluss noch gelassen hatten,
und drückte dieselben zu einem blosen Schatten herunter. Das Argu-
ment, dessen sich Iyeyasu dabei bediente, ist, dass es sich für den
Göttersohn, der gewissermassen als vermittelndes Glied zwischen
seinen staubgeborenen Unterthanen und himmlischen Vorfahren er-
scheint, nicht zieme, unter dem Volke einherzugehen und um dessen
weltliche Angelegenheiten sich zu kümmern. Diese niedrige Sorge
hat derselbe darum ganz ihm, dem Shôgun und Herrn des Kuwantô
und dessen Nachfolgern, anvertraut, die ihm für Alles verantwortlich
sind. Aber dieser verantwortliche Diener, der Shôgun, schreibt seinem
Herrn, aus dessen Händen er formell Titel und Lehen empfängt, die
er thatsächlich mit dem Schwerte errang, Gesetze vor. Der Mikado
darf hinfort nicht mehr nach Ise wallfahren, um auf dem Wege die
Leiden des Volkes kennen zu lernen, denn das ist jetzt Sache der
Buke (des Kriegsadels), noch soll er überhaupt seinen Palast ver-
lassen, ausser, wenn er einmal seinem abgedankten Vorgänger einen
Besuch abstatten will, dessen Residenz Senkokiu nicht weit von der
seinigen lag. In dieser »esclavage doré du Gosho«, wie Bousquet
mit Recht dieses Verhältniss nennt, lebten die angestammten Herren
des Landes in den unlöslichen Banden einer strengen Etiquette als
zurückgezogene und unsichtbare Idole des japanischen Volkes *). Es
muss hier nochmals betont werden, dass Iyeyasu dies Verhältniss
nicht schuf, sondern es im wesentlichen so vorfand und nur aus-
beutete und verschlimmerte. Es hatte sich allmählich herausgebildet,
theils nach chinesischem Muster, vor allem aber in Folge des ent-
nervenden Lebens am Hofe. Selbst die Einkünfte bestimmt der Diener
seinem hohen Herrn, indem er sie zu 10 000 Koku (etwa 60 000 Thaler)
normiert. Am Schlusse der 18 Paragraphen, in welchen er sich mit
demselben auseinandersetzt, denkt er ernstlich oder zum Schein noch-
mals daran, dass er doch eigentlich nur Diener ist, indem er sagt:
»Dass ich in diesen achtzehn Bestimmungen meinem Herrn Gesetze
vorgeschrieben, erfüllt mich mit Furcht; aber ich habe sie abgefasst,
weil mir der kaiserliche Befehl zu Theil geworden, dass hinfort nur
die Buke die Regierung führen und für den Frieden des Reiches

*) Ausser seinen Frauen und höchsten Ministern sah nie ein Unterthan des
Mikado Gesicht. Wenn er, was selten genug und nur Bevorzugten gegenüber
vorkam, Audienz gab, sass er auf einem Thron von Matten hinter einem Vor-
hange. Nie durften seine Füsse die Erde berühren. Wenn er sich durch die
Strassen der Stadt begab, geschah es auf einem plumpen, reich verzierten Wagen,
den Ochsen zogen, und in einem darauf befindlichen allseits geschlossenen Sitze.
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[365/0391] 6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc. Reverenz und Loyalität nahm er seinem Herrn, was ihm seine Vor- gänger in der Gewalt als Macht und Einfluss noch gelassen hatten, und drückte dieselben zu einem blosen Schatten herunter. Das Argu- ment, dessen sich Iyeyasu dabei bediente, ist, dass es sich für den Göttersohn, der gewissermassen als vermittelndes Glied zwischen seinen staubgeborenen Unterthanen und himmlischen Vorfahren er- scheint, nicht zieme, unter dem Volke einherzugehen und um dessen weltliche Angelegenheiten sich zu kümmern. Diese niedrige Sorge hat derselbe darum ganz ihm, dem Shôgun und Herrn des Kuwantô und dessen Nachfolgern, anvertraut, die ihm für Alles verantwortlich sind. Aber dieser verantwortliche Diener, der Shôgun, schreibt seinem Herrn, aus dessen Händen er formell Titel und Lehen empfängt, die er thatsächlich mit dem Schwerte errang, Gesetze vor. Der Mikado darf hinfort nicht mehr nach Ise wallfahren, um auf dem Wege die Leiden des Volkes kennen zu lernen, denn das ist jetzt Sache der Buke (des Kriegsadels), noch soll er überhaupt seinen Palast ver- lassen, ausser, wenn er einmal seinem abgedankten Vorgänger einen Besuch abstatten will, dessen Residenz Senkokiu nicht weit von der seinigen lag. In dieser »esclavage doré du Gosho«, wie Bousquet mit Recht dieses Verhältniss nennt, lebten die angestammten Herren des Landes in den unlöslichen Banden einer strengen Etiquette als zurückgezogene und unsichtbare Idole des japanischen Volkes *). Es muss hier nochmals betont werden, dass Iyeyasu dies Verhältniss nicht schuf, sondern es im wesentlichen so vorfand und nur aus- beutete und verschlimmerte. Es hatte sich allmählich herausgebildet, theils nach chinesischem Muster, vor allem aber in Folge des ent- nervenden Lebens am Hofe. Selbst die Einkünfte bestimmt der Diener seinem hohen Herrn, indem er sie zu 10 000 Koku (etwa 60 000 Thaler) normiert. Am Schlusse der 18 Paragraphen, in welchen er sich mit demselben auseinandersetzt, denkt er ernstlich oder zum Schein noch- mals daran, dass er doch eigentlich nur Diener ist, indem er sagt: »Dass ich in diesen achtzehn Bestimmungen meinem Herrn Gesetze vorgeschrieben, erfüllt mich mit Furcht; aber ich habe sie abgefasst, weil mir der kaiserliche Befehl zu Theil geworden, dass hinfort nur die Buke die Regierung führen und für den Frieden des Reiches *) Ausser seinen Frauen und höchsten Ministern sah nie ein Unterthan des Mikado Gesicht. Wenn er, was selten genug und nur Bevorzugten gegenüber vorkam, Audienz gab, sass er auf einem Thron von Matten hinter einem Vor- hange. Nie durften seine Füsse die Erde berühren. Wenn er sich durch die Strassen der Stadt begab, geschah es auf einem plumpen, reich verzierten Wagen, den Ochsen zogen, und in einem darauf befindlichen allseits geschlossenen Sitze.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/391>, abgerufen am 22.11.2024.