folgern die Mittel an die Hand gab, mit denen sie das Wiederauf- blühen der zerrütteten Macht der Vasallen im Keime ersticken konnten. Der andere Theil enthält die sogenannten 100 Gesetze, die aber eigentlich keine Landesgesetze waren, sondern nur seinen Nachfolgern als Richtschnur für die Regierung dienen sollten" (Kempermann). Publiciert wurden diese Gesetze nicht, ja es war ihres Urhebers aus- drücklicher Wunsch, dass sie ausser seinen Nachkommen und dem Staatsrathe Niemand gezeigt werden sollten. Es waren eben vor- nehmlich für jene bestimmte Verhaltungsregeln, die sie sich wohl zu Herzen nehmen sollten, dann würden sie selten vom Rechten weit abweichen.
Wir können uns heutiges Tages bei unseren Begriffen von Recht und Gesetz kaum ein Volk vorstellen, das nach Satzungen sich ver- halten und gerichtet werden soll, die ihm absichtlich fremd bleiben. Analogieen finden sich jedoch auch bei den Gesetzgebungen für arische Völker, z. B. eines Solon und Lykurg; denn die Kenntniss und Hand- habung der Gesetze fiel auch in Hellas und Sparta der bevorzugten aristokratischen Classe zu. Die Sitte war eben der Leitstern des Verhaltens bei den Japanern, ja sie ist es auch bei uns und allen Völkern, weit mehr als das geschriebene Wort.
Die hundert Kapitel (Gesetze) des Werkes von Iyeyasu sind ohne logische Ordnung. Nur 22 sind wirkliche Gesetzesparagraphen, 55 weitere beziehen sich auf Politik und Verwaltung, 16 bestehen aus moralischen Grundsätzen und Betrachtungen, und in den übrigen er- zählt der Verfasser Episoden aus seinem Leben. Folgen wir nun weiter der Analyse, welche Grigsby gibt, so gleicht dieses Testa- ment des Gongen-sama anderen alten Codices in mehreren Stücken, vor allem aber darin, dass Iyeyasu keine strenge Grenze zwischen Gesetz und Moral, zwischen der Pflicht des Bürgers und der Tugend des Familiengliedes zieht. Tugendhaft ist, wer die Gesetze befolgt, ganz nach der Auffassung des Confucius und seiner Schüler. Das substantive Gesetz fehlt ganz. Da das Leben im einzelnen Clane sich nach Sitte und nicht nach Uebereinkunft richtete und es zwischen benachbarten Fürstenthümern nur wenig Verkehr gab, so finden Contractgesetze, Gesetze über persönliches Eigenthum, Handel und Schifffahrt keinen Raum in diesem Codex. Dagegen legt Iyeyasu viel Gewicht auf die Criminalgesetze, einschliesslich der Belei- digungen und Strafen für jede besondere Art, auf das rechtliche Ver- hältniss der einzelnen Gesellschaftsclassen, Etiquette, Rang, Präcedenz, Administration und Regierung. Er trifft ferner genaue Bestimmungen über die Ausübung der Privatrache und persönlichen Satisfaction für
6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
folgern die Mittel an die Hand gab, mit denen sie das Wiederauf- blühen der zerrütteten Macht der Vasallen im Keime ersticken konnten. Der andere Theil enthält die sogenannten 100 Gesetze, die aber eigentlich keine Landesgesetze waren, sondern nur seinen Nachfolgern als Richtschnur für die Regierung dienen sollten« (Kempermann). Publiciert wurden diese Gesetze nicht, ja es war ihres Urhebers aus- drücklicher Wunsch, dass sie ausser seinen Nachkommen und dem Staatsrathe Niemand gezeigt werden sollten. Es waren eben vor- nehmlich für jene bestimmte Verhaltungsregeln, die sie sich wohl zu Herzen nehmen sollten, dann würden sie selten vom Rechten weit abweichen.
Wir können uns heutiges Tages bei unseren Begriffen von Recht und Gesetz kaum ein Volk vorstellen, das nach Satzungen sich ver- halten und gerichtet werden soll, die ihm absichtlich fremd bleiben. Analogieen finden sich jedoch auch bei den Gesetzgebungen für arische Völker, z. B. eines Solon und Lykurg; denn die Kenntniss und Hand- habung der Gesetze fiel auch in Hellas und Sparta der bevorzugten aristokratischen Classe zu. Die Sitte war eben der Leitstern des Verhaltens bei den Japanern, ja sie ist es auch bei uns und allen Völkern, weit mehr als das geschriebene Wort.
Die hundert Kapitel (Gesetze) des Werkes von Iyeyasu sind ohne logische Ordnung. Nur 22 sind wirkliche Gesetzesparagraphen, 55 weitere beziehen sich auf Politik und Verwaltung, 16 bestehen aus moralischen Grundsätzen und Betrachtungen, und in den übrigen er- zählt der Verfasser Episoden aus seinem Leben. Folgen wir nun weiter der Analyse, welche Grigsby gibt, so gleicht dieses Testa- ment des Gongen-sama anderen alten Codices in mehreren Stücken, vor allem aber darin, dass Iyeyasu keine strenge Grenze zwischen Gesetz und Moral, zwischen der Pflicht des Bürgers und der Tugend des Familiengliedes zieht. Tugendhaft ist, wer die Gesetze befolgt, ganz nach der Auffassung des Confucius und seiner Schüler. Das substantive Gesetz fehlt ganz. Da das Leben im einzelnen Clane sich nach Sitte und nicht nach Uebereinkunft richtete und es zwischen benachbarten Fürstenthümern nur wenig Verkehr gab, so finden Contractgesetze, Gesetze über persönliches Eigenthum, Handel und Schifffahrt keinen Raum in diesem Codex. Dagegen legt Iyeyasu viel Gewicht auf die Criminalgesetze, einschliesslich der Belei- digungen und Strafen für jede besondere Art, auf das rechtliche Ver- hältniss der einzelnen Gesellschaftsclassen, Etiquette, Rang, Präcedenz, Administration und Regierung. Er trifft ferner genaue Bestimmungen über die Ausübung der Privatrache und persönlichen Satisfaction für
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6. Periode. Das Shôgunat der Tokugawa etc.
folgern die Mittel an die Hand gab, mit denen sie das Wiederauf-
blühen der zerrütteten Macht der Vasallen im Keime ersticken konnten.
Der andere Theil enthält die sogenannten 100 Gesetze, die aber
eigentlich keine Landesgesetze waren, sondern nur seinen Nachfolgern
als Richtschnur für die Regierung dienen sollten« (Kempermann).
Publiciert wurden diese Gesetze nicht, ja es war ihres Urhebers aus-
drücklicher Wunsch, dass sie ausser seinen Nachkommen und dem
Staatsrathe Niemand gezeigt werden sollten. Es waren eben vor-
nehmlich für jene bestimmte Verhaltungsregeln, die sie sich wohl zu
Herzen nehmen sollten, dann würden sie selten vom Rechten weit
abweichen.
Wir können uns heutiges Tages bei unseren Begriffen von Recht
und Gesetz kaum ein Volk vorstellen, das nach Satzungen sich ver-
halten und gerichtet werden soll, die ihm absichtlich fremd bleiben.
Analogieen finden sich jedoch auch bei den Gesetzgebungen für arische
Völker, z. B. eines Solon und Lykurg; denn die Kenntniss und Hand-
habung der Gesetze fiel auch in Hellas und Sparta der bevorzugten
aristokratischen Classe zu. Die Sitte war eben der Leitstern des
Verhaltens bei den Japanern, ja sie ist es auch bei uns und allen
Völkern, weit mehr als das geschriebene Wort.
Die hundert Kapitel (Gesetze) des Werkes von Iyeyasu sind ohne
logische Ordnung. Nur 22 sind wirkliche Gesetzesparagraphen, 55
weitere beziehen sich auf Politik und Verwaltung, 16 bestehen aus
moralischen Grundsätzen und Betrachtungen, und in den übrigen er-
zählt der Verfasser Episoden aus seinem Leben. Folgen wir nun
weiter der Analyse, welche Grigsby gibt, so gleicht dieses Testa-
ment des Gongen-sama anderen alten Codices in mehreren Stücken,
vor allem aber darin, dass Iyeyasu keine strenge Grenze zwischen
Gesetz und Moral, zwischen der Pflicht des Bürgers und der Tugend
des Familiengliedes zieht. Tugendhaft ist, wer die Gesetze befolgt,
ganz nach der Auffassung des Confucius und seiner Schüler. Das
substantive Gesetz fehlt ganz. Da das Leben im einzelnen Clane
sich nach Sitte und nicht nach Uebereinkunft richtete und es zwischen
benachbarten Fürstenthümern nur wenig Verkehr gab, so finden
Contractgesetze, Gesetze über persönliches Eigenthum, Handel und
Schifffahrt keinen Raum in diesem Codex. Dagegen legt Iyeyasu
viel Gewicht auf die Criminalgesetze, einschliesslich der Belei-
digungen und Strafen für jede besondere Art, auf das rechtliche Ver-
hältniss der einzelnen Gesellschaftsclassen, Etiquette, Rang, Präcedenz,
Administration und Regierung. Er trifft ferner genaue Bestimmungen
über die Ausübung der Privatrache und persönlichen Satisfaction für
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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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