Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

scharf gezeichneten Physiognomie zu seyn. Starr
sah er vor sich hin in den Fluss, seinen Kopf auf
den rechten Arm gestützt. Es schien als beob-
achtete er seinen Schatten, den der glatte Spiegel
des Stroms im Wiederschein der Sonne zurück-
warf. Sie scheinen in tiefes Nachdenken ver-
senkt! so redete ein Vorübergehender ihn an. Ich
weiss nicht, sagte er, mit langsam abgemessenem
Tone, den Zeigefinger an die Nase haltend, bin
ich das in dem Strome dort, oder das
,
indem er auf sich deutete, was hier in den
Strom sieht
? Was Sie dort sehn, antwortete
ihm der Vorübergehende, scheinen Sie zu seyn:
was hier sitzt, sind Sie. Nicht so? Scheinen Sie zu
seyn, fiel er ein: Ja wohl, scheinen: Scheinen,
das ists! Ich scheine mir zu seyn! Wer doch
wüsste, ob, und was er wäre
! Sind Sie
nicht, fuhr der Vorübergehende fort, wenn ich
fragen darf, Herr **? Sie nennen mich so: Ja es
gab eine Zeit, wo ich war, wo ich ganz innig,
so wahr, so lebendig mich fühlte. Ich war -- jetzt
fuhr er auf -- der Geist der Welt, einmal der
Verderbende. Ich ballte den Donner in meiner
Faust, Kraft des Sturms ging vor mir her, mein
Athem war Flamme und die Elemente rüttelte ich
zusammen in wilder Zerstörung. Hier zogen sich
seine Muskeln krampfhaft zusammen, seine Augen
rollten fürchterlich. Dann, fuhr er mit anderer
Stimme und andern Geberden fort, dann war ich
der gute, der freundliche Geist, mein Leben Eine

ſcharf gezeichneten Phyſiognomie zu ſeyn. Starr
ſah er vor ſich hin in den Fluſs, ſeinen Kopf auf
den rechten Arm geſtützt. Es ſchien als beob-
achtete er ſeinen Schatten, den der glatte Spiegel
des Stroms im Wiederſchein der Sonne zurück-
warf. Sie ſcheinen in tiefes Nachdenken ver-
ſenkt! ſo redete ein Vorübergehender ihn an. Ich
weiſs nicht, ſagte er, mit langſam abgemeſſenem
Tone, den Zeigefinger an die Naſe haltend, bin
ich das in dem Strome dort, oder das
,
indem er auf ſich deutete, was hier in den
Strom ſieht
? Was Sie dort ſehn, antwortete
ihm der Vorübergehende, ſcheinen Sie zu ſeyn:
was hier ſitzt, ſind Sie. Nicht ſo? Scheinen Sie zu
ſeyn, fiel er ein: Ja wohl, ſcheinen: Scheinen,
das iſts! Ich ſcheine mir zu ſeyn! Wer doch
wüſste, ob, und was er wäre
! Sind Sie
nicht, fuhr der Vorübergehende fort, wenn ich
fragen darf, Herr **? Sie nennen mich ſo: Ja es
gab eine Zeit, wo ich war, wo ich ganz innig,
ſo wahr, ſo lebendig mich fühlte. Ich war — jetzt
fuhr er auf — der Geiſt der Welt, einmal der
Verderbende. Ich ballte den Donner in meiner
Fauſt, Kraft des Sturms ging vor mir her, mein
Athem war Flamme und die Elemente rüttelte ich
zuſammen in wilder Zerſtörung. Hier zogen ſich
ſeine Muskeln krampfhaft zuſammen, ſeine Augen
rollten fürchterlich. Dann, fuhr er mit anderer
Stimme und andern Geberden fort, dann war ich
der gute, der freundliche Geiſt, mein Leben Eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0078" n="73"/>
&#x017F;charf gezeichneten Phy&#x017F;iognomie zu &#x017F;eyn. Starr<lb/>
&#x017F;ah er vor &#x017F;ich hin in den Flu&#x017F;s, &#x017F;einen Kopf auf<lb/>
den rechten Arm ge&#x017F;tützt. Es &#x017F;chien als beob-<lb/>
achtete er &#x017F;einen Schatten, den der glatte Spiegel<lb/>
des Stroms im Wieder&#x017F;chein der Sonne zurück-<lb/>
warf. Sie &#x017F;cheinen in tiefes Nachdenken ver-<lb/>
&#x017F;enkt! &#x017F;o redete ein Vorübergehender ihn an. Ich<lb/>
wei&#x017F;s nicht, &#x017F;agte er, mit lang&#x017F;am abgeme&#x017F;&#x017F;enem<lb/>
Tone, den Zeigefinger an die Na&#x017F;e haltend, <hi rendition="#g">bin<lb/>
ich das in dem Strome dort, oder das</hi>,<lb/>
indem er auf &#x017F;ich deutete, <hi rendition="#g">was hier in den<lb/>
Strom &#x017F;ieht</hi>? Was Sie dort &#x017F;ehn, antwortete<lb/>
ihm der Vorübergehende, &#x017F;cheinen Sie zu &#x017F;eyn:<lb/>
was hier &#x017F;itzt, &#x017F;ind Sie. Nicht &#x017F;o? Scheinen Sie zu<lb/>
&#x017F;eyn, fiel er ein: Ja wohl, &#x017F;cheinen: Scheinen,<lb/>
das i&#x017F;ts! Ich &#x017F;cheine mir zu &#x017F;eyn! <hi rendition="#g">Wer doch<lb/>&#x017F;ste, ob, und was er wäre</hi>! Sind Sie<lb/>
nicht, fuhr der Vorübergehende fort, wenn ich<lb/>
fragen darf, Herr **? Sie nennen mich &#x017F;o: Ja es<lb/>
gab eine Zeit, <hi rendition="#g">wo ich war</hi>, wo ich ganz innig,<lb/>
&#x017F;o wahr, &#x017F;o lebendig mich fühlte. Ich war &#x2014; jetzt<lb/>
fuhr er auf &#x2014; der Gei&#x017F;t der Welt, einmal der<lb/>
Verderbende. Ich ballte den Donner in meiner<lb/>
Fau&#x017F;t, Kraft des Sturms ging vor mir her, mein<lb/>
Athem war Flamme und die Elemente rüttelte ich<lb/>
zu&#x017F;ammen in wilder Zer&#x017F;törung. Hier zogen &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;eine Muskeln krampfhaft zu&#x017F;ammen, &#x017F;eine Augen<lb/>
rollten fürchterlich. Dann, fuhr er mit anderer<lb/>
Stimme und andern Geberden fort, dann war ich<lb/>
der gute, der freundliche Gei&#x017F;t, mein Leben <hi rendition="#g">Eine</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0078] ſcharf gezeichneten Phyſiognomie zu ſeyn. Starr ſah er vor ſich hin in den Fluſs, ſeinen Kopf auf den rechten Arm geſtützt. Es ſchien als beob- achtete er ſeinen Schatten, den der glatte Spiegel des Stroms im Wiederſchein der Sonne zurück- warf. Sie ſcheinen in tiefes Nachdenken ver- ſenkt! ſo redete ein Vorübergehender ihn an. Ich weiſs nicht, ſagte er, mit langſam abgemeſſenem Tone, den Zeigefinger an die Naſe haltend, bin ich das in dem Strome dort, oder das, indem er auf ſich deutete, was hier in den Strom ſieht? Was Sie dort ſehn, antwortete ihm der Vorübergehende, ſcheinen Sie zu ſeyn: was hier ſitzt, ſind Sie. Nicht ſo? Scheinen Sie zu ſeyn, fiel er ein: Ja wohl, ſcheinen: Scheinen, das iſts! Ich ſcheine mir zu ſeyn! Wer doch wüſste, ob, und was er wäre! Sind Sie nicht, fuhr der Vorübergehende fort, wenn ich fragen darf, Herr **? Sie nennen mich ſo: Ja es gab eine Zeit, wo ich war, wo ich ganz innig, ſo wahr, ſo lebendig mich fühlte. Ich war — jetzt fuhr er auf — der Geiſt der Welt, einmal der Verderbende. Ich ballte den Donner in meiner Fauſt, Kraft des Sturms ging vor mir her, mein Athem war Flamme und die Elemente rüttelte ich zuſammen in wilder Zerſtörung. Hier zogen ſich ſeine Muskeln krampfhaft zuſammen, ſeine Augen rollten fürchterlich. Dann, fuhr er mit anderer Stimme und andern Geberden fort, dann war ich der gute, der freundliche Geiſt, mein Leben Eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/78
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/78>, abgerufen am 25.11.2024.