Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

will, dass wir das nicht achten sollen, was uns
verachtet, die Leidenschaft gebietet das Gegen-
theil. Dieser Kampf wird vorzüglich peinlich,
wenn man nicht von der Untreue des geliebten
Gegenstandes überzeugt ist. Dadurch wurde ein
Bäcker, der seine Frau im Verdacht des Ehe-
bruchs hatte, ohne ihr denselben beweisen zu
können, veranlasst, sich beide Hoden wegzu-
schneiden, um sie auf die Probe zu stellen, ob sie
nach seiner Kastration schwanger werden würde *).
Ein anderer Mann glaubte, seine Frau unterhalte
sich zu frey auf einem Balle mit andern Männern.
Er lief wüthend nach Hause, holte ein Gewehr,
und wollte sie erschiessen. Man hielt ihn ab, er
wurde verrückt, und verfiel in einen solchen Hass
gegen das weibliche Geschlecht, dass er unauf-
hörlich auf dasselbe schimpfte, und jedem Frauen-
zimmer, das er anfichtig wurde, das nachwarf,
was er eben in den Händen hatte. Er starb im
Irrhause. Bey der Oeffnung fand man die Häute
des Gehirns entzündet, das Gehirn in Eiterung
und grösstentheils in eine sulzigte Substanz ver-
wandelt *). Den Eifersüchtigen überführe man,
dass der Verlust seiner Ehre eingebildet oder ge-
rächt sey, dass der Gegenstand seiner Eifersucht
unschuldig oder seiner Liebe nicht werth sey.

g) Lebensüberdruss ist eigentlich nicht
fixe Idee, sondern Product, und zwar von meh-

*) Schenk observ. rar. Lib. I. obs. 5.
*) Wagner l. c. 1 B. 316 S.

will, daſs wir das nicht achten ſollen, was uns
verachtet, die Leidenſchaft gebietet das Gegen-
theil. Dieſer Kampf wird vorzüglich peinlich,
wenn man nicht von der Untreue des geliebten
Gegenſtandes überzeugt iſt. Dadurch wurde ein
Bäcker, der ſeine Frau im Verdacht des Ehe-
bruchs hatte, ohne ihr denſelben beweiſen zu
können, veranlaſst, ſich beide Hoden wegzu-
ſchneiden, um ſie auf die Probe zu ſtellen, ob ſie
nach ſeiner Kaſtration ſchwanger werden würde *).
Ein anderer Mann glaubte, ſeine Frau unterhalte
ſich zu frey auf einem Balle mit andern Männern.
Er lief wüthend nach Hauſe, holte ein Gewehr,
und wollte ſie erſchieſsen. Man hielt ihn ab, er
wurde verrückt, und verfiel in einen ſolchen Haſs
gegen das weibliche Geſchlecht, daſs er unauf-
hörlich auf daſſelbe ſchimpfte, und jedem Frauen-
zimmer, das er anfichtig wurde, das nachwarf,
was er eben in den Händen hatte. Er ſtarb im
Irrhauſe. Bey der Oeffnung fand man die Häute
des Gehirns entzündet, das Gehirn in Eiterung
und gröſstentheils in eine ſulzigte Subſtanz ver-
wandelt *). Den Eiferſüchtigen überführe man,
daſs der Verluſt ſeiner Ehre eingebildet oder ge-
rächt ſey, daſs der Gegenſtand ſeiner Eiferſucht
unſchuldig oder ſeiner Liebe nicht werth ſey.

g) Lebensüberdruſs iſt eigentlich nicht
fixe Idee, ſondern Product, und zwar von meh-

*) Schenk obſerv. rar. Lib. I. obſ. 5.
*) Wagner l. c. 1 B. 316 S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0356" n="351"/>
will, da&#x017F;s wir das nicht achten &#x017F;ollen, was uns<lb/>
verachtet, die Leiden&#x017F;chaft gebietet das Gegen-<lb/>
theil. Die&#x017F;er Kampf wird vorzüglich peinlich,<lb/>
wenn man nicht von der Untreue des geliebten<lb/>
Gegen&#x017F;tandes überzeugt i&#x017F;t. Dadurch wurde ein<lb/>
Bäcker, der &#x017F;eine Frau im Verdacht des Ehe-<lb/>
bruchs hatte, ohne ihr den&#x017F;elben bewei&#x017F;en zu<lb/>
können, veranla&#x017F;st, &#x017F;ich beide Hoden wegzu-<lb/>
&#x017F;chneiden, um &#x017F;ie auf die Probe zu &#x017F;tellen, ob &#x017F;ie<lb/>
nach &#x017F;einer Ka&#x017F;tration &#x017F;chwanger werden würde <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Schenk</hi> ob&#x017F;erv. rar. Lib. I. ob&#x017F;. 5.</note>.<lb/>
Ein anderer Mann glaubte, &#x017F;eine Frau unterhalte<lb/>
&#x017F;ich zu frey auf einem Balle mit andern Männern.<lb/>
Er lief wüthend nach Hau&#x017F;e, holte ein Gewehr,<lb/>
und wollte &#x017F;ie er&#x017F;chie&#x017F;sen. Man hielt ihn ab, er<lb/>
wurde verrückt, und verfiel in einen &#x017F;olchen Ha&#x017F;s<lb/>
gegen das weibliche Ge&#x017F;chlecht, da&#x017F;s er unauf-<lb/>
hörlich auf da&#x017F;&#x017F;elbe &#x017F;chimpfte, und jedem Frauen-<lb/>
zimmer, das er anfichtig wurde, das nachwarf,<lb/>
was er eben in den Händen hatte. Er &#x017F;tarb im<lb/>
Irrhau&#x017F;e. Bey der Oeffnung fand man die Häute<lb/>
des Gehirns entzündet, das Gehirn in Eiterung<lb/>
und grö&#x017F;stentheils in eine &#x017F;ulzigte Sub&#x017F;tanz ver-<lb/>
wandelt <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Wagner</hi> l. c. 1 B. 316 S.</note>. Den Eifer&#x017F;üchtigen überführe man,<lb/>
da&#x017F;s der Verlu&#x017F;t &#x017F;einer Ehre eingebildet oder ge-<lb/>
rächt &#x017F;ey, da&#x017F;s der Gegen&#x017F;tand &#x017F;einer Eifer&#x017F;ucht<lb/>
un&#x017F;chuldig oder &#x017F;einer Liebe nicht werth &#x017F;ey.</p><lb/>
            <p>g) <hi rendition="#g">Lebensüberdru&#x017F;s</hi> i&#x017F;t eigentlich nicht<lb/>
fixe Idee, &#x017F;ondern Product, und zwar von meh-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0356] will, daſs wir das nicht achten ſollen, was uns verachtet, die Leidenſchaft gebietet das Gegen- theil. Dieſer Kampf wird vorzüglich peinlich, wenn man nicht von der Untreue des geliebten Gegenſtandes überzeugt iſt. Dadurch wurde ein Bäcker, der ſeine Frau im Verdacht des Ehe- bruchs hatte, ohne ihr denſelben beweiſen zu können, veranlaſst, ſich beide Hoden wegzu- ſchneiden, um ſie auf die Probe zu ſtellen, ob ſie nach ſeiner Kaſtration ſchwanger werden würde *). Ein anderer Mann glaubte, ſeine Frau unterhalte ſich zu frey auf einem Balle mit andern Männern. Er lief wüthend nach Hauſe, holte ein Gewehr, und wollte ſie erſchieſsen. Man hielt ihn ab, er wurde verrückt, und verfiel in einen ſolchen Haſs gegen das weibliche Geſchlecht, daſs er unauf- hörlich auf daſſelbe ſchimpfte, und jedem Frauen- zimmer, das er anfichtig wurde, das nachwarf, was er eben in den Händen hatte. Er ſtarb im Irrhauſe. Bey der Oeffnung fand man die Häute des Gehirns entzündet, das Gehirn in Eiterung und gröſstentheils in eine ſulzigte Subſtanz ver- wandelt *). Den Eiferſüchtigen überführe man, daſs der Verluſt ſeiner Ehre eingebildet oder ge- rächt ſey, daſs der Gegenſtand ſeiner Eiferſucht unſchuldig oder ſeiner Liebe nicht werth ſey. g) Lebensüberdruſs iſt eigentlich nicht fixe Idee, ſondern Product, und zwar von meh- *) Schenk obſerv. rar. Lib. I. obſ. 5. *) Wagner l. c. 1 B. 316 S.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/356
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/356>, abgerufen am 23.11.2024.