will, dass wir das nicht achten sollen, was uns verachtet, die Leidenschaft gebietet das Gegen- theil. Dieser Kampf wird vorzüglich peinlich, wenn man nicht von der Untreue des geliebten Gegenstandes überzeugt ist. Dadurch wurde ein Bäcker, der seine Frau im Verdacht des Ehe- bruchs hatte, ohne ihr denselben beweisen zu können, veranlasst, sich beide Hoden wegzu- schneiden, um sie auf die Probe zu stellen, ob sie nach seiner Kastration schwanger werden würde *). Ein anderer Mann glaubte, seine Frau unterhalte sich zu frey auf einem Balle mit andern Männern. Er lief wüthend nach Hause, holte ein Gewehr, und wollte sie erschiessen. Man hielt ihn ab, er wurde verrückt, und verfiel in einen solchen Hass gegen das weibliche Geschlecht, dass er unauf- hörlich auf dasselbe schimpfte, und jedem Frauen- zimmer, das er anfichtig wurde, das nachwarf, was er eben in den Händen hatte. Er starb im Irrhause. Bey der Oeffnung fand man die Häute des Gehirns entzündet, das Gehirn in Eiterung und grösstentheils in eine sulzigte Substanz ver- wandelt *). Den Eifersüchtigen überführe man, dass der Verlust seiner Ehre eingebildet oder ge- rächt sey, dass der Gegenstand seiner Eifersucht unschuldig oder seiner Liebe nicht werth sey.
g) Lebensüberdruss ist eigentlich nicht fixe Idee, sondern Product, und zwar von meh-
*)Schenk observ. rar. Lib. I. obs. 5.
*)Wagner l. c. 1 B. 316 S.
will, daſs wir das nicht achten ſollen, was uns verachtet, die Leidenſchaft gebietet das Gegen- theil. Dieſer Kampf wird vorzüglich peinlich, wenn man nicht von der Untreue des geliebten Gegenſtandes überzeugt iſt. Dadurch wurde ein Bäcker, der ſeine Frau im Verdacht des Ehe- bruchs hatte, ohne ihr denſelben beweiſen zu können, veranlaſst, ſich beide Hoden wegzu- ſchneiden, um ſie auf die Probe zu ſtellen, ob ſie nach ſeiner Kaſtration ſchwanger werden würde *). Ein anderer Mann glaubte, ſeine Frau unterhalte ſich zu frey auf einem Balle mit andern Männern. Er lief wüthend nach Hauſe, holte ein Gewehr, und wollte ſie erſchieſsen. Man hielt ihn ab, er wurde verrückt, und verfiel in einen ſolchen Haſs gegen das weibliche Geſchlecht, daſs er unauf- hörlich auf daſſelbe ſchimpfte, und jedem Frauen- zimmer, das er anfichtig wurde, das nachwarf, was er eben in den Händen hatte. Er ſtarb im Irrhauſe. Bey der Oeffnung fand man die Häute des Gehirns entzündet, das Gehirn in Eiterung und gröſstentheils in eine ſulzigte Subſtanz ver- wandelt *). Den Eiferſüchtigen überführe man, daſs der Verluſt ſeiner Ehre eingebildet oder ge- rächt ſey, daſs der Gegenſtand ſeiner Eiferſucht unſchuldig oder ſeiner Liebe nicht werth ſey.
g) Lebensüberdruſs iſt eigentlich nicht fixe Idee, ſondern Product, und zwar von meh-
*)Schenk obſerv. rar. Lib. I. obſ. 5.
*)Wagner l. c. 1 B. 316 S.
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will, daſs wir das nicht achten ſollen, was uns
verachtet, die Leidenſchaft gebietet das Gegen-
theil. Dieſer Kampf wird vorzüglich peinlich,
wenn man nicht von der Untreue des geliebten
Gegenſtandes überzeugt iſt. Dadurch wurde ein
Bäcker, der ſeine Frau im Verdacht des Ehe-
bruchs hatte, ohne ihr denſelben beweiſen zu
können, veranlaſst, ſich beide Hoden wegzu-
ſchneiden, um ſie auf die Probe zu ſtellen, ob ſie
nach ſeiner Kaſtration ſchwanger werden würde *).
Ein anderer Mann glaubte, ſeine Frau unterhalte
ſich zu frey auf einem Balle mit andern Männern.
Er lief wüthend nach Hauſe, holte ein Gewehr,
und wollte ſie erſchieſsen. Man hielt ihn ab, er
wurde verrückt, und verfiel in einen ſolchen Haſs
gegen das weibliche Geſchlecht, daſs er unauf-
hörlich auf daſſelbe ſchimpfte, und jedem Frauen-
zimmer, das er anfichtig wurde, das nachwarf,
was er eben in den Händen hatte. Er ſtarb im
Irrhauſe. Bey der Oeffnung fand man die Häute
des Gehirns entzündet, das Gehirn in Eiterung
und gröſstentheils in eine ſulzigte Subſtanz ver-
wandelt *). Den Eiferſüchtigen überführe man,
daſs der Verluſt ſeiner Ehre eingebildet oder ge-
rächt ſey, daſs der Gegenſtand ſeiner Eiferſucht
unſchuldig oder ſeiner Liebe nicht werth ſey.
g) Lebensüberdruſs iſt eigentlich nicht
fixe Idee, ſondern Product, und zwar von meh-
*) Schenk obſerv. rar. Lib. I. obſ. 5.
*) Wagner l. c. 1 B. 316 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/356>, abgerufen am 23.11.2024.
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