Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

d) Fixe Ideen, die sich auf Aber-
glauben beziehn
. Nur einige Blümchen von
diesem Felde, das besonders in Staaten, wo die
Religion sich auf diese Krücke lehnt, am frucht-
barsten ist. Dumme Menschen können sich ein-
bilden, dass sie besessen oder bezaubert sind, mit
dem Teufel im Bunde stehn, durch ihn Wunder
thun, Impotenz bewirken und heilen, Kinder krank
und gesund machen können, aber dafür auch wäh-
rend des Lebens mit ihm Unzucht treiben und
nach dem Tode in seine Gewalt kommen müssen.
Die Vernunft ist das Gegengift des Aberglaubens;
ihre Fackel erstickt die Geburten der Nacht.
Man setze sie in ihre Rechte ein. Doch dies ist
Sache der Zeit und der Nation. Daher muss der
Arzt oft erst zu Paliativmitteln greifen, die Hexen
durch Geistliche bannen, die Teufel austreiben
und den geschlossenen Bund mit dem Satan auf-
heben lassen. Ein Mann, sagt Ehrhard *) klagte
die Polizeibedienten an, dass sie sich, wenn er
tränke oder ässe, in der Grösse eines Fingers auf
seinen Löffel oder Krug setzten, und ihm alles weg-
schnappten, dass er endlich vor Hunger umkom-
men müsse. Er wisse zwar wohl, fügte er hin-
zu, dass sie diese Künste verstehen müssten, um
die Spitzbuben zu fangen. Doch solle die Obrig-
keit Sorge tragen, dass sie nicht auch ehrliche
Leute plagten. Ein ihm vorgelesener Befehl an

*) Wagner l. c. 2 B. 17 S.

d) Fixe Ideen, die ſich auf Aber-
glauben beziehn
. Nur einige Blümchen von
dieſem Felde, das beſonders in Staaten, wo die
Religion ſich auf dieſe Krücke lehnt, am frucht-
barſten iſt. Dumme Menſchen können ſich ein-
bilden, daſs ſie beſeſſen oder bezaubert ſind, mit
dem Teufel im Bunde ſtehn, durch ihn Wunder
thun, Impotenz bewirken und heilen, Kinder krank
und geſund machen können, aber dafür auch wäh-
rend des Lebens mit ihm Unzucht treiben und
nach dem Tode in ſeine Gewalt kommen müſſen.
Die Vernunft iſt das Gegengift des Aberglaubens;
ihre Fackel erſtickt die Geburten der Nacht.
Man ſetze ſie in ihre Rechte ein. Doch dies iſt
Sache der Zeit und der Nation. Daher muſs der
Arzt oft erſt zu Paliativmitteln greifen, die Hexen
durch Geiſtliche bannen, die Teufel austreiben
und den geſchloſſenen Bund mit dem Satan auf-
heben laſſen. Ein Mann, ſagt Ehrhard *) klagte
die Polizeibedienten an, daſs ſie ſich, wenn er
tränke oder äſse, in der Gröſse eines Fingers auf
ſeinen Löffel oder Krug ſetzten, und ihm alles weg-
ſchnappten, daſs er endlich vor Hunger umkom-
men müſſe. Er wiſſe zwar wohl, fügte er hin-
zu, daſs ſie dieſe Künſte verſtehen müſsten, um
die Spitzbuben zu fangen. Doch ſolle die Obrig-
keit Sorge tragen, daſs ſie nicht auch ehrliche
Leute plagten. Ein ihm vorgeleſener Befehl an

*) Wagner l. c. 2 B. 17 S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0348" n="343"/>
            <p><hi rendition="#g">d) Fixe Ideen, die &#x017F;ich auf Aber-<lb/>
glauben beziehn</hi>. Nur einige Blümchen von<lb/>
die&#x017F;em Felde, das be&#x017F;onders in Staaten, wo die<lb/>
Religion &#x017F;ich auf die&#x017F;e Krücke lehnt, am frucht-<lb/>
bar&#x017F;ten i&#x017F;t. Dumme Men&#x017F;chen können &#x017F;ich ein-<lb/>
bilden, da&#x017F;s &#x017F;ie be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en oder bezaubert &#x017F;ind, mit<lb/>
dem Teufel im Bunde &#x017F;tehn, durch ihn Wunder<lb/>
thun, Impotenz bewirken und heilen, Kinder krank<lb/>
und ge&#x017F;und machen können, aber dafür auch wäh-<lb/>
rend des Lebens mit ihm Unzucht treiben und<lb/>
nach dem Tode in &#x017F;eine Gewalt kommen mü&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Die Vernunft i&#x017F;t das Gegengift des Aberglaubens;<lb/>
ihre Fackel er&#x017F;tickt die Geburten der Nacht.<lb/>
Man &#x017F;etze &#x017F;ie in ihre Rechte ein. Doch dies i&#x017F;t<lb/>
Sache der Zeit und der Nation. Daher mu&#x017F;s der<lb/>
Arzt oft er&#x017F;t zu Paliativmitteln greifen, die Hexen<lb/>
durch Gei&#x017F;tliche bannen, die Teufel austreiben<lb/>
und den ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Bund mit dem Satan auf-<lb/>
heben la&#x017F;&#x017F;en. Ein Mann, &#x017F;agt <hi rendition="#g">Ehrhard</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Wagner</hi> l. c. 2 B. 17 S.</note> klagte<lb/>
die Polizeibedienten an, da&#x017F;s &#x017F;ie &#x017F;ich, wenn er<lb/>
tränke oder ä&#x017F;se, in der Grö&#x017F;se eines Fingers auf<lb/>
&#x017F;einen Löffel oder Krug &#x017F;etzten, und ihm alles weg-<lb/>
&#x017F;chnappten, da&#x017F;s er endlich vor Hunger umkom-<lb/>
men mü&#x017F;&#x017F;e. Er wi&#x017F;&#x017F;e zwar wohl, fügte er hin-<lb/>
zu, da&#x017F;s &#x017F;ie die&#x017F;e Kün&#x017F;te ver&#x017F;tehen mü&#x017F;sten, um<lb/>
die Spitzbuben zu fangen. Doch &#x017F;olle die Obrig-<lb/>
keit Sorge tragen, da&#x017F;s &#x017F;ie nicht auch ehrliche<lb/>
Leute plagten. Ein ihm vorgele&#x017F;ener Befehl an<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0348] d) Fixe Ideen, die ſich auf Aber- glauben beziehn. Nur einige Blümchen von dieſem Felde, das beſonders in Staaten, wo die Religion ſich auf dieſe Krücke lehnt, am frucht- barſten iſt. Dumme Menſchen können ſich ein- bilden, daſs ſie beſeſſen oder bezaubert ſind, mit dem Teufel im Bunde ſtehn, durch ihn Wunder thun, Impotenz bewirken und heilen, Kinder krank und geſund machen können, aber dafür auch wäh- rend des Lebens mit ihm Unzucht treiben und nach dem Tode in ſeine Gewalt kommen müſſen. Die Vernunft iſt das Gegengift des Aberglaubens; ihre Fackel erſtickt die Geburten der Nacht. Man ſetze ſie in ihre Rechte ein. Doch dies iſt Sache der Zeit und der Nation. Daher muſs der Arzt oft erſt zu Paliativmitteln greifen, die Hexen durch Geiſtliche bannen, die Teufel austreiben und den geſchloſſenen Bund mit dem Satan auf- heben laſſen. Ein Mann, ſagt Ehrhard *) klagte die Polizeibedienten an, daſs ſie ſich, wenn er tränke oder äſse, in der Gröſse eines Fingers auf ſeinen Löffel oder Krug ſetzten, und ihm alles weg- ſchnappten, daſs er endlich vor Hunger umkom- men müſſe. Er wiſſe zwar wohl, fügte er hin- zu, daſs ſie dieſe Künſte verſtehen müſsten, um die Spitzbuben zu fangen. Doch ſolle die Obrig- keit Sorge tragen, daſs ſie nicht auch ehrliche Leute plagten. Ein ihm vorgeleſener Befehl an *) Wagner l. c. 2 B. 17 S.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/348
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/348>, abgerufen am 22.11.2024.