Anhaltende Schmerzen können auch die Seele zerrütten. Man wecke den Muth, tröste durch Hoffnungen einer nahen Erlösung, tilge die Ursache der Schmerzen, oder stumpfe durch Mohnsaft gegen dieselben ab. Nachher suche man durch Gemüthsruhe, Zerstreuung, Landluft, gute Nahrungsmittel und durch den mässigen Genuss des Weins dem angegriffenen Nervensy- stem wieder aufzuhelfen.
Andere werden vor Eitelkeit und Hoch- muth verrückt. Meistens massen sie sich Vor- züge in Dingen an, die entweder keinen Werth haben, oder worin sie von anderen weit über- troffen werden. Darüber verständige man sie. Man zeige ihnen, wie abgeschmackt ihre Leiden- schaft sey. Indem sie der Achtung anderer nachjagen, verlieren sie dieselbe, und werden mit Verachtung für ihre Anmassung gestraft. Allein meistens sind diese Menschen von eingeschränktem Verstande, der durch allgemeine Uebungen ange- bauet werden muss. Oft ist es heilsam, dem auf- geblasenen Thoren seine Ohnmacht und Abhän- gigkeit fühlen zu lassen. Ich hatte einen solchen Kranken in der Behandlung, der in keinem Stücke gehorchte, sein Haus despotisirte, und Herr der Welt zu seyn glaubte. Die erzwungene Nachgiebigkeit vermehrte seine Tollheit. In die- sem Zustande erklärte ich ihm, dass er zu seiner und seiner Hausgenossen Sicherheit Arrestant sey. In dem nemlichen Augenblick traten zwey baum-
Anhaltende Schmerzen können auch die Seele zerrütten. Man wecke den Muth, tröſte durch Hoffnungen einer nahen Erlöſung, tilge die Urſache der Schmerzen, oder ſtumpfe durch Mohnſaft gegen dieſelben ab. Nachher ſuche man durch Gemüthsruhe, Zerſtreuung, Landluft, gute Nahrungsmittel und durch den mäſsigen Genuſs des Weins dem angegriffenen Nervenſy- ſtem wieder aufzuhelfen.
Andere werden vor Eitelkeit und Hoch- muth verrückt. Meiſtens maſsen ſie ſich Vor- züge in Dingen an, die entweder keinen Werth haben, oder worin ſie von anderen weit über- troffen werden. Darüber verſtändige man ſie. Man zeige ihnen, wie abgeſchmackt ihre Leiden- ſchaft ſey. Indem ſie der Achtung anderer nachjagen, verlieren ſie dieſelbe, und werden mit Verachtung für ihre Anmaſsung geſtraft. Allein meiſtens ſind dieſe Menſchen von eingeſchränktem Verſtande, der durch allgemeine Uebungen ange- bauet werden muſs. Oft iſt es heilſam, dem auf- geblaſenen Thoren ſeine Ohnmacht und Abhän- gigkeit fühlen zu laſſen. Ich hatte einen ſolchen Kranken in der Behandlung, der in keinem Stücke gehorchte, ſein Haus deſpotiſirte, und Herr der Welt zu ſeyn glaubte. Die erzwungene Nachgiebigkeit vermehrte ſeine Tollheit. In die- ſem Zuſtande erklärte ich ihm, daſs er zu ſeiner und ſeiner Hausgenoſſen Sicherheit Arreſtant ſey. In dem nemlichen Augenblick traten zwey baum-
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Anhaltende Schmerzen können auch die
Seele zerrütten. Man wecke den Muth, tröſte
durch Hoffnungen einer nahen Erlöſung, tilge
die Urſache der Schmerzen, oder ſtumpfe durch
Mohnſaft gegen dieſelben ab. Nachher ſuche
man durch Gemüthsruhe, Zerſtreuung, Landluft,
gute Nahrungsmittel und durch den mäſsigen
Genuſs des Weins dem angegriffenen Nervenſy-
ſtem wieder aufzuhelfen.
Andere werden vor Eitelkeit und Hoch-
muth verrückt. Meiſtens maſsen ſie ſich Vor-
züge in Dingen an, die entweder keinen Werth
haben, oder worin ſie von anderen weit über-
troffen werden. Darüber verſtändige man ſie.
Man zeige ihnen, wie abgeſchmackt ihre Leiden-
ſchaft ſey. Indem ſie der Achtung anderer
nachjagen, verlieren ſie dieſelbe, und werden mit
Verachtung für ihre Anmaſsung geſtraft. Allein
meiſtens ſind dieſe Menſchen von eingeſchränktem
Verſtande, der durch allgemeine Uebungen ange-
bauet werden muſs. Oft iſt es heilſam, dem auf-
geblaſenen Thoren ſeine Ohnmacht und Abhän-
gigkeit fühlen zu laſſen. Ich hatte einen ſolchen
Kranken in der Behandlung, der in keinem
Stücke gehorchte, ſein Haus deſpotiſirte, und
Herr der Welt zu ſeyn glaubte. Die erzwungene
Nachgiebigkeit vermehrte ſeine Tollheit. In die-
ſem Zuſtande erklärte ich ihm, daſs er zu ſeiner
und ſeiner Hausgenoſſen Sicherheit Arreſtant ſey.
In dem nemlichen Augenblick traten zwey baum-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/299>, abgerufen am 22.11.2024.
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