behandelte einen Kranken im Spital an einem chirurgischen Zufall, der plötzlich gleichgültig und niedergeschlagen wurde, Dyspnoe, Magen- krampf und einen langsamen Puls bekam, sich abmagerte und in eine dumpfe Melancholie ver- fiel. Die Ursache dieser schleunigen Umwälzung war Heimweh, das durch das Gehör der Stimme eines Landsmanns entstanden war. Durch das nemliche Mittel suchte ihn Moreau zu heilen. Er billigte seinen Harm, unterhielt sich mit ihm von seinem Vaterland, machte ihm Hoffnung zur baldigen Rückkehr und liess seinen Landsmann zu ihm gehn. Es erfolgten bey traulichen Unterre- dungen über Gegenstände des Vaterlandes reichli- che Ergüsse von Thränen, und der Kranke genas.
Schreckhafte Träume können ähn- liche Uebel erregen. Der Kranke fürchtet sie, fürchtet die Nacht, ist ungewiss, ob er träume, oder ob sich sein Bewusstseyn auf Realitäten be- ziehe. Er schiebt, wenn er vollends abergläu- bisch ist, seinen Gefühlen falsche Ursachen, Alpe, Bären, böse Geister, Vampire unter, hält diese Dinge für die Ursache seiner nächtlichen Quaalen, und kann darüber verrückt werden. Meistens ist in diesem Fall körperliche Krankheit, nemlich Alpdrücken vorhanden, das man entweder heilen oder von dessen Natur man wenigstens den Kranken unterrichten muss *).
*)Reil's Fieberlehre, 4. B. 524 S.
behandelte einen Kranken im Spital an einem chirurgiſchen Zufall, der plötzlich gleichgültig und niedergeſchlagen wurde, Dyspnoe, Magen- krampf und einen langſamen Puls bekam, ſich abmagerte und in eine dumpfe Melancholie ver- fiel. Die Urſache dieſer ſchleunigen Umwälzung war Heimweh, das durch das Gehör der Stimme eines Landsmanns entſtanden war. Durch das nemliche Mittel ſuchte ihn Moreau zu heilen. Er billigte ſeinen Harm, unterhielt ſich mit ihm von ſeinem Vaterland, machte ihm Hoffnung zur baldigen Rückkehr und lieſs ſeinen Landsmann zu ihm gehn. Es erfolgten bey traulichen Unterre- dungen über Gegenſtände des Vaterlandes reichli- che Ergüſſe von Thränen, und der Kranke genas.
Schreckhafte Träume können ähn- liche Uebel erregen. Der Kranke fürchtet ſie, fürchtet die Nacht, iſt ungewiſs, ob er träume, oder ob ſich ſein Bewuſstſeyn auf Realitäten be- ziehe. Er ſchiebt, wenn er vollends abergläu- biſch iſt, ſeinen Gefühlen falſche Urſachen, Alpe, Bären, böſe Geiſter, Vampire unter, hält dieſe Dinge für die Urſache ſeiner nächtlichen Quaalen, und kann darüber verrückt werden. Meiſtens iſt in dieſem Fall körperliche Krankheit, nemlich Alpdrücken vorhanden, das man entweder heilen oder von deſſen Natur man wenigſtens den Kranken unterrichten muſs *).
*)Reil’s Fieberlehre, 4. B. 524 S.
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behandelte einen Kranken im Spital an einem
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fiel. Die Urſache dieſer ſchleunigen Umwälzung
war Heimweh, das durch das Gehör der Stimme
eines Landsmanns entſtanden war. Durch das
nemliche Mittel ſuchte ihn Moreau zu heilen.
Er billigte ſeinen Harm, unterhielt ſich mit ihm
von ſeinem Vaterland, machte ihm Hoffnung zur
baldigen Rückkehr und lieſs ſeinen Landsmann zu
ihm gehn. Es erfolgten bey traulichen Unterre-
dungen über Gegenſtände des Vaterlandes reichli-
che Ergüſſe von Thränen, und der Kranke genas.
Schreckhafte Träume können ähn-
liche Uebel erregen. Der Kranke fürchtet ſie,
fürchtet die Nacht, iſt ungewiſs, ob er träume,
oder ob ſich ſein Bewuſstſeyn auf Realitäten be-
ziehe. Er ſchiebt, wenn er vollends abergläu-
biſch iſt, ſeinen Gefühlen falſche Urſachen, Alpe,
Bären, böſe Geiſter, Vampire unter, hält dieſe
Dinge für die Urſache ſeiner nächtlichen Quaalen,
und kann darüber verrückt werden. Meiſtens iſt
in dieſem Fall körperliche Krankheit, nemlich
Alpdrücken vorhanden, das man entweder
heilen oder von deſſen Natur man wenigſtens den
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*) Reil’s Fieberlehre, 4. B. 524 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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