ten Zeit, ehe die fixe Idee Wurzel gefasst hat, zweckmässige Mittel zur Zerstreuung des Kran- ken anwendet. Einsamkeit nährt die Grillen; Beschäfftigungen zerstreuen sie, wenn sie der Na- tur der Leidenschaft und dem Grade ihrer Erre- gung angemessen sind. Man besorgt die Befrie- digung der Leidenschaft, entfernt den Gegenstand, der sie erregt, stellt ihr eine andere von gleichem Interesse zur Seite. Endlich muss auch hier die Fackel der Vernunft Licht geben, den Irrthum vertilgen, die Dinge in ihrem natürlichen Zusam- menhang auffassen, ihren wahren Werth bestim- men, und uns über Ereignisse zufrieden stellen, die von der Menschheit nicht zu trennen sind.
Die heftigen und transitorischen Leidenschaf- ten können zwar auch Geisteszerrüttungen her- vorbringen. Man kann vor Freude toll und vor Zorn rasend werden. Doch geschieht dies seltner und wenn es geschieht, entstehn Tobsuchten, die sich als akute Krankheiten entscheiden. Auch kann meistens wider diese Ursache während des Wahnsinns nichts gethan werden, weil sie dann längst verschwunden ist. Vielmehr soll man den Hang zu diesen Leidenschaften bekämpfen, um ihren Folgen zu entgehn, dieser Artikel gehört aber nicht hieher, sondern in die Moral. In Fällen, wo ein schauderhafter Eindruck die Tem- peratur des Nervensystems verletzt hat, kann die Wiederholung des nemlichen Eindrucks, nach den Gesetzen der Gewohnheit, seine Folgen tilgen.
Ein
ten Zeit, ehe die fixe Idee Wurzel gefaſst hat, zweckmäſsige Mittel zur Zerſtreuung des Kran- ken anwendet. Einſamkeit nährt die Grillen; Beſchäfftigungen zerſtreuen ſie, wenn ſie der Na- tur der Leidenſchaft und dem Grade ihrer Erre- gung angemeſſen ſind. Man beſorgt die Befrie- digung der Leidenſchaft, entfernt den Gegenſtand, der ſie erregt, ſtellt ihr eine andere von gleichem Intereſſe zur Seite. Endlich muſs auch hier die Fackel der Vernunft Licht geben, den Irrthum vertilgen, die Dinge in ihrem natürlichen Zuſam- menhang auffaſſen, ihren wahren Werth beſtim- men, und uns über Ereigniſſe zufrieden ſtellen, die von der Menſchheit nicht zu trennen ſind.
Die heftigen und tranſitoriſchen Leidenſchaf- ten können zwar auch Geiſteszerrüttungen her- vorbringen. Man kann vor Freude toll und vor Zorn raſend werden. Doch geſchieht dies ſeltner und wenn es geſchieht, entſtehn Tobſuchten, die ſich als akute Krankheiten entſcheiden. Auch kann meiſtens wider dieſe Urſache während des Wahnſinns nichts gethan werden, weil ſie dann längſt verſchwunden iſt. Vielmehr ſoll man den Hang zu dieſen Leidenſchaften bekämpfen, um ihren Folgen zu entgehn, dieſer Artikel gehört aber nicht hieher, ſondern in die Moral. In Fällen, wo ein ſchauderhafter Eindruck die Tem- peratur des Nervenſyſtems verletzt hat, kann die Wiederholung des nemlichen Eindrucks, nach den Geſetzen der Gewohnheit, ſeine Folgen tilgen.
Ein
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ten Zeit, ehe die fixe Idee Wurzel gefaſst hat,
zweckmäſsige Mittel zur Zerſtreuung des Kran-
ken anwendet. Einſamkeit nährt die Grillen;
Beſchäfftigungen zerſtreuen ſie, wenn ſie der Na-
tur der Leidenſchaft und dem Grade ihrer Erre-
gung angemeſſen ſind. Man beſorgt die Befrie-
digung der Leidenſchaft, entfernt den Gegenſtand,
der ſie erregt, ſtellt ihr eine andere von gleichem
Intereſſe zur Seite. Endlich muſs auch hier die
Fackel der Vernunft Licht geben, den Irrthum
vertilgen, die Dinge in ihrem natürlichen Zuſam-
menhang auffaſſen, ihren wahren Werth beſtim-
men, und uns über Ereigniſſe zufrieden ſtellen,
die von der Menſchheit nicht zu trennen ſind.
Die heftigen und tranſitoriſchen Leidenſchaf-
ten können zwar auch Geiſteszerrüttungen her-
vorbringen. Man kann vor Freude toll und vor
Zorn raſend werden. Doch geſchieht dies ſeltner
und wenn es geſchieht, entſtehn Tobſuchten, die
ſich als akute Krankheiten entſcheiden. Auch
kann meiſtens wider dieſe Urſache während des
Wahnſinns nichts gethan werden, weil ſie dann
längſt verſchwunden iſt. Vielmehr ſoll man den
Hang zu dieſen Leidenſchaften bekämpfen, um
ihren Folgen zu entgehn, dieſer Artikel gehört
aber nicht hieher, ſondern in die Moral. In
Fällen, wo ein ſchauderhafter Eindruck die Tem-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/293>, abgerufen am 23.11.2024.
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